Kia EV6 GT: Test, Elektro, Motor, Akku, Reichweite
7 Pässe in 7 Stunden: So sportlich ist der neue Kia EV6 GT unterwegs
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585 PS, Allrad, Elektro-Antrieb und tiefer Schwerpunkt. AUTO BILD-Redakteur Andreas May fährt mit dem Kia EV6 GT über die Berge. Und hat mächtig Spaß!
Bild: AUTO BILD
Das mit den Reifen tut uns echt leid. Ihr Zustand ist nach sieben Bergpässen in sieben Stunden, na, sagen wir: benutzt. Einige Millimeter Lauffläche kleben auf dem gewundenen Serpentinen-Asphalt und nicht mehr auf dem Pneu. Für unser First Date mit dem Kia EV6 GT sind wir einer Empfehlung von Motorradfans gefolgt. Dieses Auto ist nicht zu behandeln wie ein Auto, dieses Auto ist ein Motorrad mit zwei Rädern mehr – und mit unbändiger Kraft und Vortriebswillen.
In Sölden ist der 77-kWh-Akku voll. Der EV6 lädt wegen des 800-Volt-Bordnetzes wie der Porsche Taycan: Die ersten Schlucke sind auf ex, er saugt, wenn es die Ladesäule hergibt, mit 230 kW und mehr. Das macht er so bis 60 Prozent Akkufüllstand, danach fährt er runter auf immer noch ordentliche 150 kW, von 80 bis 100 Prozent nippt er nur noch. Und wo wir Porsche schon erwähnt haben noch das: 3,5 Sekunden von null auf 100 sind zwei Zehntel schneller als der Taycan GTS.
Jetzt stehen wir ganz allein vor der Schranke am Timmelsjoch und hatten noch nie so ein gutes Gefühl bei der Geldübergabe wie heute. 17 Euro Maut, wir sind fast allein. Da wir also unter uns sind, machen wir uns kurz bekannt. Vom Elektroauto EV6 könnten sie bei Kia mehr verkaufen, als sie haben; ein Jahr Lieferzeit, heiße Ware. Der mit 169 PS und Hinterradantrieb kostet 46.990 Euro, für 60 PS mehr kassiert Kia 4000 Euro Aufschlag, für 325 PS und Allrad 54.890 Euro. Jetzt also die Supersport-Variante. Der GT, 585 PS, Allrad.

Schrei vor Glück! Wenn bei der Bergfahrt die vollen 640 Nm schieben, reicht beim Redakteur die normale Gänsehaut nicht mehr aus.
Bild: F. Roschki / AUTO BILD
Ich könnte laut schreien vor Glück; wir brettern die Passstraße runter und wieder rauf und wieder runter, der GT und ich. Wie der bergauf anschiebt, wie bei 740 Nm Drehmoment die Gänsehaut in einen Entenpanzer übergeht. Wenn es hier nicht so steil bergab ginge, würde sich jetzt das Knöpfchen für den Drift-Modus anbieten; weil es so steil bergauf geht, ist die gelbe Taste im Lenkrad für volle Leistung im GT-Modus längst gedrückt. Irgendwelche Wankneigungen? Nee, über zwei Tonnen liegen wie ein Brett, das elektronische Sperrdifferenzial sorgt für Haftung, als wär's Kukident.

Der schlägt den Taycan: In 3,5 Sekunden sprintet der EV6 GT auf Tempo 100 – und verlangt an der Kasse nur halb so viel wie Porsche.
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Im GT arbeitet vorn ein 218-PS-E-Motor und auf der Hinterachse einer mit 367 PS, was eine Systemleistung von 585 Pferdchen ergibt. In Porsche-Sprech bedeutet das: Dieser Kia parkt zwischen Taycan GTS (517 PS) und Turbo (625), nur beim Preis nicht. Kia nennt ihn noch nicht, wir schätzen 70.000 Euro. Dafür gibt's nur einen halben Taycan GTS!
Rekuperation funktioniert hervorragend
Von Sölden in Österreich nach Cortina d'Ampezzo in Italien sind es 271 Kilometer. Laden wollen wir erst am Ziel, nicht unterwegs. Und da fahren wir grade das richtige Profil. Ja, mit Karacho die Berge rauf, das geht voll AUF den Akku. Aber im iPedal-Modus und ohne zu bremsen die Berge runter, das geht voll IN den Akku.

Schöne Aussichten für sportliche Fahrer: Der Kia EV GT hat vorne einen E-Motor mit 218 PS, hinten schieben noch mal 367 Pferdchen.
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Das Timmelsjoch runter und unten fünf Prozent mehr in der Batterie, nur weil du verzögerst, indem du vom Gas gehst – musst du erleben! Am Ende von Jaufenpass, Grödner Joch und Sellajoch ist mehr Saft im Akku als ein paar Hundert Höhenmeter weiter oben.
Schade eigentlich, dass wir nur den Motor haben bremsen lassen und nicht die neongelben Sättel. Innenbelüftete Scheiben, vorn 380 Millimeter, hinten 360, da sind wir gespannt auf zehn Bremsungen am Stück auf unserer Flughafen-Teststrecke. Wir haben auch schon eine Idee, was der Testfahrerkollege sagen würde: "Geht wie die Sau, steht wie ein Bock!"

Er hätte mehr Glamour verdient: Sein Potential sieht man dem EV6 GT nicht an – von den gelben Bremssätteln mal abgesehen.
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Bei allem dynamischen Talent wäre mehr Glamour für den GT angebracht. Außer an den neongelben Bremssätteln kannst du ihn von außen nur als Superfan von der Basis unterscheiden. Und wir wünschen uns eine sensiblere Sitzverstellung. Ja, das Sportgestühl aus dem Hyundai i30 N bietet perfekten Halt, aber es gibt kein Drehrädchen für die Lehnenverstellung, nur einen Hebel zum Einrasten. Und dann wären da noch die wenigen Makel, die auch die Basis hat.
Kofferraum seitlich mit Hartplastik verkleidet, Klavierlack schmutzanfällig, Senderverstellung umständlich, weil dreimal drücken, Shortcut für Ladestationen wäre klasse. Der Rest ist es. Der Rest dieses Konzepts ist Spitzenklasse. Fahrwerksspreizung fast unendlich, von Komfort (soweit das mit 21-Zöllern geht) bis Performance, alles drin, Beinfreiheit herausragend, Sprachbedienung fast auf BMW-Niveau.

Endstation in Cortina d’Ampezzo: Wir laden nach 271 Kilometern an der 50-kW-Säule, mehr geht hier nicht.
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Laden ginge mit deutlich mehr als 50 kW
Dann geben wir noch mal Gas, der GT und ich – und ich brabbel so vor mich hin: "Man darf die Gänsehaut der Ergriffenheit nicht durch Gaswegnahme abflachen lassen." Mit 14 Prozent Rest sind wir nach 298 Kilometern am Ziel, stöpseln den Kia an den 50-kW-Lader. Und überlegen seitdem, wie wir Kia das mit den Reifen beibringen sollen.
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