6000 Euro Preisgeld und ein Job

Manchmal fangen große Karrieren mit kleinen Zufällen an. Für Nico Schminke, 26-jähriger Nachwuchs-Designer aus Leipzig, könnte dieser kleine Zufall die Zusammensetzung der Jury beim Lucky Strike Junior Designer Award der Raymond Loewy Foundation gewesen sein. Zu der gehört nämlich auch Professor Johann H. Tomforde, einst Geschäftsführer für Design, Entwicklung und Produktion bei Smart-Bauer MCC, heute Mitglied der Unternehmensleitung des hymer idc Innovations- und Design Center in Pforzheim. Und so kam es, dass Schminke nicht nur 6000 Euro Preisgeld beim 2002er Junior Designer Award einheimsen konnte, sondern auch noch einen Job als Auto(innenraum)designer. Bei hymer idc.

Ausschlaggegebend dafür war die von ihm eingereichte "Ingenieurstudie eines kleinformatigen Zweitwagens, mit Fokus auf den Bedarf junger Familien". Kurz das FUV – das "Familiy Utility Vehicle". Eine Art Minivan, mit 3,50 Meter nicht ganz so lang wie die Mercedes A-Klasse und knapp 1,80 Meter breit, der exakt auf die Bedürfnisse von Familien zugeschnitten ist. Und somit, automobilbautechnisch betrachtet, die logische Nischenschlussfolgerung von SUV (Sport Utility Vehicle), MPV (Multi Purpose Vehicle) und C-RV (Comfortable Runabout Vehicle) werden könnte.

"Diese Diplomarbeit verzichtet auf die sonst im Automobil-Design so üblichen und meist bloß banalen Renderings irgendwelcher angeblich neuer und schöner Karossen. Stattdessen bietet sie eine sehr gut recherchierte und umgesetzte Gestaltung des Innenraums eines Autos", heißt es in der offiziellen Begründung von Prof. Michael Erlhoff, Präsident der Raymond Loewy Foundation International.

Kleinwagen für Kind und Kegel

Schminke selbst sieht es etwas pragmatischer: "Ich wollte vermeiden, dass man viel Gepäck nur dann mitnehmen kann, wenn man zuvor das halbe Auto zerlegt, wie bei der A-Klasse zum Beispiel." Die hat zwar herausnehmbare Sitze. Aber das genau ist auch der Haken: herausnehmbar – also gut gedacht, aber eigentlich schlecht gemacht. Beziehungsweise nicht konsequent umgesetzt, "wie zum Beispiel beim Opel Zafira", mit seinen versenkbaren Sitzen für Schminke derzeit das Maß aller Dinge in Sachen Variabilität.

Das FUV kann das auch – Sitze verschwinden lassen, ohne sie zurückzulassen – und dazu noch einiges mehr, von dem man sich fragen muss, warum es einem 26-jährigen Jungdesigner einfällt und nicht den hochbezahlten Kreativköpfen der Automobilindustrie. Zum Beispiel: • fünf mittig teilbare Einzelsitze, die über das Hochziehen der Kopfstützen entriegelt und nach vorn umgeklappt werden können (ergibt im Fond eine ebene Ladefläche, auf der Beifahrerseite eine Durchlademöglichkeit auf fast kompletter Fahrzeuglänge) • eine teilbare Heckablage; eine Art doppelter Boden in der Mitte lässt sich hochklappen und ergibt – bündig mit den Sitzrücklehnen abschließend – eine Ladewand, die das Durchrutschen von (sperrigem) Gepäck verhindert • die Sitzflächen des vorderen Gestühls sind an den hinteren Seiten angeschrägt, dadurch können die Fondpassagiere lässiger (breitbeinig) sitzen • Instrumente auf der Lenksäule (drehen also mit).

Clou des FUV ist die Karosseriekonstruktion: Getriebe und Differenzial sitzen verblockt vor der Hinterachse, der Motor auch. Dadurch ist der gesamte Vorderwagen "frei" – und kann, in Kombination mit dem "Mittelkanal zwischen den Sitzen", als Stauraum genutzt werden. Das Beladen ist denkbar einfach: Fronthaube samt Windschutzscheibe lassen sich komplett nach oben schwenken. "Zwischen den Vorderrädern kann dann zum Beispiel ein Kinderwagen verstaut werden. Oder ein bis zwei Fahrräder, die sich aufrecht stehend bis zu den Rücksitzen durchschieben lassen" (siehe Bildergalerie), erklärt Schminke.

Vier Längsträger vorn für Crashsicherheit

Für maximale Variabilität sorgt der verschiebbare fünfte Sitz. Je nach Bedarf kann er auf besagtem Mittelkanal nach vorn oder hinten bugsiert werden. Vorteil, so Schminke: "Eltern, die mit einem Kind unterwegs sind, können auch vorn in einer Reihe sitzen – eine familienfreundlichere Fahrsituation als bei konventionellen Fahrzeugen." Für die nötige Sicherheit beim Fixieren des Kindersitzes sorgen Isofix-Befestigungen. Für ausreichendes Crashpotenzial hat das FUV vorn vier statt zwei Längsträger.

Lauter schöne Ideen, aber sind sie auch umsetzbar? "Ich denke schon", sagt Schminke. "Mir kam es darauf an, etwas zu entwickeln, das nicht erst in zehn Jahren funktioniert, sondern heute. Wenn ein kleines Team konzentriert an einem Prototyp des FUV arbeitet, kann es sicher kurzfristig auf die Räder gestellt werden, zumindest als fahrbare Studie."

Das kleine Team hat er ja nun gefunden – bzw. das Team ihn. Hymer idc beschäftigt rund 15 Leute. Vorrangigste Aufgabe: das Entwickeln und Umsetzen von Innenraumkonzepten.

Lucky Strike Junior Designer Award

Mit dem jährlich ausgeschriebenen Junior Designer Award würdigt die Raymond Loewy Foundation seit 1992 hervorragende Leistungen von Hochschulstudenten der Bereiche Design und Gestaltung. Die Foundation, 1991 von der British American Tobacco ins Leben gerufen, dient dem Erhalt des Andenkens an den amerikanischen Design-Pionier Raymond Loewy (1893–1986) und seiner Verdienste um modernes, visionäres Design. Loewy (Leitspruch: "Hässlichkeit verkauft sich schlecht") gestaltete unter anderem die Shell-Muschel, die Coca-Cola-Flasche und die Packung von Lucky Strike.

Neben dem Nachwuchspreis, der dieses Jahr auch an Ulrike Reichhardt und ihre Arbeit "Leiten und Verleiten" ging, verleiht die Foundation jährlich den mit 50.000 Euro dotierten Lucky Strike Designer Award. Preisträger sind unter anderem Kameramann Michael Ballhaus (2001) und Ex-Mercedes-Chefdesigner Bruno Sacco (1997). Auch Tobias Krueger von der Fachhochschule München, einer der Nachwuchspreisträger 2001, gewann mit einer Design-Idee zum Thema Verkehr: Er entwarf neue Verkehrsampeln. Schlicht wie Monolithen, mit Leuchtdioden und zusätzlichen Signalen auf Augenhöhe der Autofahrer. Bislang sind sie leider nicht im Einsatz. Ein schlechtes Omen fürs FUV?