Der schmale Grat zwischen Hero und Zero: Nirgends wird er so deutlich wie beim Saisonhighlight der Formel 1 in den engen Häuserschluchten Monte Carlos. Das beste Beispiel dafür liefert am Freitag Carlos Sainz: Im ersten Training kommt der Spanier in der zweiten Schwimmbadschikane noch mit einem kleinen Mauerkuss und am Ende sogar der Bestzeit davon.
Drei Stunden später übertreibt es Sainz in derselben Kurve und lenkt ein paar Millimeter früher ein. Das Ergebnis: Eine gebrochene rechte Vorderradaufhängung, ein kaputter Ferrari in der Mauer und die rote Flagge.
Als die Session schließlich abgewunken wird, liegt deshalb WM-Spitzenreiter Max Verstappen einmal mehr an der Spitze, eine Zehntel vor Sainz. Auch Ferrari-Teamkollege und Lokalmatador Charles Leclerc hat sich als Zweiter (+0,065 Sekunden Rückstand) noch vor den Spanier geschoben und bestätigt damit trotz des Ferrari-Crashs knapp zehn Minuten vor Ende die starke Performance der Roten im Fürstentum.
Carlos Sainz zerstört seinen Ferrari im Monaco-Training
Bild: F1/Twitter

"Beide Ferrari sahen heute sehr schnell aus, die haben Pace. Und wir dürfen nicht vergessen: Ferraris eigentliche Stärke ist das Qualifying. Wenn du hier aber auf Pole stehst, bist du automatisch auch im Rennen schwer zu schlagen", analysiert Ex-Weltmeister Jenson Button für Sky England. Für den Monaco-Sieger von 2009 ist klar: "Ferrari hat hier eine wirklich gute Chance, Red Bull zu knacken."
Das befürchtet auch Weltmeister Max Verstappen, trotz seiner schnellsten Runde am Freitag: "Das Ende war ganz gut, der Start aber schwer. Das erste Training war ziemlich tricky, ich war gar nicht happy mit dem Verhalten des Autos auf den Kerbs und Bodenwellen", verrät der Niederländer. "Die zweite Session war schon viel besser, das Auto wettbewerbsfähiger. Aber im Vergleich zu Ferraris Fahrbarkeit scheinen wir hier noch hinten zu liegen, sie sind sehr nah dran", glaubt Verstappen.
Außerdem warnt der Red-Bull-Star: "Im Quali gehen sie sicher wieder ans Limit, da brauchen wir also ein bisschen mehr Puffer, um vor ihnen zu bleiben." Auch WM-Rivale Sergio Perez, der im zweiten Training nicht über Rang sieben hinauskommt, sagt zähneknirschend: "Kein besonders toller Tag mit der Pace im Auto. Wir müssen uns jetzt hinsetzen und das anschauen, denn hier zählt wirklich jede Millisekunde. So wird es morgen auf jeden Fall ein sehr enges und interessantes Qualifying."
Bleibt Red Bull auch im Fürstentum so dominant?
Bild: Red Bull

Zumal von hinten auch wieder Altmeister Fernando Alonso im Aston Martin auf die Tube drückt: Der Spanier beendet den Tag als Vierter mit knapp zwei Zehnteln Rückstand, wäre aber eigentlich deutlich schneller gewesen: Auf seinem letzten Run läuft er im Schlusssektor auf mehrere Autos auf und wird so vom Verkehr eingebremst. Alonso grinst mit Blick aufs Wochenende: "Ich habe das Gefühl, dass wir hier eine Chance kriegen werden."
Als besonderer Glücksbringer könnte dabei einer fungieren, der seinem Ex-Team dieses Wochenende erstmals seit seinem F1-Rücktritt vor Ort die Daumen drückt: Sebastian Vettel ließ sich am Freitag erstmals seit seinem Abschied von Aston Martin am Ende der vergangenen Saison wieder im Fahrerlager blicken und schaute den ehemaligen Kollegen mit Dreitagebart, legerem Hemd und golden umrandeter Pilotenbrille auf die Finger.
Noch mehr Augen sind am Freitag aber auf Mercedes gerichtet: Mit dem runderneuerten Schwarzpfeil geht es - nach einem starken Einstand zur Mittagszeit - im zweiten Training wieder etwas nach hinten für Rekordchampion Lewis Hamilton. Trotz einer halben Sekunde Rückstand und Platz sechs strahlt der Brite aber: "Das Fahren hat heute Spaß gemacht! Ich möchte mich bei allen in der Fabrik bedanken, die so viele Stunden harter Arbeit in das neue Paket gesteckt haben."
Lewis Hamilton und sein neuer Mercedes in Monte Carlo.
Bild: Petronas Motorsport

Doch was bringt die B-Version des Mercedes? "Monaco ist nicht die ideale Strecke dafür, aber wir haben heute schon viele Daten gesammelt und insgesamt hat es sich gut angefühlt. Auch, wenn wir noch nicht so nah dran waren, habe ich aber definitiv die Verbesserung gespürt. Ich hoffe, das gibt uns jetzt die Plattform, um weiter nach vorne zu gelangen", urteilt Hamilton.
Der Deutsche Nico Hülkenberg beendet den Tag nach seinem Dreher in der ersten Session, bei dem er sich hinten links die Felge ramponiert hatte, auf dem 15. Rang, direkt hinter Stallgefährte Kevin Magnussen. Auch Williams-Pilot Alex Albon, der zur Mittagszeit heftig gecrasht war, kann zum Abschluss des Tages wieder mitfahren, kommt allerdings nicht über den vorletzten Platz hinaus.

Ergebnis 2. Freies Training GP Monaco

1. Max Verstappen (Niederlande) - Red Bull 1:12,462 Min.
2. Charles Leclerc (Monaco) - Ferrari +0,065 Sek.
3. Carlos Sainz Jr. (Spanien) - Ferrari +0,107
4. Fernando Alonso (Spanien) - Aston Martin +0,220
5. Lando Norris (Großbritannien) - McLaren +0,444
6. Lewis Hamilton (Großbritannien) - Mercedes +0,498
7. Sergio Perez (Mexiko) - Red Bull +0,529
8. Valtteri Bottas (Finnland) - Alfa Romeo +0,588
9. Pierre Gasly (Frankreich) - Alpine +0,627
10. Esteban Ocon (Frankreich) - Alpine +0,700
11. Lance Stroll (Kanada) - Aston Martin +0,723
12. George Russell (Großbritannien) - Mercedes +0,729
13. Zhou Guanyu (China) - Alfa Romeo +0,892
14. Kevin Magnussen (Dänemark) - Haas +0,995
15. Nico Hülkenberg (Emmerich) - Haas +1,058
16. Yuki Tsunoda (Japan) - Alpha Tauri +1,179
17. Nyck de Vries (Niederlande) - Alpha Tauri +1,201
18. Oscar Piastri (Australien) - McLaren +1,211
19. Alexander Albon (Thailand) - Williams +1,755
20. Logan Sargeant (USA) - Williams +1,776

Von

Frederik Hackbarth