Mit dem Arteon will VW zurück in die gehobene Fahrzeugliga. Wie da die Chancen der Wolfsburger stehen, zeigt ein Vergleich mit dem Volvo S90.
Kenn Sie Pfeffersäcke? Nein, wir meinen keine mit scharfen Gewürzen gefüllte Beutel. In Hamburg steht der Ausdruck für besonders betuchte Kaufleute aus uraltem Geldadel. Neureiches Gehabe ist diesen gesetzten Herren fremd, lieber wird tiefgestapelt. Kurz: Es wird ungern "auf dicke Hose" gemacht.
VW hat das neue Flaggschiff schön herausgeputzt
Video: VW Arteon gegen Volvo S90 (2017)
Arteon im ersten Oberklasse-Duell
Ganz anders bei VW. Die putzen ihren neuen Arteon mächtig heraus. Soll jeder sofort erkennen, dass hier das neue VW-Flaggschiff vorfährt. Stattliche 4,86 Meter lang, breiter Grill, scharfe Lichtsignatur, feine Bügelfalten im prallen Anzug – das sieht tatsächlich nicht billig aus. Auf den ersten Blick scheint der Arteon sogar tauglich für die Oberklasse. Das fahren wir am besten aus, mit einem echten Vertreter dieser Liga. Volvos S90 ist eine typische "Macht-was-her"-Limousine. Fast fünf Meter lang, als Benziner mindestens 254 PS stark und hochwertig mit Luftfederung und Achtstufenautomatik aufzupeppen. Auch VW liefert reichlich moderne Technik. Virtuelles Cockpit, Multimediasystem mit Gestensteuerung, Stoßdämpfersystem DCC, sogar navigestützte Licht- und Temporegelfunktionen – alles da. Neu ist das Ganze nicht.
Beim Fahrwerk zeigt sich der Arteon auf bestem Niveau
Gut abgestimmt: Selbst auf den breiten 20-Zöllern des Testwagens rollt der VW noch erträglich ab.
Bild: Toni Bader / AUTO BILD
Denn im Grunde baut der Arteon auf einem Golf auf. Das viertürige Coupé nutzt die sogenannte MQB-Plattform, pumpt sich in Breite und Länge auf, doch Fahrwerks-, Elektronik- sowie Antriebsbausteine stammen aus anderen VW-Modellen. Das kann man als fade abtun – oder als brauchbare Basis annehmen. Dank dieser Technik fährt der Arteon wie alle Typen des MQB-Kastens: sehr anständig und ausgereift. Die Federung arbeitet tadellos, die Lenkung reagiert dank Übersetzungsprogression direkt und dennoch richtungstreu, Fahrstabilität und Handlingeigenschaften liegen auf bestem Niveau. Selbst die 20 Zoll großen Räder des Testwagens verhageln dem Arteon nicht den Komfort – sie rollen für diesen harten Querschnitt (und 3.0 Bar Luftdruckempfehlung) erstaunlich erträglich ab.
Ganz anders beim Volvo. Unter seinen 20-Zöllern rumpelt es auf jeder Bitumen-Flickstelle. Auch der Motor – ein 2,0-Liter-Vierzylinder-Turbo – lässt mehr von sich hören als im VW. Die Lenkung des Volvo arbeitet gefühlsärmer, unter Last in den unteren Gängen zuppelt es unwürdig im Vorderachsgebälk. Souverän geht anders.
Eine Frage der Haptik: Der Volvo S90 fühlt sich im Vergleich zum Arteon einfach feiner an.
Bild: Toni Bader / AUTO BILD
Dennoch fühlt sich der S90 stattlicher und feiner an. Saubere Verarbeitung und das optisch ansprechende Cockpit heben den Volvo eine halbe Etage über den Arteon. Schade: Die Bedienlogik des Touchscreens über verschiedene Menüebenen lenkt empfindlich vom Verkehr ab. Auch der VW arbeitet alles andere als intuitiv: Das tastenfreie Kontrollzentrum (vorrangig über einen großen Berührbildschirm) nervt genauso wie das typische Anfahr-Päuschen aus dem Stillstand. Auch die phlegmatische Schaltlogik der DSG-Automatik nach Kickdown- Kommandos stört den gediegenen Fahrfluss. Trotz üppiger Ausmaße können große Erwachsene hinten nicht aufrecht sitzen – es fehlt unter der fließenden Dachform der Raum überm Scheitel. Die große Heckklappe dagegen macht den schicken Gleiter variabel. Wie im Kombi lässt sich der Kofferraum (bis 1557 Liter) auch für sperriges Gepäck nutzen.
Ab 49.325 Euro kostet der Arteon – als 280 PS starker TSI mit 4x4 und DSG. Der schwächere Volvo S90 (Frontantrieb) ist für 50.450 Euro zu haben. Die feine Gesellschaft hat eben ihren Preis.
Fazit
von
Andreas Borchmann
Vergleich gewonnen, Aufstieg verpasst. Der VW Arteon ist gut, für die Oberklasse fehlt ihm Wow-Effekt. Sein Auftritt ist bieder, zu golfig. Der Volvo strahlt heller, ist technisch aber nicht so fein abgestimmt.