Ab Tempo 130 zirpt's nervig im Viano

VW Bus, Bulli, Multivan schreiben seit Jahrzehnten eine glänzende Erfolgsstory. Mercedes-Benz V-Klasse und Vito stehen für eine wenig berühmte Kurzgeschichte. Zur Erinnerung: Eine lausige Verarbeitung zieht sich wie ein roter Faden durch die bisherige Auto-Biografie.

Nun aber ist der Viano da. Der Name steht für neues Vertrauen – und das wird gleich auf die Probe gestellt: Ab Tempo 130 zirpt es nervig in der Armaturentafel. Das Furnierholz der Ambiente-Ausstattung schaut einen teilweise schief an. Die luft-gefederte Hinterachse (1740 Euro Aufpreis für Trend) poltert fast so laut wie Händler und Kunden, denn der Viano steht im Lieferstau: Im Werk Vitoria (Spanien) wird sporadisch gestreikt, das führt zu Produktionsausfällen und Anlaufproblemen.

Kein Anlass zur Schadenfreude bei den VW-Managern im hannoverschen Transporterwerk. Auch der im Frühjahr vorgestellte Bulli T5 steckt noch in den Flegeljahren. Unser Testwagen zeigte sich im Fahrverhalten sowie Komfort eine leichte Spur schlechter, der Bremsweg fiel über zwei Meter länger aus als beim ersten Testexemplar. Nur an den montierten 16-Zoll-Dunlop-SP-Sport (damals 17-Zoll-Conti-Vanco-Contact) kann es eigentlich nicht liegen. Etwa an Serienstreuungen?

Stühlerücken wird zur Schwerstarbeit

Nicht ganz ausgereift wirken auch die Sitzlandschaften im Fond. Beide Wagen haben Schienen im Boden, auf denen Stühle und Tische herumgeschoben werden können. Theoretisch klasse, in der Praxis eine Katastrophe.

Im Viano etwa lassen sich die mittleren Sitze nicht wie im VW gegen die Fahrtrichtung drehen. Sie müssen heraus und um 180 Grad gewendet wieder rein. Dabei verrutschen gern die Gleitschienen. Um den Sitz (29 Kilo) nicht schief anzusetzen, muss zur Korrektur ein Gleitstück verschoben werden. Das geht nur mit sehr viel Kraft.

Beim VW muss der Möbelpacker sogar 42 Kilo stemmen, wenn er einen der drehbaren Mittelsitze ausbauen will. Vorher sind unzählige Plättchen und Distanzstücke aus dem Boden zu pulen, die gern schnell irgendwo verschwinden. So wie uns beim Testwagen auch gleich zwei der sechs Rädchen der verschiebbaren Heckbank entgegenkullerten. Dass deren Bedienhebel nicht klar erkennbar sind und sich die Sitzbank vom Heck her überhaupt nicht verschieben lässt (das Viano-Gestühl auch nicht), ist schlichtweg unmöglich.

Fahrverhalten und Komfort

Doch am liebsten sitzen wir ja vorn. Da verwöhnen beide Konkurrenten mit guter Übersicht und leichter Bedienbarkeit. Nur die Thermotronic (Aufpreis) des Viano funktioniert nach dem Prinzip: Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht? Die Luftverteilung regelt ein Rädchen, erst ein darüber liegendes Display zeigt, wohin geblasen wird. Diese Symbole waren bei Mercedes-Benz früher einfach schon auf dem Drehrad angebracht. Übrigens: Wer in der 506 (!) Seiten langen Betriebsanleitung naiv nach dem Stichwort "Heizung" sucht, der wird auch bei "Klimaanlage" nicht fündig, sondern muss sich das grausliche Kürzel "Tempmatik" einbläuen.

Genug gemeckert. Die beiden Turbodiesel sorgen für Pkw-Temperament. In der Stadt brummeln sie elastisch, bei Tacho 130 liegen Nerven schonende 2400 Touren (Multivan) oder 2900 (Viano) an. Bei voller Fahrt kriegt man im Viano mehr auf die Ohren. Er ist nicht so aufwändig geräuschgedämpft wie der VW, klingt deutlich dieselig. Beim Verbrauch ist der Viano kein Vorbild, auch weil er mit der etwas durstigeren Vollautomatik zum Test antrat. Der auch auf die Wedelpiste führte.

Der recht agile Viano wird voll gepackt etwas unhandlicher, meistert aber den Ausweichtest souverän. Zumal die Stabilitätskontrolle ESP angenehm früh und sanft einsetzt. Der VW ist im Komfort insgesamt besser, beim Ausweichen (mit starker Seitenneigung) aber will er hinten auskeilen, ESP fängt ihn dann etwas ruppig und sehr spät ein.

Kosten und Ausstattungen

Insgesamt fährt hier Autotechnik auf hohem Niveau: Innenausstattungen wie bei der gehobenen Mittelklasse, Lichtleisten und viele Lüftungsdüsen sorgen für Business-Class-Anmutung. In der Langversion (plus 20 Zentimeter) passt der Viano besser zum VW Bus, was ihm jedoch keinen Vorsprung beim Raumangebot verschafft. Denn das ist ohnehin völlig ausreichend und somit gut für volle Punkte.

Die Zielgruppe Großfamilie muss fürs Fünf-Meter-Schiff mit noblem Stern am Grill mindestens 34.278 Euro hinblättern. Und spätestens jetzt kehren sich alle bisher gepflegten Vorurteile um: Der vermeintliche Volks-Wagen erleichtert in dieser Testwagen-Ausstattung das Konto um horrende 41.348 Euro. Ob seine Erfolgs-Story bei diesem Honorar in den Bestseller-Listen bleibt?

Technische Daten und Testwerte

Enttäuschend: Der lange Bremsweg des VW Multivan von rund 43 Metern kostet ihn richtig Punkte. Der Mercedes-Benz Viano ist um fast eine Wagenlänge besser.

Fazit und Wertung

Fazit von AUTO BILD-Redakteur Diether Rodatz Ich mag Originale. Der Bus, Bulli, Multivan ist so eines. Alle anderen waren bisher mehr oder minder gelungene Kopien. Doch nun scheint der "VW Bus" bald seinen Meister gefunden zu haben. Der Mercedes-Benz Viano liegt vorerst nur im Preis vorn, nicht in Zahlen. Vier Punkte fehlen ihm zum VW – im Grunde ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Doch es ist wie beim (Motor-)Sport: Da entscheiden eben auch Tausendstelsekunden zwischen Sieger und Zweitem. Im Detail müssen beide Hersteller aber noch nachbessern: Die Variabilität erfordert zu viel Fummelei.

T5 Multivan oder Viano – Ihr Urteil

Ob ein Auto letztlich ankommt, wissen nur die Verbraucher selbst – also Sie. Deshalb ist uns Ihre Meinung wichtig. Vergeben Sie eigene Noten für VW T5 Multivan 2.5 TDI und Mercedes-Benz Viano 2.2 CDI. Den Zwischenstand sehen Sie direkt nach Abgabe Ihrer Bewertung.