Wow, da hat Jaguar ein ganz schönes Brett vorgelegt: Alu-Leichtbau, Hinterradantrieb, rassiges Design – so muss ein dynamischer Mittelklässler aussehen. Optisch ist die Handschrift von Chefdesigner Ian Callum unverkennbar, wobei die Scheinwerfer glücklicherweise eine gewisse Eigenständigkeit behalten haben. Im Gegensatz zu den größeren Modellen XF und XJ sind diese an der Innenseite diagonal gegenläufig zum Grill geneigt, was in einen aggressiveren Blick und hohes Überholprestige mündet. Beim sportlichen Topmodell XE S wird dieses durch die mächtigen Lufteinlässe in der Schürze nochmals unterstrichen. Unter der Fensterlinie führt eine elegante Lichtkante nach hinten, während die Dachlinie sanft abfällt. Am Heck stechen die zweiteiligen Rückleuchten ins Auge – vor allem, weil sie irgendwie eine Nummer zu groß für den XE wirken. Als Fahrer kommt man natürlich viel eher mit den inneren Werten in Kontakt als mit dem Außendesign.
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Filigranes Interieur mit einem Gefühl der Sicherheit

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Video: Jaguar XE (2015)

Dieser Jaguar überrascht

Daher befassen wir uns nun mit dem, was der XE seinen Passagieren zu bieten hat. Beim ersten Beschnuppern fällt zunächst die feine Verarbeitung des nahezu vollausgestatteten Testwagens auf. Das Leder fühlt sich sagen wir mal "britisch" an, die Kunststoffe sind selbst an den Türverkleidungen angenehm hinterschäumt, und die äußeren Lüftungsdüsen haben die Designer derart stimmig in die Türblenden übergehen lassen, dass es schon eine Augenweide ist. Nach außen läuft das XE-Cockpit sehr flach aus, wodurch die äußere Düse quasi auf der verlängerten Armlehne ruht.Darüber läuft die Schulterlinie von der Fensterunterkante einmal um das Cockpit herum und kommt auf der Beifahrerseite in einem Bogen wieder heraus. Dadurch schafft es Jaguar, ein sehr filigranes Interieur mit einem Gefühl der Sicherheit zu verbinden. Beim ersten Einrichten der optimalen Sitzposition bekommt der gute Ersteindruck dann doch noch Risse: Die Einstelltasten der elektrischen Sitze sind für diesen Anspruch arg klapperig geraten – das hätten wir hochwertiger erwartet. Eine passende Sitzposition ist dennoch schnell gefunden, zumal sich die Sitzkonsole auch für Großgewachsene angenehm weit nach unten fahren lässt.

Tasten und Schaltflächen nerven mit Unberechenbarkeit

Jaguar XE
Ob Startknopf, Radio oder Navi: Hier ist eine feste Hand gefragt. Sanftes und beiläufiges Tippen wird mit Ignoranz bestraft.
Ein Druck auf den Startknopf bewirkt ... zunächst nichts. Als auch ein zweiter Versuch an der Situation nichts ändert und immer noch kein Motorgrummeln aus dem Vorderwagen zu hören ist, kommen langsam Zweifel an den eigenen Fähigkeiten auf: Automatik in "P"? – Check. Fuß auf der Bremse? – Check. Als auch ein verständnisloses Kopfkratzen nicht weiterhilft, versuchen wir es einfach ein drittes Mal, und siehe da: "Wrrromomomom", erwachen die 340 PS des XE S zum Leben. Was war nun das Problem? Der Startknopf verlangt schlicht nach fester Hand. Ein sanftes und beiläufiges Tippen straft der Sensor anscheinend mit Ignoranz, was sich noch durch den gesamten Test ziehen sollte – lustigerweise auf digitaler wie analoger Seite. Egal ob beim Abstellen des Autos: Automatik in "P", Parkbremse angezogen, Motorstopp-Taste gedrückt, ausgestiegen – Moment, warum läuft der Motor noch?! Oder bei der Senderauswahl des Radios – stets nerven die Tasten und Schaltflächen im XE mit Arbeitsverweigerung. Auch im Navigationssystem reagieren die Schaltflächen gern mal verzögert, sodass man meint, die Eingabe hätte nicht geklappt, ein zweites Mal tippt – und dann ganz woanders herauskommt.Im Fond lümmelt es sich währenddessen nur bis etwa 1,75 Meter Körpergröße angenehm – vor allem, wenn vorn noch ein groß gewachsener Mitfahrer sitzt. Für längere Staturen wird es eng, sowohl für deren Knie als auch am Scheitel. An letzterem Problem ist freilich die elegant absteigende Dachlinie nicht ganz unschuldig. Doch da kann man sich bei Jaguar trösten: Die Konkurrenz aus Ingolstadt oder München schneidet hier auch nicht viel besser ab. Die Lehne im Fond lässt sich im Verhältnis 40:20:40 umklappen, wodurch sich der Kofferraum von regulär 455 Liter auf deren 830 erweitern lässt. Allerdings muss der Käufer für dieses Feature – wie für viele andere auch – extra in die Tasche greifen: In den oberen vier Ausstattungslinien veranschlagen die Briten runde 500 Euro, in der Basis muss dazu noch die Mittelarmlehne mit zwei Cupholdern für den Fond (102 Euro) dazugeordert werden.

Licht und Schatten beim Motoren-Portfolio

An sich bietet Jaguar im XE motorisch alles an, was man braucht; ein paar Lücken weist die Palette dann aber doch noch auf: So hat man mit dem 20t zwar einen standesgemäßen Einstiegsbenziner – alles unter 200 PS wäre eines Jaguar unwürdig –, obenraus klemmt's jedoch. Und damit meinen wir nicht einmal einen XE RS als potenten M3-Konkurrenten, der sich mit dem hinlänglich bekannten, allseits heiß geliebten und 495 PS starken Fünfliter-Kompressor V8 aus dem F-Type nahezu aufdrängt. Nein, wir reden von einem starken Diesel. Da ist nämlich bei 180 PS Schluss. Dabei stünde im XF doch der seidige Dreiliter-V6-Diesel mit 300 PS parat. Ein bisschen in Leistung und Drehmoment beschnitten, auf – sagen wir mal – 260 PS und 600 Newtonmeter, und schon hätte Jaguar einen perfekten Gegner zu Audis A4 3.0 TDI oder den BMW 330d. Nun, vielleicht legt Jaguar zum Facelift ja noch mal nach. Bis dahin beschäftigen wir uns mit dem, was wir in der Testwagengarage stehen haben.
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