Eine Geschichte ohne Ende: Kadett gegen Käfer, Kadett gegen Golf, dann Astra gegen Golf – das ewige Duell. Es gab Zeiten, da zitterten sie in Wolfsburg, wenn Opel zum Gegenschlag ausholte. Wie Wackelpudding in einem Speisewagen. Doch am Ende war es immer der Volkswagen, der beim Volk die Nase vorn hatte. Schicksal. Aber oft auch verständlich, denn die Anreize der Rüsselsheimer Alternativen hatten bisweilen die Qualität von abgestandenem Kamillentee. Nicht so der neue Astra. Verglichen mit seinen Vorfahren wirkt er anziehend wie Chanel No. 5. Elegant, schlank, wohlgeformt – noch nie machte ein Opel der Kompaktklasse so viel her. Wobei von "kompakt" bei näherer Betrachtung nicht die Rede sein kann. Der Astra misst jetzt 4,42 Meter, das sind 17 Zentimeter mehr als beim Vorgänger. Sechs Zentimeter breiter ist er auch. So groß war früher der Vectra. Zu viel des Guten? Die angepeilte Kundschaft zumindest wird nicht meckern – ein echter Opel muss nun mal viel Auto fürs Geld bieten.

Hier geht es zu den neuen Markenseiten von autobild.de

Und außerdem ist er optisch das glatte Gegenteil des Golf. Was auch kein Fehler sein dürfte: Aufrecht steht der Bestseller unter den Kompakten neben dem Herausforderer. Fließende Linien wie beim Astra sind ihm fremd. Dafür ist der Golf 22 Zentimeter kürzer. Und dennoch etwas teurer. Wir haben den fünftürigen 1.4 TSI mit 160 PS dabei, und der steht mit 23.215 Euro in der Preisliste (als "Comfortline"). Einen vergleichbar ausgestatteten Astra 1.6 Turbo ("Edition") gibt es für 22.100 Euro, aber er hat 20 PS mehr. Und erheblich günstigere Versicherungstarife. 1:0 für Opel. In unserem Vergleich tritt das 180-PS-Topmodell aber als "Sport" an, was unter anderem zu Sportsitzen, Klimaautomatik, Nobel-CD-Radio, Tempomat und 17-Zoll-Alurädern berechtigt. So viel Pracht kostet dann gleich 23.950 Euro – das ist im Klassenvergleich okay. Vorläufig kann Opel nur mit handgeschnitzten Vorserienautos dienen. Ein waschechter Test nach harter AUTO BILD-Norm ist folglich noch nicht drin. Aber zur ersten Kraftprobe langt es.

Der neue Astra empfängt seine Insassen mit gediegener Eleganz

Opel Astra 1.6 T
Erste Frage: Hält das Schmuckstück innen, was es außen verspricht? Klare Antwort: ja. Der neue Astra empfängt den Insassen mit einer gediegenen Eleganz, die viele Zeitgenossen der Marke nicht zugetraut hätten. Zumindest vor dem Auftauchen des Insignia, der bei Qualität und Design sichtbar Pate stand. Die Zeiten, als die Innenräume von Opel noch den Charme eines Behörden-Wartesaals hatten, sind vorbei. Im Vergleich zum sachlich-streng gestylten Golf-Cockpit sieht es nun aus wie im Designer-Laden. Da ist es vielleicht auch nicht so schlimm, dass die Bedienung einer gewissen Fingerfertigkeit bedarf: Wer im Schalterhaufen auf der Mittelkonsole die richtige Taste trifft, hat Glück gehabt. Der Umgang mit dem Golf fällt leichter. Und überhaupt ist die schicke Opel-Karosse nicht die praktischste. Die vielen Ablagemöglichkeiten, der Stolz der Inneneinrichter, entpuppen sich als Minibehälter, geräumige Fächer fehlen. Die Übersichtlichkeit nach allen Seiten ist stark eingeschränkt, der Einstieg in den Fond beschwerlich, die Ladeluke zum Kofferraum schmal. Das alles kann der Wolfsburger besser.
Zweite Frage: Im langen Astra geht es doch deutlich geräumiger zu als im kurzen Golf? Klare Antwort: nein. Die Platzverhältnisse vorn und hinten gleichen sich – gefühlt zumindest. Hier wie dort finden vier Erwachsene bequem Unterschlupf, und es mangelt auch nicht an Kopfraum, was im Fall des coupéartig überdachten Astra überrascht. Doch von den zusätzlichen Zentimetern des Opel bleibt innen nichts übrig. Sie dienen vor allem der Schönheit und ein wenig auch dem Kofferraum. Der fasst mit 370 Litern 20 mehr als jener des Golf. Bei umgeklappten Rücksitzen liegt freilich der VW vorn: 1305 zu 1235 Liter. Aus der Abteilung "Kann man so machen": Der faltbare Gepäckraumboden im Astra ist dreifach höhenverstellbar und ermöglicht in der obersten Stufe eine ebene Ladefläche.

Schlechte Straßen bügelt das Opel-Fahrwerk erstaunlich geschmeidig aus

Opel Astra 1.6 T
Frage Nummer drei: Ist der neue Astra nur schön, oder ist er auch gut? Antwort, diesmal etwas weniger klar: Ja, gut ist er – aber keineswegs perfekt. Erstaunlich, wie geschmeidig das Prachtstück schlechte Straßen glattbügelt, vorausgesetzt, der Fahrer drückt zuvor auf die "Tour"-Taste. Sie gehört zum Flex-Ride-Fahrwerk (Aufpreis 930 Euro) und ist das komfortabelste von drei Stoßdämpferprogrammen. Dann können sogar die bei unserem Exemplar aufgezogenen 18-Zoll-Räder (490 Euro) die Ruhe nicht stören. Und der Golf (mit 16-Zöllern und ohne adaptive Dämpfer) kommt einem im direkten Vergleich plötzlich ein wenig hölzern vor. Gut gemacht. Für die Wahl eines der strafferen Dämpferprogramme besteht denn auch keine Veranlassung. Schade nur, dass es die bessere Lenkungsabstimmung mit reduzierter Servounterstützung ausschließlich auf "Sport"-Befehl gibt. Andernfalls reagiert der Astra auf kleine Lenkausschläge nämlich immer noch zu verwaschen. Zugegeben, nur eine Nuance, und ansonsten ist der Fortschritt gegenüber dem Vorgänger erheblich. Neue Vorderachse nach Art des Insignia, breitere Spur, die Wiederentdeckung des guten alten Watt-Gestänges zwecks Abstützung der hinteren Verbundlenkerachse, verfeinerte Elektronik.
Weitere Details zu Astra und Golf finden Sie in der Bildergalerie. Den kompletten Artikel mit allen technischen Daten und Tabellen gibt es als Download im Heftarchiv.

Fazit

von

Wolfgang König
Nicht jeder möchte einen Golf. Manchen ist er zu nüchtern, zu alltäglich, einfach zu gewöhnlich. Wer sich zur Gruppe der Golf-Verweigerer zählt, darf künftig getrost bei Opel vorbeischauen: Der neue Astra wird sie angenehm über raschen. Er sieht appetitlich aus, wirkt hochwertig und fährt geschmeidig. Da könnten sogar Golf-Abonnenten schwach werden. Was unter der Motorhaube steckt, dürfte sie freilich weniger beeindrucken. Und solange das so ist, darf bei VW erst mal aufgeatmet werden. Denn ansonsten hätte es für Wolfsburgs Bestseller ganz schön eng werden können.

Von

Wolfgang König