Morgens Wrack, abends zwei Jahre TÜV

Wie verdient man rund 1300 Euro in zwei Stunden? So wie Tankstellenbesitzer Bernd Meier (Name von der Redaktion geändert) : Vormittags ein Golf-II-Wrack ohne TÜV für 150 Euro kaufen. Den VW mit Hilfe eines DEKRA-Kumpels durch die Hauptuntersuchung schummeln (44 Euro). Nachmittags den VW inklusive HU-Plakette für 1500 Euro verhökern.

Pech, wenn die Sache auffliegt. Denn der Golf fuhr nicht richtig geradeaus, bremste Metall auf Metall, weil Beläge und Scheiben an der Verschleißgrenze waren, die hinteren Türen klemmten wie festgeschweißt. Gekauft wurde der Schrott von Zlata Schilling (57) aus Duisburg, die aus Angst vor der maroden Technik maximal mit Tempo 30 km/h durch die Gegend schlich. Eine Kontrolluntersuchung beim TÜV Rheinland bestätigte: Der VW ist nicht verkehrssicher.

Zlata Schilling will den Golf an Bernd Meier zurückgeben. Fehlanzeige, der will mit dem Auto nichts mehr zu tun haben. Sie beschwert sich daraufhin bei der Stuttgarter DEKRA-Zentrale. Dort verspricht man: "Wir helfen Ihnen, fahren Sie zu einer Station in Ihrer Nähe, lassen Sie den Wagen nachuntersuchen."

Zlata Schilling willigt ein, holt sich aber Schützenhilfe bei AUTO BILD. Heimlich wohnen wir dem Gegencheck bei. Der Duisburger DEKRA-Prüfer Armin Schulze (N.v.d.R.g.) rüttelt am maroden Auspuff, hält ein loses Schutzblech nur für Zierde und sagt: "Kann man abreißen." Zlata Schilling fragt: "Ja, heißt das, Sie würden mir jetzt TÜV geben?" "Na ja, so übel ist der Golf zwar nicht. Aber die klemmenden hinteren Türen sind ein schwerwiegender Mangel. Dafür gibt es keine Plakette." Kein Wort von den schlechten Bremsen, defekten Stoßdämpfern oder der losen Batterie. Ob Prüfer Schulze seinen Außendienst-Kollegen decken will?

AUTO BILD und stern-TV auf der Pirsch

Zugegeben: ein Einzelfall. Wie wir aber aus Leserzuschriften wissen, ist Ärger mit schwerwiegenden Mängeln trotz frisch erteilter HU-Plakette kein Einzelfall. Vor allem einige der Werkstatt-Prüfer, die Außendienst–Mitarbeiter der technischen Prüforganisationen DEKRA, GTÜ, KÜS und TÜV stehen in Verdacht, bei der Plakettenvergabe mehr als nur ein Auge zuzudrücken.

AUTO BILD tat sich deshalb mit den Kollegen von stern-TV zusammen. Acht Tage lang reisten wir mit versteckter Kamera durch Deutschland: Ist es wirklich möglich, ein Wrack durch die HU-Prüfung zu mogeln? Vom Schrottplatz besorgten wir einen Mercedes-Benz 300 T Diesel mit einer Laufleistung von 670.000 Kilometern. Der Wagen ohne TÜV wurde mit 13 Mängeln präpariert.

Zunächst fuhren wir den "Auto Service" Duisburg an. Vor der Tür lungerten tätowierte Muskelprotze herum, im Hinterhof wurden Autos geschlachtet. Marode Ersatzteilspender für die nächste Billigreparatur? Ein Schild weist die Werkstatt als DEKRA-Stützpunkt aus. Der Prüfer im grünen Kittel war sichtlich im Stress. Und wir trauten unseren Augen nicht: Autos, einäugige und zerknautschte, mit fast profillosen Reifen rollten hinein – und mit frischer HU-Plakette wieder heraus.

Der Ingenieur hatte wohl Tomaten auf den Augen. Obwohl der linke Scheinwerfer zerbrochen war, das rechte Licht überhaupt nicht funktionierte, attestierte er einem VW Golf III: Prima, funktioniert ja alles. Highlight: Er ließ sich vom Kfz-Meister die Papiere ins fensterlose Auto hineinreichen. Der geprüfte Opel Astra hatte nicht mal eine Frontscheibe. Dafür in rekordverdächtigen 2,47 Minuten ein frisches Siegel.

Als unser Benz an der Reihe war, zückte der Kfz-Meister schon mal das Schweißgerät. Er wollte überall Bleche hineinbraten, wo der Prüfer gerade über Rost meckerte. Der Schweißer kam aber nur einmal am Auspuff zum Einsatz. Um ein Haar gab es die ersehnte Plakette sogar, wenn wir nicht den falschen Brief vorgelegt hätten. Es war einen Versuch wert, schließlich wissen wir von Informanten, dass häufig nicht einmal die Fahrgestellnummer mit den Papieren verglichen wird. Diesmal klappte es nicht. Der Prüfer bat uns, noch mal mit dem passenden Kfz-Brief vorbeizukommen. Dann gäbe es auch eine Plakette.

"Ich kann euch Brief-TÜV besorgen"

Nächste Station: Berlin, P.E. Automobile, Naumannstraße. Der erste Versuch gleich ein Volltreffer. Wir gaben vor, unseren Rost-Benz exportieren zu wollen. Dafür brauchen wir "Export-TÜV", heißt: eine Bescheinigung, dass unser Auto nach Paragraph 29 verkehrssicher ist. Kein Problem, versicherte uns Verkäufer Murat Özal (N.v.d.R.g.): "Ich habe gute Beziehungen zum Prüfer. Der Benz bekommt die Plakette." Tatsächlich hatte Özal einen GTÜ-Prüfer an der Hand, der mitmachte. Sechs Stunden später war das Loch im Frontscheinwerfer unseres Benz mit Sekundenkleber zugekleistert. Wir hatten einen Prüfbericht in der Hand, der unser Auto als verkehrssicher stempelt.

Beim Autodienst Süd in Treptow prüft die Kraftfahrzeug-Überwachungsorganisation freiberuflicher Sachverständiger e.V. ( KÜS). Unser Mercedes bekam zwar keine Plakette, aber der Prüfer übersah sechs Mängel. Schlecht: Der viel zu niedrige Füllstand im Bremsflüssigkeitsbehälter wurde übersehen, Bremsausfall droht.

Wenig später klingelte unser Handy. Ein Unbekannter meldete sich: "Habe gehört, ihr habt ein Problem? Euer Benz ist so kaputt, dass ihr regulär keinen TÜV bekommt. Ich kann euch Brief-TÜV besorgen." Brief-TÜV? Wir hakten nach. Brief-TÜV ist Branchenjargon. Da gibt es die Plakette, ohne dass der Prüfer den Wagen je gesehen hat. Skandal! Aber Brief-TÜV ist Vertrauenssache, wie wir am nächsten Morgen erfuhren. Der Unbekannte am Telefon: "Der Prüfer kennt euch nicht, hat kalte Füße bekommen." Nix Brief-TÜV.

Zwei Jahre TÜV für unser Wrack

Szenenwechsel. Die Bastlerwerkstatt im Stadtteil Spandau lässt ihre Autos von einem GTÜ-Ingenieur checken. Der nahm sich über eine Stunde Zeit für uns und fand immerhin neun von 13 Defekten. Kaum schlechter schneidet der TÜV in der Karl-Marx-Straße 265 ab – acht von 13 Fehlern gefunden.

Ortswechsel. In Hamburg testeten wir bei der DEKRA-Niederlassung im Stadtteil Bahrenfeld. Wieder keine Plakette. Aber der Prüfer übersah die marode B-Säule genauso wie den fünf Zentimeter langen Schnitt im Hinterreifen.

Danach besuchten wir die Firma BMW Autoselbsthilfe im Stadtteil Harburg. Der Chef: "Bring den Wagen morgen früh auf den Hof, mal sehen, wie viel Arbeit nötig ist." Einen Tag später hatte unser Wrack tatsächlich zwei Jahre TÜV. Bewilligt von einem Außendienstler der GTÜ in Buchholz. Lediglich 260 Euro wurden für eine Reparatur an Traggelenken fällig.

Zum Vergleich ließen wir das Auto noch am selben Tag in der Buchholzer GTÜ-Station Jacob überprüfen. Ergebnis: Bester im Test, bis auf zwei Fehler alle gefunden. Minuten nach der Prüfung konfrontierten wir die GTÜ-Mannschaft damit, dass exakt dieser Mängel-Mercedes von einem Kollegen in Harburg zwei Jahre TÜV bekommen hatte. Versteinerte Gesichter. Stations-Chef Axel Jacob: "Ich hatte schon länger den Verdacht, dass der Kollege wenig Rückgrat in den Werkstätten zeigt."

Mängel und Prüfergebnisse im Überblick

Doch ob wenig Rückgrat oder sogar Vorsatz: Dieser Test von AUTO BILD und stern-TV zeigt, wie es um Moral und Disziplin in deutschen Prüforganisationen bestellt ist. Eine Momentaufnahme. Nicht mehr, nicht weniger. Fest steht jedoch: Mit den entsprechenden Kontakten gibt es ohne Anstrengung die frische HU-Plakette. Auch für ein Autowrack.