Oberklasse-Revolution durch Fließheck?

"Man entdeckt keinen neuen Kontinent, wenn man immer nur der Küste folgt." Wer könnte diese Weisheit des französischen Schriftstellers André Gide (1869–1951) besser verstehen als Renault? Ob R 30/20 (bis 1984), R 25 (bis 1992) oder zuletzt Safrane (bis 2000): Stets prallten die Franzosen in der Oberklasse an den deutschen Felsen in der Brandung ab.

Dennoch blieb Renault dem Fließheck treu – und bei uns auch chancenlos gegen klassische Stufenheck- Limousinen. Jetzt folgt der nächste Versuch des "Créateur d’Automobiles". Der entgegen allen Klassen-Konventionen gestaltete Vel Satis versucht am Thron des Königs E-Klasse zu rütteln.

Schon die erste Begegnung nährt möglicherweise Zweifel an der Schönheit dieses Raum- Schiffs, nicht aber an der Ernsthaftigkeit seines Vorhabens. Die Mischung aus Van, Fließheck und Kombi trägt das Dach immerhin stolze 1,58 Meter hoch – und überragt die E-Klasse damit um 16 Zentimeter. Hoch-Mut, der innen mit Van-tastischem Sitzkomfort belohnt wird.

Im Vel Satis sitze ich grundsätzlich ein paar Zentimeter höher und entspannter als im Mercedes. Zusätzlich vermitteln die ausladenden Lederpolster noch ein Quäntchen mehr Behaglichkeit als die ebenfalls bequemen Mercedes-Sitze. An eine Kuschel-Couch erinnert mich der Fond des Renault. Hier lässt sich nach Herzenslust räkeln und lümmeln, ohne bei Mobiliar oder Mitreisenden anzuecken. Was jetzt nicht heißen soll, dass die E-Klasse plötzlich kneift – sie verteilt den Raum eben nur anders.

Was im Fond fehlt, steckt im Kofferraum – hier schluckt die E-Klasse glatt ein Köfferchen mehr. Jedenfalls bis der Vel Satis die Fondbank lässig wegklappt (Serie, im Mercedes 499 Euro extra) und mit 1468 Litern protzt.

Der CDI hat einen Antritt wie ein Boxhieb

Klotzen statt kleckern hieß es offensichtlich auch bei den Motoren. Renault leiht sich den 3,0-Liter-Common-Rail- Diesel wie Saab bei Isuzu, lässt die 177 PS aber deutlich kultivierter aufgaloppieren. Nur dezent klingt der V6 nach Selbstzünder, entwickelt seine Kraft ohne Zögern und angenehm gleichmäßig. Bei Bedarf rennt der Vierventiler wie Ludwig XVI. auf der Flucht vor dem Volk, nicht nur angesichts üppiger 10,6 l/100 km fühlt sich der dCi aber eher dem Motto „Reisen statt rasen“ verpflichtet. Auch wenn die manierliche Automatik bei flotter Fahrt übereifrig im kleinen Gang verharrt.

Bissiger setzt sich der 270 CDI in Szene. Der 177 PS starke Common Rail der zweiten Generation stemmt mit der unbedingt empfehlenswerten Automatik (2007 Euro) gewaltige 425 Nm. Damit erreicht der Fünfzylinder trotz leichter Anfahrschwäche fast schon Sportwagenwerte, hängt hellwach am Gas und zieht unwiderstehlich durch. Nur der bisweilen raue Unterton stört den Diesel-Genuss. Auch die aufpreispflichtige Luftfederung AIRmatic (1856 Euro) überzeugt nicht restlos.

Trotz hoher Schluckfreudigkeit lässt der E 270 CDI seine Gäste bei forcierter Gangart über den Straßenzustand nicht im Unklaren. Kleine Bodenwellen und Querfugen erspart auch der straff abgestimmte Vel Satis mit den mächtigen 18-Zoll-Rädern seinen Gästen nicht. Gepflegte Pisten und lange Wellen nimmt er aber sehr sanft und komfortabel, bremst fahrerischen Übermut mittels ESP sicher ein.

Im Vel Satis regiert der Luxus

Quasi ungebremst schwelgen wir dagegen im edlen Ambiente des Vel Satis Initiale. Drei-Zonen-Klimaautomatik, Leder, Navigation, CDWechsler, Keyless Entry & Drive – hier regiert der Luxus. Dazu passt die kühle Eleganz des stilsicheren Cockpits, das mit feinen Oberflächen und hoher Funktionalität gefällt. Einzig ungleiche Spaltmaße und die schlechte Übersichtlichkeit der Karosserie stören.

Mit deutlich weniger Ausstattung, aber kaum zu überbietender Noblesse fährt die E-Klasse vor. Zierholz und feine Chromrähmchen setzen die Glanzpunkte, Verarbeitung und Bedienbarkeit überzeugen – dafür würden wir glatt noch ein Extra-Sternchen vergeben. Wäre da nicht der Preis: Wer im vermeintlich günstigeren E 270 CDI nämlich den Luxus des Vel Satis erleben will, zahlt deutlich drauf. Eindeutig mehr als nur eine Formsache.

Technische Daten

Der E 270 CDI zeigt fast schon sportliche Fahrleistungen. Der Vel Satis 3.0 dCi wirkt ein wenig seidiger und gepflegter, aber auch weniger agil. Das liegt nicht zuletzt am höheren Gewicht und an der vier Zentimeter breiteren und knapp 16 Zentimeter höheren Karosse. Als souveräne, schnelle und nervenschonende Reisewagen sind beide hervorragend geeignet.

Fazit und Zeugnis

Trotz revolutionärer Optik und des tollen Raumkonzepts schafft der Renault Vel Satis 3.0 dCi keine französische Revolution. Am Ende muss er dem Mercedes E 270 CDI den Vortritt lassen. Mitentscheidend für die Niederlage: der weniger bissige, aber trotzdem durstigere Motor. Dennoch: Noch nie konnte sich eine Oberklasse aus dem Hause Renault gegen einen Mercedes so gut behaupten wie der Vel Satis.

Punktewertung

Der Vel Satis erhält beim Thema Kofferraum und Variabilität trotz kleineren Kofferraums vier Punkte mehr als der Mercedes. Grund: Mit großer Heckklappe ist er natürlich deutlich variabler und verlangt für geteilte Fondsitze keinen Aufpreis.