Kleinwagen bedeuten immer auch Verzicht? Von wegen! Kia Rio und Nissan Micra beweisen in unserem Vergleichstest das Gegenteil.
Wir sagen Nein! Nein zum Größenwahn. Ja sagen wir dagegen zu Demut und Bescheidenheit – die einen absolut nicht davon abhalten muss, wahre Größe zu zeigen. Bestes Beispiel: unsere beiden Kleinwagen aus Asien. Kia Rio und Nissan Micra haben sich gerade wieder frisch herausgeputzt, buhlen mit flottem Design und attraktiver Technik um die Gunst der Käufer. Welcher Kleine ist hier der Größte?
Der Radstand macht's: Zwischen den Achsen ist beim Rio 5,5 Zentimeter mehr Platz als beim Micra.
Dass der 4,07 Meter lange Kia seinen Mitstreiter um sieben Zentimeter überragt, ist die eine Sache. Dass er auch 5,5 Zentimeter mehr Radstand bietet, ist die andere – und viel wichtigere. Denn sowohl vorn als auch hinten sitzen wir im Koreaner deutlich entspannter als im Nissan. Überall spüren wir ein paar Zentimeter mehr Luft und lümmeln entspannt in den brauchbaren Sitzen. Beim Gepäck herrscht etwa Gleichstand, da kann sich hier keiner der beiden Kandidaten einen echten Vorteil verschaffen. Allerdings leistet sich der Micra die Nachlässigkeit, auf einen doppelten Ladeboden zu verzichten. Damit bleibt bei umgelegten Fondlehnen eine nervige Stufe im Ladeabteil. Bei Kia ist das geschickter gelöst. Weitere Punkte sammelt der Rio mit seiner ausreichend übersichtlichen Karosserie und der nahezu kompletten Ausstattung. Der Micra versteckt dagegen ganze Radler-Rudel hinter den vollformatigen C-Säulen, verzichtet dennoch auf Parksensoren sowie elektrische Fensterheber hinten und eine Höhenverstellung für den Beifahrersitz. Schade, aber dafür ist die Qualität im Nissan richtig gut.
Mehr Dampf: Im Micra-Bug arbeitet ein 0,9 Liter großer Dreizylinder, der es dank Turbo auf 90 PS bringt.
Sagen wir es deutlich: Der Rio ist im Vergleich zum Micra ein kleiner Schnarcher. Trotz 1,2 Liter Hubraum, die sich auf vier Töpfe verteilen, kommt er in mittleren Drehzahlen deutlich langsamer aus dem Quark und fährt dem Nissan hinterher. Der mobilisiert aus seinem winzigen 0,9-Liter-Dreizylinder sechs PS mehr – und beweist dank Turbohilfe deutlich größere Reserven. Bis Tempo 100 liegt der Japaner zwar nur eine halbe Sekunde vorn, bis 130 km/h hat sich der Abstand aber schon auf über zehn Sekunden ausgedehnt. Fröhlich knurrend zeigt der Micra dem Rio auch beim Überholen die Rücklichter – dass er dabei nicht ganz so leise und schüttelfrei agiert, sei ihm verziehen. Für die Endgeschwindigkeit geben die Hersteller ganz ähnliche Werte an, unsere Erfahrungen im Testalltag bestätigen das allerdings nicht wirklich. Da würden wir dem Micra durchaus mehr als das sehr knappe 175 zu 173 km/h bescheinigen wollen.
Erstaunlich eng auch das Rennen um die Sparkrone, die sich am Ende aber keiner der beiden Minis verdient. Der turbolose Kia behält mit 6,4 Litern zwar hauchdünn den Rüssel vorn (Micra 6,5 Liter), für gerade mal 1,1 Tonnen schwere Knirpse um die 90 PS finden wir das allerdings beides nicht gerade hitverdächtig.
Die Bremsen des Kia sind ausgzeichnet
Gute Anker: Aus 100 km/h steht der Kia nach 35 Metern – das war mal Sportwagen-Niveau.
Raum für Verbesserungen lassen die beiden Bonsais auch beim Fahrwerk. Nicht dass wir hier gefährliche Schwächen ausgemacht hätten. Ganz im Gegenteil. An der Fahrsicherheit gibt es nichts zu meckern, die elektronische Straßenwacht ESP hat die Lage auch am Limit fest im Griff. Und der Kia bremst absolut tadellos. Mit rund 35 Metern aus Tempo 100 stoppt er so konsequent, wie es vor einigen Jahren nur Sportwagen schafften – und etwa zwei Meter früher als der Micra. Das verdient unseren Respekt. Was uns stört, betrifft den Federungskomfort. Der Nissan erledigt die Sache auf fiesen Fahrbahnfehlern und buckeligen Boulevards ja noch mit Anstand. Richtig grobe Absätze und Kanten bringen ihn zwar ins Stolpern, dem gemäßigten bundesdeutschen Alltag begegnet er aber mit Nachgiebigkeit und ausreichenden Federwegen.
An der Kasse tun sich die beiden Konkurrenten nicht viel
Kostbare Kleinwagen: Im Testtrimm kosten Nissan Micra 0.9 IG-T und Kia Rio 1.2 über 18.000 Euro.
Der Kia bewältigt die gleiche Tour deutlich aufgeregter und barscher. Schon in der Stadt meldet er jeden Gullydeckel und jede Nachlässigkeit der Straßenbauer. Da zeigt er sich gewissenhaft wie Politessen im Knöllchenrausch – und mindestens genauso unangenehm. Auch über Land kann er diese Steifheit im Anfedern nie ganz ablegen, fehlt ihm die großzügigere Gelassenheit des Nissan. Hier leistet sich Kia eine seiner wenigen echten Schwächen. Kia lockt mit einem Grundpreis von 11.690 Euro – mit allen im Test wirksamen Extras kommt der kleine Koreaner aber auf stolze 18.320 Euro. Viel Geld, das aber auch Nissan verlangt. Im Testrimm werden für den Micra ambitionierte 18.590 Euro fällig. Die großzügigen Garantieversprechen trösten uns immerhin ein wenig. Drei Jahre bei Nissan, sogar sieben bei Kia – bitte nachmachen, auch in Deutschland. Kleiner Haken bei den Fernost-Flöhen: Sowohl Rio als auch Micra müssen jedes Jahr in die Werkstatt, Kia erlaubt alternativ maximal 15.000, Nissan wenigstens 20.000 Kilometer. Ganz ehrlich, da wäre etwas mehr Selbstvertrauen angesagt. Muss ja nicht gleich in Größenwahn ausarten.
Keine Frage, die frische Kurzware aus Fernost gefällt nicht nur mit flotter Optik. Nein, beide Minis vermitteln auch das gute Gefühl, ein richtig erwachsenes Automobil zu fahren. Der Kia setzt sich mit seinem besseren Raumangebot und den geringeren Kosten am Ende recht deutlich an die Spitze. Der Micra bleibt aber ein Tipp für Freunde des flotten Fahrspaßes und eines dynamischen Designs.