Hand aufs Herz: Sie wollten doch schon immer eine originale Shelby Cobra aus den Sechzigern fahren, oder? Natürlich die Vollfettstufe mit dem dicken 427er von Ford im Bug. Unerschwinglich? Stimmt. Aber Träumen kostet ja nichts.
Bild: Alexandra Lier
Sie droht dir schon im Stand wie eine echte Kobra, die ihren Nackenschild warnend nach außen stellt. Macht dir klar, dass sie dich jederzeit aus dem winzigen Schalensitz katapultieren kann, wenn ihr deine Umgangsformen nicht passen. Mit schweißnassen Händen fummelst du deshalb lieber zuerst den Beckengurt ins Schloss, reibst dir die Handflächen an deinen Jeans trocken. Dann erst legst du sie ehrfurchtsvoll um den dünnen Holzkranz des Dreispeichen-Lenkrads. Du lugst verschämt auf den Tacho vor dir. Seine Nadel bewegt sich nicht im Uhrzeigersinn, wie du es gewohnt bist, sondern umgekehrt. Noch ruht sie trügerisch ganz rechts auf der Null. Los, trau dich, nach links zu schielen. "180" steht dort – Meilen pro Stunde, umgerechnet 288 km/h. Keine Angeberei. Gut 270 sollte diese Cobra schaffen, obwohl ihr Luftwiderstand dem einer Dampflok gleicht. Du schluckst, aber dein Hals ist so trocken wie die Mojave-Wüste.
Die Sidepipes der Cobra sind so dick wie Arnold Schwarzeneggers Bizeps in seinen besten Jahren.
Bild: A. Lier
Trotzdem: Du willst – nein, du musst den Motor starten. Die Cobra hat dir längst ihr Gift wie eine verführerische Droge injiziert. Also, noch einmal kurz mit dem Hinterteil im Sitz hin und her rutschen, eine Hand ans Lenkrad, mit der anderen die Zündung einschalten, dann den Starterknopf drücken. Es dauert einen Augenblick, bis das Gemisch in den milchtütengroßen Zylindern des Siebenliter-V8 von Ford wie ein Vulkan explodiert. Dann ist es plötzlich so wie in Steven Spielbergs Kinohit "Jurassic Park": Du fühlst dich in die Urzeit zurückversetzt, das Tier da vorn klingt schon im Leerlauf wie ein hungriger Tyrannosaurus Rex auf Nahrungssuche. Die Sidepipes sind so dick wie Arnold Schwarzeneggers Bizeps in seinen besten Jahren, und bei jedem beherzten Tritt aufs Gaspedal ist dein Trommelfell einem Schalldruck ausgeliefert, als stündest du direkt neben einem startenden Kampfjet. Als du den ersten Gang einlegst, fühlt sich das etwa so an, als würdest du die Weiche in einem Eisenbahnstellwerk von Hand in die gewünschte Position wuchten. Du gibst vorsichtig Gas, beißt die Zähne zusammen, lässt die schwergängige Kupplung sachte kommen – und das rote Projektil schießt los, als sei es aus einem Colt abgefeuert worden.
Die 427er-Cobra plustert sich mächtig auf – und flößt schon im Stand einen Heidenrespekt ein. Frühe Modelle tragen einteilige Rückleuchten.
Bild: A. Lier
Erfahrene Cobra-Beschwörer scheuchen das widerspenstige Reptil in knapp über vier Sekunden auf Tempo 100, katapultieren sich in rund zehn Sekunden auf 200 km/h, donnern bei freier Strecke ungerührt weiter, bis die Tachonadel fast am Anschlag steht. Die Eitlen unter ihnen sparen sich so immerhin das Lifting im Schönheitssalon, weil ihnen der Fahrtwind sämtliche Fältchen aus dem Gesicht bügelt. In der Schlange steckt so viel Urgewalt, dass noch bei Tempo 170 die Hinterräder durchdrehen können. Wer vorsichtshalber im Dritten anfährt und beherzt Gas gibt, kann mit den neuneinhalb Zoll breiten Gummiwalzen auf den fetten Halibrand-Rädern immer noch schwarze Kampfspuren in den Asphalt fräsen. Und wer eine Cobra dereinst auf der Rennstrecke bändigte, musste nach dem Zieleinlauf nicht selten seine wund geschlagenen Hände medizinisch versorgen lassen. Als Novize lässt du es deshalb lieber vorsichtig angehen, gibst nur dann mutig Gas, wenn die Vorderräder gerade stehen und die Straße – am besten bis zum Horizont – auch wirklich frei ist. Beim Bremsen stützt du dich mit dem Rücken in der Sitzschale ab und wuchtest den rechten Fuß mit Nachdruck auf das mittlere Pedal. Nur widerwillig gehorcht dir die Cobra, baut protestierend Geschwindigkeit ab. Dann rollt sie angriffslustig fauchend dahin, und du wischst dir mit dem Unterarm erst einmal den Schweiß von der Stirn. Anhalten und aussteigen willst du trotzdem nicht, dazu ist die Schlange viel zu verführerisch.
Das Cockpit sieht so brav aus wie bei zahmeren englischen Sportwagen der Sechziger. Die Tachonadel dreht sich gegen den Uhrzeigersinn.
Bild: A. Lier
Dass sie wirkt wie ein Magnet, weiß auch Lynn Park, der Besitzer des hier gezeigten, gut 500 PS starken Exemplars von 1965, der uns in Kalifornien den Ritt auf der Kanonenkugel ermöglicht. Sein Auto wurde einst nach Peru geliefert, wo es bis 1990 blieb. Lynn hat es 1992 gekauft. "Seitdem habe ich mit ihm schon einige 1000-Meilen-Trips durch den Westen der Vereinigten Staaten unternommen", sagt er. Eine kleine Odyssee machten alle Cobra bereits durch, bevor sie ihre Kraft auf die Straße bringen durften. Carroll Shelby, der texanische Tausendsassa, der den AC Ace aus England mit V8-Motoren von Ford und Ford-Getrieben kreuzte, erhielt die Chassis samt Karosserien aus dem AC-Werk in Thames Ditton südwestlich von London per Schiff oder Flugzeug geliefert. In seiner Werkstatt in Los Angeles wurden ihnen dann Motor und Getriebe implantiert. Shelby, der seine eigene Rennfahrer-Laufbahn aufgrund eines Herzleidens beenden musste – 1959 hatte er auf einem Aston Martin DBR 1 zusammen mit Roy Salvadori die 24 Stunden von Le Mans gewonnen –, schuf auf diese Weise eine der größten Ikonen der Automobilgeschichte. Seinen Ruhm polierte er in der Folgezeit durch seine Beteiligung am Ford-GT40-Rennprogramm und mit seinen Shelby Mustang noch weiter auf. Du bist ausgestiegen. Die kalifornische Sonne spiegelt sich im Lack der 427er-Cobra, während sie mit leisem Auspuffknistern abkühlt. Doch Vorsicht, die Ruhe trügt: Sie liegt auf der Lauer, kann jederzeit wieder zubeißen. Garantiert.
Technische Daten
Das ist ein originaler 427er, sogar die für den Rennsport optimierte Side-Oiler-Version, bei der das Öl zuerst zur Kurbelwelle gepumpt wird.
Bild: A. Lier
Shelby Cobra 427 Motor: V8, vorn längs • zentrale Nockenwelle, über Kette angetrieben, hängende Ventile, über Stoßstangen und Kipphebel betätigt, Holley-Vierfachvergaser • Hubraum 6999 ccm • Leistung des hier gezeigten Modells circa 370 kW (500 PS) bei 6000/min • max. Drehmoment circa 650 Nm bei 3700/min • Antrieb/Fahrwerk: Viergang-Schaltgetriebe • Hinterradantrieb • vorn und hinten Einzelradaufhängung, Schraubenfedern, Querlenker, Teleskopstoßdämpfer • Zahnstangenlenkung • Radgröße vorn 7,5 x 15, hinten 9,5 x 15 • Maße: Radstand 2286 mm • L/B/H 3962/1727/1245 mm • Leergewicht 1190 kg Fahrleistungen/Verbrauch: 0–100 km/h in knapp über 4 s • Spitze je nach Übersetzung bis circa 270 km/h • Verbrauch ca. 25 l pro 100 km • Neupreis: ab 5400 US-Dollar (1965).
Historie
1961 überzeugt der Texaner Carroll Shelby (1923–2012) die Verantwortlichen des britischen Herstellers AC Cars, in ihr blattgefedertes Modell Ace einen Ford-V8 einzubauen. Auf dieser Basis wird die Cobra entwickelt. 1962 verfügen die ersten 75 Exemplare über 4,3 Liter Hubraum (260 cubic inches; Mark I, rund 260 PS). Danach findet ein 4,7-Liter-V8 (289 cui; Mark II, rund 270 PS) Platz unter der Fronthaube. 1963 erhält die Cobra eine Zahnstangen- anstatt der Kugelumlauflenkung. Erste Versuche mit einem Siebenliter-V8 (427 cui) laufen bereits Ende 1963, doch die neu entwickelte Mk-II-Version kommt erst 1965 mit bis zu 500 PS. Ein weniger aufwendiger 428er-Motor (rund 360 PS) ist ebenfalls verfügbar. Für den Siebenliter wird das Chassis verstärkt und mit Schraubenfedern bestückt. Außerdem wird die Karosserie verbreitert. Mit den auf der 289er-Blattfeder-Cobra basierenden Daytona-Coupés gewinnt Shelby 1965 die GT-Markenweltmeisterschaft – die 427er-Cobra wird nicht rechtzeitig homologiert. Von der Shelby Cobra entstehen bis 1969 etwa 650 260/289er und 350 427/428er. Bis 1968 baut AC seine eigene 289er-Version (Mark III).
Plus/Minus
Anhalten und aussteigen willst du nicht, dazu ist die Schlange viel zu verführerisch.
Bild: A. Lier
Wer finanziell ausgesorgt hat und mit einer Original-Cobra aus den 60ern liebäugelt, sucht meist nach einer fetten 427er. "Wer sich ein solches Tier kauft, muss aber erst einmal lernen, damit zu fahren. Im Grunde sind die 427er reine Rennwagen", sagt Cobra-Experte Martin Drengenberg (Kontakt unter www.cobra-web.de). Da tatsächlich viele Cobra im Rennsport eingesetzt wurden, sollte man dem Rahmen besondere Aufmerksamkeit schenken. Schlecht reparierte Unfallschäden und Risse im Schwellerbereich können vorkommen, Letztere vor allem bei den schwächer dimensionierten 289er-Versionen. Sie sind durch ihr Blattfederfahrwerk zwar trampeliger, allerdings lastet auch weniger Gewicht auf der Vorderachse – ein 427er-V8 wiegt immerhin 317 Kilogramm.
Ersatzteile
Für Original-Cobra ist die Versorgung gut. Viele Teile sind noch erhältlich. Was es nicht mehr gibt, wird nachgefertigt. 289er-Motoren sind rarer als die großen 427er. Von diesen gibt es Nachbauten. Diese sogenannten Genesis-Motoren kommen zwar qualitativ nicht an die Originale heran, können aber überarbeitet werden. Shelby American in Las Vegas fertigt den 427er-V8 in Alu nach. Da es sich um Großserientechnik handelt, sind Motoren-Ersatzteile gut zu bekommen. Stichwort Replicas: Allein in England und den USA gibt es mehr als zwei Dutzend Hersteller, lizenzierte und unlizenzierte. Sie verwenden viele Großserienteile. Auch Shelby baut die Cobra auf Wunsch noch. Preis: ab 150.000 Dollar.
Marktlage
289er-Restaurierungsobjekte kosten ab 270.000 Euro, gute Exemplare sind bis zu 400.000 Euro teuer. 427er-Cobra sind unter 400.000 Euro nicht zu bekommen. Ex-Rennversionen können die Millionengrenze knacken. Daytona-Coupés sind unbezahlbar: 2009 wurde ein Coupé für 7,7 Millionen US-Dollar versteigert.
Empfehlung
Wer schon immer eine Cobra haben wollte, aber die exorbitanten Summen für Originale aus den 60ern nicht aufbringen kann, wird womöglich mit einer AC Mk. IV (ab circa 1980 gebaut) mit Ford-V8 glücklich. Sie kostet je nach Zustand und Baujahr ab 100 000 Euro, Lightweight-Versionen sind teurer (ab 160.000 Euro).
Carroll Shelby hatte die Idee zum giftigsten Ami-Sportwagen der sechziger Jahre. Das Rezept war simpel: Man nehme einen blattgefederten Briten-Roadster und packe ihm einen Siebenliter-V8 und 500 PS unter die Haube. Fertig ist die Shelby Cobra.
Bild: Alexandra Lier
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Erfahrene Cobra-Beschwörer scheuchen das Reptil in knapp über vier Sekunden auf Tempo 100, katapultieren sich in rund zehn Sekunden auf 200 km/h, donnern bei freier Strecke ungerührt weiter, bis die Tachonadel fast am Anschlag steht.
Bild: Alexandra Lier
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Die 427er-Cobra plustert sich mächtig auf – und flößt schon im Stand einen Heidenrespekt ein. Aber in der Schlange steckt so viel Urgewalt, dass noch bei Tempo 170 die Hinterräder durchdrehen können. – Bei dieser Gelegenheit: Frühe Modelle sind erkennbar an den einteilige Rückleuchten.
Bild: Alexandra Lier
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Als Cobra-Novize sollte man es vorsichtig angehen und nur dann mutig Gas geben, wenn die Vorderräder gerade stehen und die Straße – am besten bis zum Horizont – auch wirklich frei ist.
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Durch fünf seitliche Kiemen speit die Cobra heiße Luft. Die Sidepipes der Cobra sind so dick wie Arnold Schwarzeneggers Bizeps in seinen besten Jahren.
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Wer braucht schon einen Kofferraum in einer Cobra?
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Der Tank-Schnellverschluss machen die fette Sport-Optik perfekt.
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Das Cockpit der Cobra sieht so brav aus wie bei zahmeren englischen Sportwagen der Sechziger. Anschnallen ist Pflicht, sonst riskiert man einen Abwurf im Rodeo-Stil.
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Die Tachonadel dreht sich, ach was: fliegt gegen den Uhrzeigersinn. Gerne bis 180 – Meilen pro Stunde, wohlgemerkt! Gut 270 km/h sollte diese Cobra schaffen, obwohl ihr Luftwiderstand dem einer Dampflok gleicht.
Bild: Alexandra Lier
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Es dauert einen Augenblick, bis das Gemisch in den milchtütengroßen Zylindern des Siebenliter-Ford-V8 wie ein Vulkan explodiert. Dieser Motor ist ein originaler 427er, sogar die für den Rennsport optimierte Side-Oiler-Version, bei der das Öl zuerst zur Kurbelwelle gepumpt wird.
Bild: Alexandra Lier
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Anhalten und aussteigen will man nicht, dazu ist die Schlange viel zu verführerisch. 427er-Cobra sind nicht unter 400.000 Euro zu bekommen. Ex-Rennversionen können die Millionengrenze knacken.