Sicherer und gleichzeitig dynamischer

Der Mini. Wir mögen ihn, weil er so knuffig ist. Weil er schöne Erinnerungen weckt, ohne nostalgisch zu wirken. Weil er flott um die Ecken flitzt, aber trotzdem ausreichenden Komfort bietet. Und weil er vielen Ansprüchen gerecht wird: Es gibt ihn als Benziner oder Diesel, mit Turbo oder als Cabrio. Nur der Antrieb ist immer gleich: Frontantrieb heißt die Devise. Schließlich gehört sich das so bei einem Mini.

Doch das könnte sich demnächst ändern. Und mal wieder kommt der Fortschritt von einem Zulieferer. In diesem Fall heißt er Getrag und ist einer der weltweit größten Getriebehersteller. In Köln unterhält er eine kleine, aber feine Tochterfirma namens Driveline Systems, bei der man ständig nach Alternativen sucht, um Autos noch sicherer und gleichzeitig dynamischer zu machen.

"Was bei einem Mini nicht unbedingt notwendig wäre", gesteht Driveline-Geschäftsführer Werner Hoffmann." Aber wir haben uns ganz bewußt eine besonders schwierige Aufgabe gestellt." Die da hieß: Verbesserung von Agilität, Spurstabilität und Lenkpräzision per Allradantrieb – und das ausgerechnet bei einem Modell, das gerade in dieser Hinsicht eigentlich kaum Wünsche offen läßt. Und darüber hinaus konstruktiv schon so ausgereizt ist, daß es für zusätzliche Technik eigentlich gar keinen Platz mehr hat.

Getrennt arbeitende Lamellenkupplungen

Daher dachten sich Hoffmanns Mannen etwas ganz Besonderes aus. Keinen angehängten Allradantrieb wie beim Golf 4Motion, der per Haldex-Kupplung aus einem Fronttriebler bei entsprechendem Traktionsbedarf einen Beinahe-Hecktriebler werden läßt. Sondern das genaue Gegenteil: Der Getrag-Mini überträgt die 163 PS des Cooper-S-Motors unter optimalen Traktions-Bedingungen (Geradeausfahrt, trockene Straße) fast vollständig auf die Hinterachse.

Sobald jedoch Schlupf auftritt, verteilt eine elektronische Steuerung innerhalb von Millisekunden mehr Kraft an die Vorderachse. Und auch hier gibt es eine völlig neue Lösung: Zwei getrennt arbeitende Lamellenkupplungen verteilen das Drehmoment individuell an die Vorderräder, ein Differential an der Vorderachse wird damit überflüssig. Nebenbei gaben die beiden Kupplungen dem Projekt auch einen Namen: Bei Getrag taufte man den Allrad-Mini "Twinster" (vom englischen "twin" für Zwilling).

So weit die Theorie. In der Praxis merkt man von alledem zunächst nichts. Bei Geradeausfahrt auf trockener Fahrbahn fährt sich der Getrag-Mini wie jeder andere Cooper S. Er beschleunigt genauso, bremst genauso, Antriebseinflüsse sind kaum zu spüren. Doch das ändert sich schlagartig, wenn es schnell um die Ecken geht. Während der normale Mini untersteuernd aus der Kurve drängt oder mit stärkerem Lenkradeinschlag gebändigt werden muß, liegt der Twinster neutral, bleibt stur in der Spur.

Allradantrieb mit Bordelektronik vernetzt

Der Grund: Der Allradantrieb ist mit der Bordelektronik des Mini vernetzt und errechnet aus aktuellen Fahrzeugdaten wie Geschwindigkeit, Lenk- und Gierwinkel, Querbeschleunigung und Raddrehzahl den optimalen Kraftfluß zu den Vorderrädern. Dementsprechend öffnen und schließen die beiden Kupplungen an den Vorderrädern, leiten in engen Kurven mehr Drehmoment an das kurveninnere Rad und ziehen den Mini so enger um die Kurve.

Das Resultat zeigt sich auf dem Handlingkurs des Contidroms: Schon auf trockener Fahrbahn erreicht der Twinster trotz seines um 80 Kilo höheren Gewichts identische Rundenzeiten wie der leichtere Fronttriebler. Auf nasser Piste fällt der Unterschied naturgemäß deutlicher aus: Während der normale Mini auf dem schlüpfigen Asphalt noch stärker untersteuert und beim Beschleunigen seine 163 PS bei abgeschaltetem DSC nur mit Mühe auf den Boden kriegt, kommt der Getrag-Mini viel neutraler um die Ecken.

Auch bei vollem Leistungseinsatz zieht er kräftig aus den Kurven, läßt dabei sein Heck raushängen und kommt merklich schneller über die Runden. Bei unseren Vergleichsfahrten absolvierte der Allradler die nasse Piste rund zehn Prozent schneller als sein frontgetriebener Kollege – nicht schlecht für einen Prototyp, bei dem die Feinabstimmung noch aussteht. Getrag-Mann Werner Hoffmann: "Wir haben erst vor einem Jahr mit dem Projekt angefangen, und wollten erst mal nur zeigen, was wir können. Verfeinern läßt sich das Ganze immer noch." Ob wir den Twinster jedoch jemals werden kaufen können, steht zur Zeit noch dahin. Aber die Zeichen sind gut: Auch BMW-Entwicklungschef Dr. Burkhard Göschel hat ihn schon getestet – und war, so Hoffmann, "ziemlich beeindruckt".

So funktioniert der Allradantrieb

Das Herzstück des Getrag-Twinster bildet die sogenannte Power Take Off Unit – was auf deutsch soviel wie "Leistungsverteilungseinheit" bedeutet. Die unmittelbar hinter dem Getriebe in der Fahrzeugfront angeordnete Einheit besteht aus zwei Hauptbauteilen: Die (orange eingefärbte) linke Hälfte beherbergt den Winkeltrieb mit Radsatz und Tellerrad und stellt im Regelfall die direkte Verbindung zwischen Getriebe und Kardanwellenanschluß (blau) zur Hinterachse her. Damit ist der Mini ein stark heckbetonter (bis zu 95 Prozent) Allradler.

In der rechten (grünen) Hälfte sind zwei Lamellenkupplungen installiert. Sobald die modulare Steuerelektronik des Twinster anhand der Parameter aus der serienmäßigen Bordelektronik (Geschwindigkeit, Querbeschleunigung, Gierwinkel, Lenkwinkel, Raddrehzahl) erkennt, daß ein Eingriff sinnvoll ist, steuert sie eine oder beide Lamellenkupplungen an und regelt so den Kraftfluß an die Seitenwellen (grau) zu den Vorderrädern.

Damit funktioniert die Twinster-Technik prinzipiell wie ein "umgekehrtes" ESP-System: Während ESP ein bereits außer Kontrolle geratenes Auto durch gezieltes Abbremsen einzelner Räder wieder stabilisiert, arbeitet das Getrag-System permanent mit der Antriebskraft der Vorderräder. Schon bevor ein kritischer Fahrzustand erreicht wird, verteilt die Elektronik den Kraftfluß über die beiden Kupplungen so gezielt, daß die Fahrstabilität stets erhalten bleibt.