Renault Espace
Der neue Espace baut nicht mehr so hoch und folgt damit dem Trend zum sportlich-flachen Raumauto.
Der Van ist tot, es lebe der Van: Nachdem Renault sich lange schwer getan hat mit der Nachfolge-Regelung für den Espace, bringen die Franzosen jetzt nach 13 Jahren tatsächlich doch noch mal eine neue Generation ihrer großen Großraumlimousine in den Handel. Jedoch werden sich Raumfahrer die Augen reiben, wenn die fünfte Auflage des Segmentbegründers am 4. Mai 2015 an den Start geht. Denn außer dem Namen ist nicht mehr viel geblieben von dem Van, der drei Jahrzehnte lang mit seiner unkonventionellen Form, Platzangebot und Variabilität begeistert hat.
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Weil Großraumlimousinen eine bedrohte Spezies sind und alle Welt nach modernen Geländewagen schreit, macht sich auch der Espace flach, wird zum bulligen Beinahe-SUV und prunkt dafür innen mit einem Luxus und einer Liebe zum Detail, wie man sie bei Renault seit dem Vel Satis nicht mehr erlebt hat – serienmäßige LED-Scheinwerfer und Neuerungen wie die automatische Abstandsregelung inklusive. Schon der Zündschlüssel ist ein Schmuckstück, das man stolz auf den Tresen legt.
Renault Espace
Spaciges Cockpit mit feinen Materialien und einem hochkant stehenden Monitor.
Und wo früher rund ums Lenkrad nur Hartplastik zu fühlen war, schmeicheln jetzt Chrom und Klavierlack Händen und Augen. Dabei ist das Cockpit fast so revolutionär wie bei Tesla. Während die eigentlichen Instrumente endlich wieder ins Blickfeld des Fahrers rücken, thront in der Mittelkonsole ein senkrecht montiertes Touchpad, über das man fast alle Komfort- und Infotainment-Funktionen mit einem Fingerzeig steuern kann. Dazu noch ein ebenso buntes wie liebevolles Beleuchtungskonzept, ein ausfahrbares Head-Up-Display, ein Schaltknauf wie der Schubregler aus einem Düsenjäger und feudale Massagesessel fast wie in einer Oberklasse-Limousine – schon fühlt man sich wie Captain Future in der First Class. Und dass die Franzosen dabei in manchen Details über das Ziel hinaus geschossen sind und zum Beispiel den Drehknopf für die Radio-Bedienung vergessen haben, das sieht man ihnen nach zwei, drei Tagen der Eingewöhnung sicher gerne nach.
Renault Espace
Pragmatismus muss bei aller Schönheit sein. Das Handschuhfach ist eine riesige Schublade.
So weit, so gut. Doch das Raumgefühl bleibt mit dem neuen Zuschnitt irgendwie auf der Strecke. Zwar gibt es genügend Platz auf allen Plätzen. Weder Kopf noch Knie stoßen irgendwo an. Nach wie vor kann man die drei Sitze in der zweiten Reihe einzeln verschieben und in der Neigung verstellen. Auf den Klappsesseln in der dritten Reihe sitzt man besser als in den meisten großen Geländewagen. Und der Kofferraum ist bei voller Bestuhlung mit seinen 680 Litern schon stattlich und wird riesig (2101 Liter), wenn man mit einem Knopfdruck erst einmal elektrisch alle Sitze flachgelegt hat. Außerdem lockt der Espace mit einer elektrischen Heckklappe, die sich bereits mit einem angedeuteten Fußtritt öffnen lässt.
Aber selbst wenn einem das gewaltige Panoramadach einen großzügigen Raumeindruck vermittelt, fühlt es sich im Espace nicht mehr spacig, sondern eher kuschelig an. Dieser Van ist keine luftige Lounge mehr, sondern ein intimer Kokon. Das gilt insbesondere für die erste Reihe, wo man von der hohen, durchgehenden Mittelkonsole förmlich eingemauert wird. Ach ja, und einen bequemen Fußraum im Fond haben die Entwickler auch in der fünften Generation noch nicht hinbekommen. Wie eh und je muss man hinten die Knie zwischen die Ohren nehmen und fühlt sich nach langen Fahrten entsprechend erschöpft.

Der Wendekreis beträgt kompakte 11,10 Meter

Neuerfindung der Raumfahrt
Bei den Motoren ist bei dem 200-PS-Benziner Schluss, beim Diesel sind es maximal 160 PS.
Das neue Konzept hat aber auch seinen Vorteil: Als Fahrer wird man jetzt wieder Teil des Geschehens. Wer mit einem Druck auf die Multi-Sense-Taste die Sinne schärft, spürt eine straffe Lenkung und einen Triebstrang, der es ernst meint mit dem Vorwärtsdrang. Denn die Doppelkupplung schaltet etwas später hoch und früher herunter und der Motor reagiert ein bisschen gieriger aufs Gas. Dass man im Espace am liebsten vorne links sitzt, liegt aber vor allem am System 4Control. Das klingt zwar nach Allrad-Antrieb und würde ja auch gut zum SUV-Gehabe des Vans passen, steht aber für die optionale Hinterradlenkung: Weil die Räder im Heck je nach Situation bis zu zwei Grad mit oder 3,5 Grad entgegen der Fahrrichtung eingeschlagen werden, fühlt sich der Espace bei hohem Tempo stabiler und beim Rangieren viel kleiner an, als er tatsächlich ist. Nicht umsonst misst der Wendekreis nur 11,10 Meter, was bei 4,86 Metern Länge und 2,88 Metern Radstand kein schlechter Wert ist. Ein Clio braucht für die Kehre schließlich auch schon 10,80 Meter.Wunder darf man vom Espace allerdings keine erwarten. Das Auto ist zwar handlich, aber trotzdem nicht sonderlich agil. Denn wo die Franzosen früher im Espace ihre größten Motoren eingebaut haben, gibt es jetzt nur noch downgesizte Schrumpftriebwerke, bei denen Turbos den mangelnden Hubraum kompensieren sollen: Los geht es bei einem 1,6 Liter großen Diesel mit 130 PS, und Schluss ist schon bei einem Benziner, der aus identischem Hubraum 200 PS holt. Die vermutlich wichtigste Motorisierung ist der stärkere Diesel, der ebenfalls 1,6 Liter Hubraum hat, aber wenigstens auf 160 PS kommt. Mit 380 Nm wuchtet er den Wagen zwar in 9,9 Sekunden auf Tempo 100 und schafft mit ein bisschen Anlauf immerhin 202 km/h. Doch zur Rakete taugt der Raumkreuzer damit nicht. Viel eher gibt er den Langstreckenflieger und Kilometerfresser, der eine entspannte Fahrweise mit einem entsprechend niedrigen Puls und einem vernünftigen Verbrauch goutiert. Nicht umsonst ist der riesige Renault auf dem Prüfstand mit vergleichsweise mageren 4,7 Litern zufrieden.

Fazit

von

Thomas Geiger
Flacher und kuscheliger als je zuvor, dafür aber vollgestopft mit jeder Menge Technik und endlich mit Lust und Liebe ausgestattet – so hat Renault den Pionier der Raumfahrt nach 30 Jahren noch einmal neu erfunden. Zwar werden sich die Bestandskunden mit der Umgewöhnung ein bisschen schwer tun. Doch nachdem die Zahl der Espace-Verkäufe in den letzten Jahren immer weiter in den Keller gegangen ist, muss Renault darauf auch nicht mehr so viel Rücksicht nehmen und kann sich mit dem neuen Zuschnitt vielleicht auch neue Kunden erschließen.  Außerdem gehört die Liebe auf den zweiten Blick beim Espace durchaus zur Tradition. Denn als 1984 der erste Espace vorgestellt wurde, haben sich im ersten Monat gerade einmal neun Kunden für das damals revolutionäre Konzept erwärmen können. Mittlerweile allerdings sind es rund 1,5 Millionen.

Von

Thomas Geiger