Müdigkeitswarner, Spurwechselassistent, City-Notbremssystem – für Autofahrer sind diese elektronischen Helfer längst Alltag. Ähnliche Technik hält nun auch beim Motorrad Einzug: Zulieferer wie Bosch, Continental und Jarvish entwickeln Abstandsregler, Kollisionswarner und Notbremssysteme für Motorräder oder Helme mit Alexa-Integration. Das Ziel: den derzeit 23-prozentigen Anteil der Zwei- und Dreiradfahrer unter den weltweit 1,25 Millionen Verkehrstoten pro Jahr zu verringern. "Wir gehen davon aus, dass radarbasierte Assistenzsysteme jeden siebten Motorradunfall verhindern können", sagt Geoff Liersch, Leiter des Produktbereichs Two-Wheeler and Powersports bei Bosch. "Die elektronischen Assistenten sind immer aufmerksam und reagieren zur Not schneller als der Mensch. Sie sind das Sinnesorgan des Motorrads." Und dringend nötig, betrachtet man die Unfallursachen von Motorradunfällen in Deutschland: Bei jedem fünften Crash fährt ein Biker hinten auf den Vordermann auf. Hinzu kommen allgemeine Fahrfehler (27 Prozent) und Stürze beim Abbiegen oder an Kreuzungen (37 Prozent).
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Video: Bosch (2018)

Mehr Sicherheit für Motorräder

Aktive Traktions- und Stabilitätskontrolle

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Video: Autonomes BMW Motorrad (2018)

Selbstfahrendes BMW-Bike

Bereits verfügbar sind aktive Regelsysteme wie ABS (EU-Pflicht seit 2016) sowie Traktions- und Motor-Stabilitätskontrolle (MSC) für mehr Sicherheit beim Bremsen und Beschleunigen. Viele Hersteller bieten auch Navigationssysteme und ähnliche Assistenten an. Seit 2016 rüstet BMW Motorrad seinen Maxiroller C 650 GT mit einem "Side View Assist" (SVA) aus. Hier überwachen Ultraschallsensoren den toten Winkel. Weitere Hersteller wollen nachziehen. AUTO BILD zeigt, welche Motorrad-Assistenten serienreif sind und worauf wir noch warten müssen:

Neue Assistenten fürs Motorrad

Bosch entwickelt einen adaptiven Abstands- und Geschwindigkeitsregler (ACC)

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Die logische Weiterdrehe des Tempomats fürs Bike: Der Fahrer legt das Zieltempo fest, das Motorrad hält die Geschwindigkeit. Taucht ein Hindernis auf, verzögert ACC das Bike automatisch und hält den Abstand zum Vordermann konstant. Ist der Weg wieder frei, beschleunigt das Motorrad selbsttätig aufs Wunschtempo. Aktuell funktioniert das bis ca. 160 km/h, allerdings recht gemächlich. Biker selbst würden vermutlich vehementer Gas geben. Technisch ginge das: "Die Abstimmung ist letztlich Herstellersache", sagt Geoff Liersch, Leiter des Produktbereichs Two-Wheeler and Powersports von Bosch.

Wie funktioniert Boschs Abstandsregler ACC?

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Das Verzögern beim Abstand halten erfolgt in drei Schritten: erst nur Motorbremse, dann zusätzlich Hinterrad- und letztlich auch Vorderradbremse. Fällt das Tempo dabei unter 30 km/h, muss der Fahrer übernehmen. Beim automatischen Runterbremsen bis zum Stillstand könnte der Fahrer das Gleichgewicht und die Kontrolle verlieren.

Der Kollisionswarner blinkt im Notfall

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Fährt der Biker zu dicht auf und riskiert einen Crash, blinkt beim Bosch-Versuchsmotorrad ein großes Warndreieck im Cockpit auf. Bei Helmen mit Bluetooth-Kopfhörer-System soll zusätzlich eine akustische Warnung erfolgen. Das dürfte die Aufmerksamkeit deutlich erhöhen.

Totwinkelwarner im Spiegel

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Schludert der Fahrer beim Schulterblick, warnt ihn Boschs Totwinkelwarner per orangefarbener Leuchte an den Spiegeln davor, zum falschen Zeitpunkt die Spur zu wechseln. Sollte der Vordermann plötzlich und unerwartet eine Notbremsung hinlegen, kann man dank dieses Systems blitzschnell entscheiden, ob man gefahrlos ausweichen kann oder ebenfalls bremsen muss.

Anti-Abschmiertechnik von Bosch

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Noch ein reines Forschungsprojekt, aber bereits praxiserprobt, ist ein System zur "Rutschverhinderung" von Bosch. Hierbei geht es um eine der größten Sorgen aller Motorradfahrer – das schlagartige Abschmieren in Kurven. Ändert sich der Reibwert des Straßenbelags, klappt das Vorderrad plötzlich unvermittelt ein, es folgt meist ein Sturz. Beim Prototyp von Bosch wird im kritischen Moment seitlich unten am Rahmen eine Art Mini-Explosion ausgelöst, die das Bike per Rückstoß wieder in die Spur drückt. Lautstark und effektiv wie ein Airbag, von dem auch der Zünder stammt. "Bis zur Serienreife ist es aber noch ein langer Weg", sagt Bosch.

Continental baut Notbremsassistenten

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Der Notbremsassistent von Continental überwacht den Bereich vor dem Motorrad per Radar. Taucht ein Hindernis auf, wird der Fahrer als erstes optisch, dann akustisch und schließlich durch Vibration im Lenker gewarnt. Dann wird der Vorbremsdruck verringert, damit der Bremsvorgang leichter fällt. Reagiert der Fahrer nicht, bremst das Motorrad selbstständig, jedoch deutlich sanfter als ein Auto. Das soll die Fahrstabilität erhalten. Die neue Generation von Radasensoren von Continental können nach Hersteller-Angaben auch kleine Objekte auf der Straße entdecken.

Intelligenter Tempomat

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Der intelligente Abstandsregeltempomat von Continental passt die Geschwindigkeit des Fahrzeugs automatisch dem Vorausfahrenden an. Auch der Tempomat arbeitet mit dem nach vorne ausgerichteten Fernbereichsradar und funktioniert auch in Schräglage. 

Continental bietet Totwinkelassistenten an

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Continentals Totwinkelassistent erfasst die Gegend hinter dem Motorrad mit Nahbereichssensoren und warnt beim Spurwechsel vor Fahrzeugen im toten Winkel.

Verkehrszeichenerkennung filmt Schilder

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Die Verkehrszeichenerkennung von Continental filmt die Schilder in Fahrtrichtung und zeigt dem Fahrer Tempolimits, Überholverbote und Einfahrverbote in Einbahnstraßen an.

Scheinwerferassistent schaltet Fernlicht ein

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Damit der Motorradfahrer immer so gut wie möglich sehen kann, will Continental ihn mit Fernlicht fahren lassen. Kommt ein Fahrzeug entgegen, dimmt der Assistent das Licht der Maschine automatisch herunter.

Kollisionswarner bremst nicht

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Der Kollisionswarner von Continental meldet dem Fahrer eine Gefahr, bremst im Gegensatz zum Notbremsassistenten aber nicht mit. Sämtliche Helfer können modular zusammengestellt und so laut Hersteller individuell auf die Anforderungen bestimmter Märkte abgestimmt werden.

Jarvish holt Alexa in den Helm

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Das taiwanische Unternehmen Jarvish arbeitet an zwei neuen Motorradhelmen: Beide Helme sind mit intelligenter Elektronik ausgestattet und sollen 2019 auf den Markt kommen. Sie unterstützen Siri, Alexa und Google Assistant. Umständliches Suchen nach dem Handy in der Tasche während einer Rotphase soll damit der Vergangenheit angehören. Für Wegbeschreibung, Wetterbericht oder die Wiedergabe von Musik muss das Handy nicht mehr direkt bedient werden.

Autonomes Motorrad von BMW

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Schließlich stellte BMW 2018 eine autonom fahrende BMW R 1200 G vor. Die wie von Geisterhand fahrende Maschine soll als Plattform für die Entwicklung weiterer Assistenten und Sicherheitssysteme dienen.

Von

Ralf Bielefeldt