Wir kennen das: Seit Jahren strickt Volkswagen die Qualitätsmasche. Präsentiert sich als Leuchtturm in einem Meer von Billigheimern, als Bollwerk gegen die Diktatur des Rotstifts, die uns Nepp und kurzlebigen Plunder aufzutischen versucht. Sie reiten auf ihren "Spaltmaßen" herum, den akkuraten Passungen der Karosserieteile, und betören Kunden und Autotester mit ausgefeilter Qualitätsoptik im Innenraum. Sehr gekonnt, die Show. Nur: Was verbirgt sich hinter der Fassade? Die Praxis im AUTO BILD-Dauertest bewies: Nicht alles, was bei VW glänzt, ist Gold. Abgesehen vom tapferen Tiguan landeten fast alle Volkswagen, die in den vergangenen elf Jahren jeweils 100.000 Testkilometer absolvierten, hinten in der Zuverlässigkeitsrangliste. Krasser konnte der Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit nicht ausfallen. Und nun? Kann VW das Qualitätsversprechen einlösen, und zwar zuverlässig?
VW Golf 1.4 TSI Comfortline
Ob die Fahrt ins osthessische Fachwerk-Kleinod oder nach Südtirol führte – der Golf absolvierte die Reisen routiniert.
Für den Abgleich mit der Realität wählten wir diesmal den Golf, immer noch die bei Weitem stärkste Säule des Imperiums. Genauer: einen Golf TSI Comfortline mit ein paar gängigen Extras. Gut 29.000 Euro würde ein solches Exemplar heute kosten, obwohl keineswegs übertrieben luxuriös ausgestattet. Ein Spitzenpreis, dafür darf man auch beim Gegenwert in jeder Hinsicht Premium erwarten. Unter der Haube steckt bei unserem TSI das kleine Wunder aus Wolfsburg – jener viel gelobte Benziner, der aus nur 1,4 Liter Hubraum 160 PS zaubert, in Teamarbeit assistiert von je einem Kompressor und Turbolader. So viel Technik bietet sonst keiner in dieser Klasse. So viel Motorkomfort auch nicht, denn der lässige Nachdruck, mit dem der zierliche Vierzylinder aus dem Drehzahlkeller zieht, ganz ohne Turboloch, und wie er ohne Aufheben seine PS aus dem Ärmel schüttelt, das würde selbst einem Zweilitermotor zur Ehre gereichen.
VW Golf 1.4 TSI Comfortline
Zügig unterwegs: Der Golf wirkt harmlos, doch Insider bemerken das TSI am Heck des 160-PS-Benziners sofort.
Dabei geht es so flott voran, dass es selbst den forschen Platzhirschen auf unseren Straßen schwerfällt, den Golf in die Schranken zu verweisen. Aber kann dieses Wunder von Dauer sein? Wir waren gespannt. Ein Verführer war er ja schon immer, der Golf VI, so stimmig, so ausgefeilt, so unspektakulär kompetent in allen Belangen. Sicher, da gibt es die Fraktion, die er genau aus diesem Grund langweilt, aber im Testalltag gewinnt er zügig die Sympathien seiner Benutzer. "Bei diesem Auto muss man mit der Lupe nach einem Makel suchen", staunt Fotoredakteur Bozo Furkes. Das Golf-Geheimnis: Er ist für alles, was der Mensch von seinem Gefährt erwartet, gerüstet. Ausreichend geräumig für vier Erwachsene. Leicht bedienbar auf eine präzise Weise, die Vertrauen weckt. Er hat das richtige Format, ist groß genug, damit man sich im Innern wohlbehütet fühlt, aber nicht zu sperrig für die Stadt.
VW Golf 1.4 TSI Comfortline
Zuverlässig auf jeder Reise: Der Golf VI schonte die Nerven und die Kondition seiner Passagiere – egal, wohin es ging.
Wobei der Parkassistent, der den Golf bei korrekter Anwendung selbstlenkend in die Parklücke zirkelt, nur selten bemüht wurde. Im Verkehrsgewühl und der Hektik des Stadtverkehrs war das den meisten Kollegen einfach zu umständlich. Hätten wir aber vielleicht lieber die DSG-Automatik (1825 Euro) gehabt anstelle des serienmäßigen Sechsganggetriebes? Ehrliche Antwort: nein. Keiner hat sie vermisst. Auch nicht, als im letzten Drittel der Distanz die Kupplung versagte und der Nehmerzylinder fällig war. Ein Marder hatte sich in den Tiefen des Motorraums häuslich eingerichtet, ohne vor Betreten die Füße abzustreifen. Folge: feinster Sand im Hydraulikzylinder. Zuvor erfreute der Golf, Farbe "Shadowblue", durch klassische Käfer-Tugenden: Er lief und lief und lief ... Liegenbleiber und andere Katastrophen: null.
Mit zunehmendem Kilometerstand wuchs das Vertrauen in die Wolfsburger Technik, der nichts geschenkt wurde. Kurzstrecken ebenso wie Dauerstress auf der Autobahn nahmen im Leben des Golf breiten Raum ein, anfangs begleitet von nagendem Zweifel. Was hält dieser kleine, hoch belastete Vierzylinder aus? Akustisch zumindest erscheint er selbst bei 220 km/h nicht im Geringsten gestresst – beeindruckend, diese Laufruhe. "Reisetempo 180 erscheint wie ruhiges Dahingleiten", schreibt Tester Berend Sanders ins Fahrtenbuch. Selbst die Öltemperatur, die sich im Display des Bordcomputers aufrufen lässt, deutet nie auf übertriebene Anstrengungen hin, nicht einmal bei brütender Sommerhitze. Wie gesagt: ein kleines Wunder, dieser Motor, wenn auch kein Sparwunder. Über die 100.000 Kilometer verlangte er im Schnitt 9,3 Liter Super pro 100 Kilometer. Nicht wenig, aber auch nicht zu viel für 160 PS und in Anbetracht der häufig ausgeschöpften Leistungsreserven.Verhaltene Fahrweise führte dagegen zu Werten zwischen sieben und acht Litern. Ölverbrauch: vernachlässigbar. Die Langstreckenqualitäten des Golf profitieren zudem von der straffen, aber gut gedämpften Federung, noch mehr jedoch von den exzellenten Sitzen. Selbst stundenlanges Verharren hinter dem Lenkrad bleibt beschwerdefrei. Erstaunlich: Das mit unempfindlichem Stoff bezogene Möbel präsentierte sich am Ende des Dauertests noch frisch wie am ersten Tag. Eine Feststellung, die im Übrigen auf die gesamte Ausstattung zutrifft. Sie beeindruckt also nicht nur im Schaufenster, sondern hält offensichtlich auf Dauer, was sie verspricht. Alles eitel Sonnenschein also? Natürlich nicht, denn Nobody is perfect, nicht einmal die Golf-Macher.Sonst hätten sie dem TSI eine kräftigere Heizung mitgegeben, denn in den harten Wintern seines Lebens benötigte der Dauertestwagen unkomfortabel viel Zeit, um die Scheiben freizubekommen oder für warme Füße zu sorgen. Sie hätten ein schnelleres Navigationssystem als das optionale RNS 310 eingebaut und den ewig verschmierten, bei Sonne schlecht ablesbaren und obendrein schwer bedienbaren Touchscreen-Bildschirm durch etwas Besseres ersetzt. Statt der regelintensiven Klimaanlage (Serie bei "Comfortline") hätten sie den Insassen auch gleich eine Klimaautomatik spendieren können. Ach ja, und die schwächlichen Haltebänder für die Hutablage gegen stabilere austauschen – okay, das ist inzwischen geschehen. Das war's dann aber auch. Der Golf VI hat bestanden – mit Trommeln und Fanfaren sogar. Und mal abgesehen vom happigen Einstandspreis: Er ist ein Volkswagen im besten Sinn.

Fazit

von

Manfred Klangwald
"Mehr Auto braucht man nicht" – der Spruch kam im Lauf der 100.000 km aus vielen Mündern. Der Golf, gerade mit dem 160-PS-TSI-Motor, drängt ihn seinen Benutzern geradezu auf. Denn abgesehen von der Pflicht – praktisch, handlich, gut verarbeitet und günstig im Unterhalt – beherrscht er auch die Kür: Seine Qualitäten als schneller, bequemer Reisewagen überraschten und erfreuten uns stets aufs Neue. Dass Defekte aus blieben und er das Vertrauen in die Marke wieder stärken konnte, macht die Bilanz für den Golf besonders erfreulich.

Von

Wolfgang König
Manfred Klangwald