Aktuell kristallisiert sich eine Gegenbewegung zum Turbo-Trend bei E-Mountainbikes heraus. Sogenannte Light-E-MTBs sollen Handling und Fahrgefühl auf ein neues Niveau heben. BIKE BILD hat vier wichtige Vertreter der neuen Gattung unter die Lupe genommen
Wer meint, dass man nur mit starken Motoren Spaß haben kann, saß noch nie auf einem Lightweight-Mountainbike, dem Gegenentwurf zum „Schneller, höher, stärker“ von Power E-MTBs. Das Prinzip hinter der neuen Klasse ist simpel: Akkukapazität und Motorpower sind reduziert, der Fokus liegt stattdessen auf niedrigem Gewicht, sportivem Handling und natürlichem Fahrgefühl.
Der Gewichtsverlust zum herkömmlichen, gut 25 Kilogramm schweren E-MTB ist massiv. Scotts neues Luxus-Lumen zum Beispiel schafft es in der Top-Ausstattung auf ein Systemgewicht von unter 16 Kilogramm. Auch das S-Works Turbo Kenevo von Specialized liegt nicht weit entfernt. Eine solche Abspeckkur gelingt einerseits mit leichten Carbonfasern und Highend-Komponenten, doch das Besondere an beiden Bikes sind ihre kompakten und leichten E-Bike-Antriebe. Zum Vergleich: Während Akku und Motor beim Bosch Performance CX über sieben Kilogramm wiegen, schafft es die leichteste Kombination bei den Light Bikes auf die Hälfte.
Specialized mit Pionierarbeit
Specialized war in Zusammenarbeit mit Mahle Pionier auf dem Gebiet der Light-Antriebe und stellte schon vor drei Jahren ein leichtes E-MTB vor. „It’s you, only faster“ lautet der griffige Slogan der SL-Reihe bis heute, heißt aber auch, dass der Motor im aktuellen Kenevo bei 35 Newtonmetern abregelt. Gut zwei Jahre war Specialized mit diesem Konzept im MTB-Segment führend unterwegs, mittlerweile haben andere Hersteller nachgezogen. Die Auswahl an geeigneten Light-Antrieben ist seither gewachsen.
Die Antriebe von Light E-MTBs sind klein und kompakt. Dadurch fügen sich Motoren wie dieser von TQ-Systems unauffällig in das Fahrradchassis ein.
Bild: Michael Cerveny
Jüngst stellte das deutsche Unternehmen TQ-Systems den neuen HPR-50 vor. Die Innovation ist die patentierte Getriebetechnik, bei der nahezu alle Zähne der Getriebestufe zeitgleich ein - greifen und sich die übertragene Kraft gleichmäßig aufteilen. Dadurch konnten Bauraum, Gewicht und die Geräuschkulisse reduziert werden, berichtet Daniel Theil, verantwortlicher Produktmanager.
Tatsächlich ist der HPR-50 minimal leichter als der Specialized 1.1, bietet dabei aber 15 Newtonmeter mehr Drehmoment. Noch einmal 10 Newtonmeter mehr Drehmoment leistet der junge Fazua Ride 60 bei einem ähnlichen Systemgewicht. Das Know-how hierfür lag schon länger im Unternehmen, das jüngst von Porsche gekauft wurde, schließlich haben die Antriebe von Fazua die erste Generation von E-Rennrädern geprägt.
Der spanische Fahrradhersteller BH hat für sein leichtes E-MTB iLynx sogar einen eigenen Antrieb entwickelt, der es auf 65 Newtonmeter Drehmoment bringt, mit 2,1 Kilogramm Eigengewicht aber etwas schwerer ist als die Konkurrenz. Die Sondermodelle der beiden Branchenriesen Bosch (Race Edition) und Shimano (EP8 RS) gehen in eine ähnliche Richtung, können den Spezialisten aber mit mehr als 2,5 Kilogramm nicht das Wasser reichen.
Es ist angesichts der Motorvielfalt kein Zufall, dass immer mehr Fahrradhersteller ein Light EMTB im Portfolio führen. Allen Antrieben ist indes eine Gesetzmäßgkeit gemein: Wer Gewicht sparen will, muss Abstriche bei Leistung und Drehmoment machen – noch lässt sich die Physik nicht austricksen. Mit reduzierter Größe und Gewicht des Akkus schrumpft auch dessen Kapazität, im Falle des Kenevo auf 240 Wattstunden (mit dem Range Extender kommen 120 Wattstunden hinzu).
Fazit: Das Prinzip "Weniger ist mehr" geht voll auf
Bei Light E-MTBs ist die begrenzte Ausdauer eingepreist, denn man soll Wattstunden nicht verschlingen wie eine Tüte Chips. Statt maximaler Reichweite liegt der Fokus bei Light E-MTBs auf Fahrverhalten und Handling. Beschleunigung und Motoreinsatz wirken teilweise so natürlich, dass man den Unterschied zum unmotorisierten Fahrrad kaum bemerkt. Und auch das Handling ist verdächtig nah am Bio-Bike. TQ-Systems ist es dabei besonders gut gelungen, die Symbiose aus Mensch und Maschine mit ihrem sensiblen Antrieb zu ermöglichen.
4 Light-E-Mountainbikes im Test
BH iLynx Trail Carbon Pro 8.9 im Test
Dass im Unterrohr des BH iLynx ausdauernde 540 Wattstunden stecken, fällt dem Betrachter von außen so gut wie nicht auf.
Bild: Jozef Kubica
Das iLynx des spanischen Herstellers BH markiert gewichtstechnisch das untere Ende der Gattung Light E-MTB. Es wiegt knapp unter 20 Kilogramm und ist damit schwerer als die Fahrräder von Scott und Specialized. Andererseits bietet das iLynx aber auch das höchste Drehmoment und mit 540 Wattstunden (ohne 180-Wattstunden-Range-Extender) die größte Akkukapazität. Hinsichtlich der Reichweite kommt selbst das Focus Jam mit Fazuas Sparantrieb nicht mit. An Ausdauer und Kraft mangelt es dem BH-Bike also nicht. Ebenso wenig an Klasse und Fahrspaß auf dem Trail. Gerade im Flowigen kann man dank des hohen Drehmoments den Rhythmus gut beibehalten. Allerdings dürfte der Motor Marke Eigenbau noch sensibler abgestimmt sein. Er setzte in der Testkonfiguration (die sich per App individualisieren lässt) zu spät und zu ruppig ein, sodass man immer mit etwas Latenz zu kämpfen hat. Zudem dürfte die hochtönige Geräuschkulisse geringer ausfallen. Nebenbei bemerkt: Uns hat das hohe zulässige Gesamtgewicht beeindruckt, womit sich dieses E-MTB für schwere Fahrer klassifiziert.
Fazit: Auf das iLynx ist in jeder Fahrlage Verlass. Ausdauer und Leistung des BH-Antriebs sind top und überzeugen uns. Allerdings ist der Motor kein Leisetreter und dadurch immer präsent.
TECHNISCHE DATEN Preis: 9.099 Euro Rahmen: Carbon Federgabel: FOX 36 Float Factory, 150 Millimeter Dämpfer: FOX Float X Factory, 150 Millimeter Schaltung: Shimano XTR, 12-fach Bremsen: Shimano XT, hydraulische Scheibenbremsen Reifen: Maxxis Minion Terra EXO, 29er Laufräder: Race Face Turbine 30 Gewicht: 19,5 Kilogramm Zul. Gesamtgewicht: 165 Kilogramm
Der markante Knick im Unterrohr ist ungewöhnlich; er verschleiert, dass dort ein E-Bike-Antrieb von Fazua Platz nimmt.
Bild: Jozef Kubica
Mit dem Jam² SL schickt Focus ein Light E-MTB mit dem recht jungen Fazua-Antrieb Ride 60 ins Rennen. 450 Wattstunden Spitzenleistung und maximal 60 Newtonmeter Drehmoment sind mehr, als TQ bietet und fast das Doppelte des Specialized 1.1. Entsprechend gut und stark unterstützt der leise, aber nicht stumme Ride 60, wenn man ihn lässt. Das Einsetzverhalten ist wünschenswert sensibel und natürlich, wobei der Ride 60 präsenter agiert als der TQ. Gesteuert wird der Motor mit der Ring Control-Remote am Lenker. Die Bedienung ist simpel gehalten: Für mehr Leistung muss man den Ring hochschnipsen – und umgekehrt. Die Wertigkeit der Bedieneinheit dürfte höher ausfallen. Auf der LED-Anzeige auf dem Oberrohr ist der Akkustand ablesbar. Zudem werden die drei Unterstützungsmodi in verschiedenen Farben angezeigt. Als sehr unpraktisch am Focus erweist sich, dass man keinen direkten Ladeport-Zugang hat. Will man den Akku mit Strom füttern, muss man den Akkudeckel umständlich mit einem 6er-Inbus öffnen.
Fazit: Das Jam² SL besticht mit einem formschönen Slimfit-Rahmen. Abfahrten lassen sich dank 160/150 Millimeter-Federweg spielerisch nehmen – gut für Ungeübte. Der neue Fazua Ride 60 ist wie gemacht für Light E-MTBs.
TECHNISCHE DATEN Preis: 8.499 Euro Rahmen: Carbon Federgabel: FOX 36 Float Performance Elite 29, 160 Millimeter Dämpfer: FOX Float X Performance, 150 Millimeter Schaltung: Shimano Deore XT, 12-fach Bremsen: Shimano XT, hydr. Scheibenbremsen Reifen: Schwalbe Magic Mary (vorn), Schwalbe Nobby Nic, 29er Laufräder: DT Swiss HX1700 LS Gewicht: 19,1 Kilogramm Zul. Gesamtgewicht: 135 Kilogramm
Scott treibt das Thema Integration beim Lumen SL auf die Spitze. Der Dämpfer steckt im Sattelrohr, für den Antrieb braucht es ein gutes Auge.
Bild: Michael Cerveny
Das Scott Lumen ist mit 15,5 Kilogramm eines der leichtesten Light E-MTBs auf dem Markt. Hinsichtlich der Geometrie sowie des 130-Millimeter-Federwegs der Fox-Dämpfer hat man sich bei Scott am Cross-Country-Modell Spark orientiert und will damit bewusst sportliche Fahrer ansprechen. Für diese hält der Antrieb von TQ-Systems trotzdem 50 Newtonmeter Drehmoment und 300 Wattstunden Maximalleistung bereit. Wer sich noch mehr fordern will, muss nicht auf höchster Stufe durchs Gehölz rauschen. Zusätzlich kann man die Unterstützungsstufe in der App anpassen und so seinen eigenen Sweetspot zwischen Ansprechverhalten, Unterstützung und maximaler Leistung finden. Die Reichweite des 360 Wattstunden großen Akkus kann bis zu 1000 Höhenmeter betragen. Mit dem optionalen Range Extender (160 Wattstunden) lassen sich weitere 500 Höhenmeter rausholen. Die übrige Ausstattung, allem voran die elektronische Schaltung von Sram und die superleichten Carbonlaufräder von Syncros, treiben den Preis in extreme Höhen.
Fazit: Der HPR50 ist im Scott Lumen perfekt aufgehoben. Der TQ-Antrieb punktet mit geringer Lautstärke und sehr sensiblem Ansprechverhalten. Dank des geringen Gewichts geht das Scott Lumen auch ohne die vollen 50 Newtonmeter leichtfüßig voran.
Das S-Works Turbo Kenevo SL ist eine Augenweide – und zu unserer Überraschung mal nicht das teuerste Bike in einem Vergleich.
Bild: Jozef Kubica
In unserem Quartett der Light E-MTBs erfordert das Kenevo SL von Specialized die meiste Fitness. Wer mehr als 35 Newtonmeter Drehmoment benötigt, kann zum schwereren Kenevo ohne den SL-Zusatz greifen und bekommt dann 90 Newtonmeter. Ein Teufelskreis: Damit steigt wiederum das Radgewicht. Fährt man das S-Works Kenevo SL, vermisst man nichts und nimmt einfach als gegeben hin, dass man sich Anstiege erarbeiten muss (wie vor der E-BikeZeit). Der Specialized SL 1.1 ist leise, setzt geschmeidig und auf den Punkt ein – wie wir es in dieser Klasse erwarten. Im direkten Vergleich mit TQ und Fazua fällt jedoch auf, dass der SpecializedMotor beim Gewicht-Leistungs-Verhältnis das Nachsehen hat. Zudem könnte man darüber diskutieren, ob der Nur35-Newtonmeter-Ansatz zu radikal ist. Um die Downhill-Qualitäten, das perfekte Handling, das Integrationslevel sowie die Verarbeitung zu loben, fehlt hier schlicht der Platz. Nur so viel: Das Kenevo SL ist extrem gut abgestimmt.
Fazit: Specialized war in dem Segment Light E-MTB lange Zeit unangefochten und hat zusammen mit Mahle Maßstäbe gesetzt. Die Konkurrenz hat nicht geschlafen und ist beim GewichtLeistungs-Verhältnis vorbeigezogen. Wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit, bis die Kalifornier nachlegen.