Péage. Schon bei fließendem Verkehr kein Anlass zur Freude, aber im samstäglichen Anreiseverkehr auf Frankreichs Autobahnen eine echte Strafe. Denn an jeder Mautstation staut sich der Verkehr weiter nach hinten, fünf Euro Maut, zwei Stunden Wartezeit. Ausweichen auf die Nationalstraße bringt nichts, auch dort staut es sich wie an jedem Sommerferiensamstag. Immerhin erweist sich der VW Caddy, der zuvor das reichlich vorhandene Reisegepäck klaglos geschluckt hat, als angenehmer Reisebegleiter. Auch hinten geht es luftig zu, die Sitze sind absolut langstreckentauglich. Die getönten Scheiben hinten tragen neben der flotten Klimaanlage zu angenehmen Temparaturen bei, die Navigation arbeitet fehlerfrei. Nach 13 Stunden, davon vier Stunden im Stau, kommen wir in der Bretagne an. Trans La Forêt heißt das Örtchen, auf den Verkehrsschildern steht immer nur Trans.
Die typischen Natursteinhäuser prägen hier das Dorfbild, auch unser Ferienhaus ist ein uraltes Gebäude mit liebevoll sanierten Innenleben und erstaunlich kompletter Ausstattung. Vermieterien Nathalie gibt uns den Tipp, am folgenden Tag nach Dinan zu fahren, dort steigt alle zwei Jahre die Fête des Remparts, ein mittelalterliches Fest in der wohl am besten erhaltenen bretonischen Stadt. Und sie behält recht: Die über 1000 Jahre alte Stadt bietet das perfekte Szenario für eine Art historischen Karneval. Wer sich standesgemäß verkleidet, erhält freien Eintritt unter anderem zum Rundgang auf der Stadtmauer. Die Staffage mit historischen Kostümen scheint hier eine Art Volkssport zu sein, bis zu 5000 verkleidete Ritter, Aussätzige oder Burgfräulein wandeln durch enge Gassen. Lukulisch garniert wird die Freiluftparty mit Cidre und deftig Gegrilltem, da stört es nicht, dass sich 100.000 Besucher durch das 11.000-Einwohner-Städtchen schieben. Ruhe finden Besucher in der prachtvollen Basilika St. Sauveur, deren Bau rund 500 Jahre in Anspruch nahm.

Stau am Mont St. Michel

Mont St. Michel
Der Franzose liebt seine nachmittägliche Pause. Das merken wir auch in Rennes, denn auch in der bretonischen Hauptstadt sind sämtliche Geschäfte für drei Stunden zu. Dem Rundgang durch das Stadttor, durch das einst Könige zu ihrer Krönung schritten, über den wunderschönen Place St. Michel hin zum Rathaus, dessen Turm die Einheimischen wegen seiner Form liebevoll "Le Gros - der Dicke" nennen, tut das keinen Abbruch. Gegen 16 Uhr erwacht die zuvor ruhige Stadt. Wir suchen Zuflucht im Jardin du Tabor, einem Klostergarten, der inzwischen zu einem öffentlichen Park umfunktioniert wurde. Verschlafen und wunderschön liegt Vitré nur 30 Kilometer entfernt auf einem Hügel. Dominiert vom Schloss aus dem elften Jahrhundert sind die Pordres, Fachwerkhäuser auf Stelzen, die Attraktion des Städtchens, in das sich trotz der Hochsaison nur wenige Touristen verirren. Die Kirche Notre Dame ist neben dem Schloss das weithin sichtbare Symbol der Stadt. Wir genießen die Ruhe, denn morgen wird es hektisch.
Beschaulichkeit finden Reisende am Mont St. Michel sicher nicht. Die 708 begonnene Klosteranlage ist der Touristenmagnet der Bretagne und ein Pflichttermin. Schon auf dem Weg zur weithin sichtbaren Anlage auf einer Halbinsel wälzen sich die Automassen auf der kerzengeraden Zufahrtsstraße dem riesigen Parkplatz entgegen. Wer durch die engen Gassen über zahlreiche Treppen dem Kloster auf dem Gipfel zustrebt, braucht gute Nerven. Drei Millionen Besucher pro Jahr schieben sich durch die engen Gassen. Es lohnt sich trotzdem, denn im Kloster herrscht Ruhe, die Anlage begeistert durch schiere Größe und immer neue Aussichten.
Wir erholen uns bei Crêpes und Cidre in Dol, dessen Kathedrale St. Samson als weithin sichbares Symbol der einst reichen Stadt von vergangenem Ruhm zeugt. Lokale Spezialitäten bieten zahlreiche Läden in der Grand Rue des Stuarts, deren älteste Bauten auf das 12. Jahrhundert zurückgehen. Gleich um die Ecke steht der Menhir de Champ Dolent, ein Hinkelstein von beachtlichen 9,30 Metern Höhe. Angeblich trennte er den Erbstreit zweier verfeindeter Brüder, indem er vom Himmel fiel.

Das Meer macht Ferien

Watt
In der Bretagne sollte ein Ebbe/Flut-Kalender zum Reisegepäck gehören. Denn das Meer befand sich in unserer Urlaubswoche tagsüber auf dem Rückzug. Baden bei 17 Grad im Atlantik ist etwas für frostfreie Naturen, gerät aber zur Farce, wenn kein Meer da ist. Cancale nahe Saint Malo ist ein malerisches Küstenörtchen, dessen Strände aber während unseres Besuchs mangels Wasser weitgehend verwaist da lagen. Das nahe Saint Malo war einst Hort von Piraten, die mit dem Segen der Krone Schiffe plünderten. Noch heute schaut der Piratenkopf überall in der Stadt von Fahnen, die Einwohner bezeichnen sich nicht als Franzosen oder Bretonen, sondern als Saint Malons. Den besten Überblick über Stadt und Hafen gibt der mehr als zwei Kilometer lange Rundgang über die Festungsmauer der Stadt. Dass die ehemaligen Piraten mittlerweile ihr Geld mit Touristen verdienen, beweisen zahlreiche Souvenier-Läden in den Gassen der Stadt.

Rosa Felsen, gelber Sand

Heute soll uns der Caddy nach Trégastel bringen, einem alten Seebad mit langen Stränden und rosa Felsen in bizarren Formen. Wir haben den Wolfsburger schätzen gelernt, denn das Platzangebot und auch der Komfort auf der Langstrecke sind trotz der hinten verbauten Blattfedern gut. Grundsätzlich gilt: Je voller, desto doller, denn schwer beladen federt der Caddy geschmeidiger.
An das heftige morgendliche Nageln des Zweiliter-TDI haben wir uns ebenso gewöhnt wie an gelegentliche Aussetzer des sonst sehr guten Navis RCD 510, weil das Kartenmaterial für Frankreich nicht ganz auf der Höhe ist. Der Verbrauch pendelte sich bei gut 7,5 Litern ein, ein ordentlicher Wert für ein stets voll beladenes 140 PS-Auto mit dem cW-Wert einer Schrankwand. In Trégastel finden wir das langersehnte Meer. Auf dem Pilgerpfad entlang bizarrer Felsfomationen, die auf die Namen "Elefant", "Schildkröte" oder "Mönch" hören, fällt die Wahl zwischen diversen tollen Stränden schwer. Teilweise stehen verschlossene und leicht vermoderte Umkleidekabinen hier, die längst keiner mehr braucht. Bereits zur Jahrhundertwende planschten hier gut Betuchte, heute ist Trégastel ein beschaulicher Küstenort für Familien und erstaunlich ruhig.

Muscheln im Schatten der Burg

Muscheln in Fougères
"Diese Burg ist über und weiter als alles, was man sagen kann. Ich bin nicht sicher, dass Fougères nicht die Schönste von allen ist". Das sagte Lawrence von Arabien 1907 über die Feste von Fougères aus dem 11. Jahrhundert, die eine der größten Festungsanlagen Europas ist. Fünf große und acht kleine Türme, die teilweise fantastische Ausblicke über die Altstadt bieten, sind allein das Eintrittsgeld wert. Im Sommer steht hier eine Freilichtbühne, wo Konzerte und Theateraufführungen perfekt eine charmante Kulisse erhalten. Am Fuß der Burg lockt die enge Altstadt, die von der Feste in zwei Teile zerschnitten wird. Im Schatten der Burg auf dem Place Raoul gönnen wir uns Muscheln aus dem nahen Atlantik im "Le Mediéval", das abends mit aufwändiger Küche in edlem Ambiente lockt, tagsüber jedoch in erster Linie Touristen durchfüttert. Es ist der letzte Tag in der Bretagne, die Suche nach dem Meer geht zu Ende.
Infos zur Reise: Ferienhäuser in der Bretagne gibt es unter anderem bei Interchalêt, dem größten Anbieter für Frankreich in Europa. Das Haus "Le Clos St. Michel" für vier Personen kostet in der Hochsaison knapp 700 Euro pro Woche inklusive Endreinigung.

Von

Stephan Bähnisch