Die Grenzen des Wachstums – der Club of Rome hatte sie in der gleichnamigen Zukunftsstudie schon vor über 40 Jahren erkannt. Manche Politiker sehen sie dagegen bis heute nicht. Und auch in der Automobilindustrie herrscht manchmal die schlichte Maxime "viel hilft viel". Jetzt erreicht dieser Wachstumswahn die Automatikgetriebe, die mit immer mehr Fahrstufen protzen. Reichte dem Erfinder des Automobils bis vor Kurzem noch eine Fünfstufenautomatik, präsentiert Mercedes jetzt erstmals Zahnrad-Zauber mit neun Fahrstufen. Bitte ganz genau hinsehen: n-e-u-n verschiedene Übersetzungen – in einem Getriebe.

In der E-Klasse feiert die 9G-Tronic Premiere

Mercedes E-Klasse
Herrlich entspannt: Die 9G-Tronic sorgt gemeinsam mit dem starken Diesel für viel Gelassenheit.
Erstmal gibt es das neue Wunderwerk der Schalttechnik nur im E 350 BlueTec. Womit die natürlichen Gegner für den neuen Mercedes-Automaten Audi A6 3.0 TDI und BMW 530d heißen. Dabei bekommt dieser Vergleich, der nur die Motor-Getriebe-Einheit bewertet, besondere Brisanz. Denn während die Ingolstädter auf das Doppelkupplungsgetriebe mit sieben Gängen vertrauen, setzen die Münchener auf die Achtstufen-Sportautomatik (plus 250 Euro) von ZF. So zählen wir 7, 8, 9 ... und fragen uns, wer hier wen auszählt. Die wichtigste Frage: Wie fährt sich das denn? Für den Mercedes lautet die Antwort: herrlich entspannt. Die gewaltigen 620 Nm Drehmoment des Dreiliter-Diesels in der E-Klasse würden wohl auch mit einer Dreistufenautomatik noch ordentlich zurechtkommen, wir wären dann allerdings deutlich hektischer unterwegs. Die riesige Übersetzungs-Spreizung von der ersten bis zur neunten Fahrstufe beträgt beim Benz immerhin 9,15 – Audi schafft etwa acht, BMW sieben. Zusammen mit der langen Achsübersetzung des E 350 BlueTec muss sich dessen V6-Diesel oft nur gerade so eben über die Leerlaufdrehzahl mühen, schon schnurrt die Fuhre friedlich brummelnd und sanft säuselnd davon.
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Das BMW-Getriebe leistet sich eine ärgerliche Eigenart

BMW 5er
Eine bessere Schaltbox kennen wir derzeit nicht: BMW hat mit ZF als Getriebepartner alles richtig gemacht.
Schon irre: Bei Maximaltempo 250 km/h rotiert die Kurbelwelle im höchsten Gang schlappe 2700-mal in der Minute. Im BMW liegen dann schon 3200 Touren an, beim Audi sind es noch einmal 500 Umdrehungen mehr. Auf langen Reisen gibt es definitiv kein besseres Beruhigungsmittel als die 9G-Tronic von Mercedes. Die Gemütlichkeit der Sternen-Automatik bringt bei engagierter Fahrweise allerdings auch Nachteile. Gangwechsel dauern minimal länger, das blitzschnelle manuelle Runterschalten über drei oder vier Fahrstufen schaffen BMW und Audi eindeutig flotter. Zudem kann die E-Klasse die ersten vier Gangwechsel nie ganz verbergen, stets gibt es eine ganz kurze Unterbrechung des Kraftschlusses. Klar, die Übergänge finden weich und fließend statt, trotzdem kann der Beifahrer die Schaltvorgänge mitzählen und weiß dann immer, welche Fahrstufe anliegt. In 5er und A6 kann er das vergessen – vom Schalten bekommt er hier definitiv nichts mit. Dem Doppelkupplungsgetriebe des Audi wurde das absolut ruckfreie Schalten quasi in die Wiege gelegt. Weil zwei Schaltwellen mit zwei Kupplungen abwechselnd die Gänge nachlegen, gibt es einfach keine Zugkraftunterbrechungen. BMW muss man schlicht zur Wahl von ZF als Automatik-Partner gratulieren – auch wenn Anhänger-Kapitäne beim Rangieren nach wie vor ärgert, dass der Wählhebel beim Öffnen der Tür automatisch auf "P" springt – eine bessere Schaltbox kennen wir derzeit nicht.
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Jeder Übersetzungswechsel wird so fein verschliffen, dass der Pilot ihn nur beim Blick auf den Drehzahlmesser mitbekommt. Wozu wir natürlich auch ZF gratulieren. Ganz offensichtlich haben sich mit der "8HP" aus dem Hause ZF und dem Dreiliter-Reihensechszylinder von BMW zwei gefunden, die füreinander bestimmt sind. Trotz vergleichbarer Leistungen kommt der BMW in diesem Vergleich nicht nur schneller in die Gänge als Audi und Mercedes, er verbraucht auch noch am wenigsten. Über die paar Zehntel bei den Fahrleistungen müssen wir hier gar nicht viele Worte verlieren.

Traktionsvorteile werden im A6 durch Mehrverbrauch erkauft

Audi A6
Nimmt den kräftigsten Schluck aus dem Tank: Der A6 3.0 TDI quattro verbraucht im Schnitt 7,3 l/100 km.
Dass der BMW in 6,3 Sekunden auf Tempo 100 stürmt, beeindruckt. Doch die 6,6 Sekunden des Audi und 6,7 Sekunden für den Benz geben auch keinen Grund zur Sorge. Peanuts – und nur am Stammtisch wichtig. Groß fallen die Unterschiede zwar auch beim Verbrauch nicht aus, das Thema ist aber deutlich wichtiger. Ein Testverbrauch von 6,5 l/100 km für einen fast fünf Meter langen 5er mit 258 PS – vor dieser Ingenieurleistung ziehen wir den Hut. Und wundern uns, dass der Mercedes mit seinen neun Fahrstufen einen halben Liter mehr verbraucht. Fest steht, dass die E-Klasse meist mit weniger Drehzahl unterwegs ist – was als Appetitzügler nie verkehrt ist. Andererseits wiegt der Benz fast 100 Kilo mehr, fehlt ihm die Segelfunktion (folgt Herbst 2014), muss sein V6 mehr innere Reibung überwinden als der BMW-Reihensechser. Mit den gleichen Nachteilen kämpft übrigens auch der Audi, der zudem noch seinen Allradantrieb mitbewegen muss. Ergebnis: 7,3 l/100 km.
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Trotzdem wird hier niemand ausgezählt. Im Gegenteil. Alle drei Automaten überzeugen. Das größte Wachstum verzeichnet dabei Mercedes. Nicht nur bei der Zahl der Fahrstufen, sondern auch bei der Automatik-Kompetenz. Die dennoch an ihre Grenzen stößt. Und die setzen derzeit BMW und ZF.

Fazit

Besser als mit diesen Getriebeautomaten geht es wirklich nicht mehr. Allen voran der BMW, der von sportlich bis sparsam einfach alles kann. Ihm folgt die E-Klasse mit neuer Neunstufenautomatik. Dank extrem niedrigem Drehzahlniveau die Empfehlung für entspanntes Reisen. Und auch der Audi muss sich nicht verstecken, dürfte aber sparsamer und gelassener sein.