Antriebe im Vergleich: Teil 1, Allrad, Nass, Trocken
Großer Vergleich der Antriebskonzepte

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Traktions-Kontrolle Teil 1: Bringt Allrad wirklich fahrdynamische Vorteile, oder bremst er ein? Wir haben anhand von drei Fahrzeugpaarungen Vor- und Nachteile herausgefahren, nass und trocken.
Bild: Ronald Sassen / AUTO BILD
Offroad mit Allrad ist Pflicht. Dicke Limousinen und 4x4 gehen auch noch in Ordnung. Aber Vierradantrieb bei sportlichen Kompakten und echten Sportwagen ist immer noch ein strittiges Thema. Und genau deswegen haben wir diese sechs Kandidaten zu einem ausgiebigen Vergleichstest eingeladen.
Längsdynamik, Sound und Alltag lassen wir dabei außer Acht. Es geht rein um die Performance zwischen den Paarungen, auf nasser und trockener Strecke. Wie viel schneller ist der Allrad im Nassen? Ist der Abstand zwischen 2WD und 4WD auf trockener Rennstrecke gar nicht so eklatant? Was bringt das Heckmotorprinzip der Porsche? Spürt man die Gewichtsunterschiede? Macht der Wet-Mode in den Elfern seinem Namen alle Ehre? Wo liegt nun also die Wahrheit?
Diese Fragen klären wir jetzt, im ersten Teil auf dem brandneuen Nasshandling-Kurs des Triwo-Geländes in Pferdsfeld. Im nächsten Heft treffen sich dann alle Autos auf dem Lausitzring. Drei Paarungen, drei Antworten!
Wet mode zeigt bei Porsche, was technisch machbar ist
Motor und Getriebe auf der Hinterachse – das war schon immer ein unschlagbares Rezept auf rutschigem Untergrund. Und so schien von vornherein klar, dass sich die beiden GTS hier auf dem nassen Handlingkurs nicht viel nehmen werden. Oder doch? Geradeaus trennt die beiden so gut wie nichts, eine Zehntel auf 100, 2 km/h in der Vmax. Gewichtsunterschied? Der 4x4-Elfer ist 62 Kilogramm schwerer, das müsste sich im Handling auswirken

Immer die engste Linie, aus den Ecken mit viel Schwung, keine wilden Drifts, so ist es auch im Nassen richtig schnell.
Bild: Ronald Sassen / AUTO BILD
Allrad heißt in Zuffenhausen PTM, Porsche Traction Management. Das System arbeitet mit einer variablen Momentenverteilung durch individuelle Bremseneingriffe an den Hinterrädern sowie einer elektronisch geregelten Hinterachs-Quersperre. Dazu Schlupfregelung, Bremsendifferenzial, Torque Vectoring und so weiter. Jede Menge Technik, die quasi jeden Zustand erkennt und in Performance umsetzt, bei Trockenheit wie bei Nässe.
Und schwimmen beide gleich schnell um den bewässerten Rundkurs? Nein! Der Allradler fährt sprichwörtlich wie auf Schienen, lässt sich nie auf wilde Tänze ein. Überraschend hebelt er sich gelenkiger um langsame Ecken, setzt in Wechselkurven williger um, während der Hecktriebler schwerfälliger auf seiner Vorderachse herumarbeitet und das Heck oft wieder eingefangen werden muss.
Mit der höheren Stabilität in schnellen Bögen arbeitet sich der Allrad-Elfer im ESP-Off-Mode einen Vorsprung von fast vier Sekunden heraus. Auf nur 1,8 Kilometern ist das viel. Nur im Wet Mode (PTM arbeitet sensibler, reduzierter Sperrgrad Hinterachse, beim Allrad fließt mehr Kraft nach vorn) ist der Abstand geringer. Hier arbeitet das System so genial, dass sich der normale GTS in manchen Ecken fast wie sein Allrad-Bruder bewegen lässt.
Mit oder ohne X, im BMW bleibt es lustig
Allrad und M-Modelle – diese Kombination fanden eingefleischte BMW-Fans vor ein paar Jahren noch fragwürdig. Inzwischen hat sich der xDrive mehr und mehr mit den M-Autos angefreundet – und mit Boliden wie dem M5 CS gezeigt, dass so ein 4x4 doch viel g’scheiter und schneller ums Eck geht als mit Hinterradantrieb. Und so war es nur eine Frage der Zeit, bis es für die neuen M3 und M4 auch eine angetriebene Vorderachse gab.

Den Driftwinkel bestimmt man im M4 per Gasfuß. Übersteuern wird beim Nasshandling nie kritisch.
Bild: Ronald Sassen / AUTO BILD
Genau wie in M5 und M8 verfügt der M xDrive über drei Modi, mit denen sich Sportlichkeit und Intensität des Fahrerlebnisses immer weiter steigern lassen: Schon im Standard-Modus 4WD erfolgt die Kraftverteilung vollvariabel und hecklastig, der Modus 4WD Sport arbeitet mit noch stärkerer Heck-Betonung. Bei ausgeschaltetem DSC kann auch ein 2WD-Modus aktiviert werden. In unseren Tests glänzte der M3 xDrive zwar mit Fabelwerten bei Rennstrecke und Längsdynamik, doch die Vorderachse fiel mit schwerfälligerer Gangart auf. Schlechtes Omen für den nassen Teil unseres Antriebs-Vergleichs?
Sehen wir gleich, zuerst darf der M4 mit Hinterradantrieb auf den nassen Parcours. Das Frontmotor-Coupé kommt oft schon im Trockenen an seine Grenzen. Und hier in Pferdsfeld ist das am Ende eine Driftshow vom Allerfeinsten. Viel Winkel, wenig Speed, am Ende sogar Langsamster des Tages (ESP Off). Der M4 mit Allrad macht das schon deutlich besser. Die schwerfälligere Vorderachse fällt kaum auf, die Elektronik ist ähnlich schlau wie beim 911, setzt den Allrad zielgenau ein, drückt die Fuhre aus den langsamen Ecken mit Schmackes heraus, ohne dass man die Freude am Fahren und Quertreiben verliert. Noch mal zwei Sekunden schneller geht es mit dem MDM-Mode (DSC greift später ein).
Golf R mit Super-Allrad und ESP Sport zur Bestzeit
Wie bitte? Bestzeit? Der R schneller als der GTI – das ist noch logisch! Aber der Golf R ist Gesamtschnellster, fährt sogar dem Allrad-Elfer davon! Wie geht das? Vorweg an die Experten: Der Golf R hat immer Allrad. Daher stellen wir ihm den GTI Clubsport zur Seite. Die Technik ist weitgehend identisch, beide sind mit dem Zweiliter-TSI (EA888 Evo4) ausgerüstet, die 20 PS Unterschied sollten nicht entscheidend sein, zumindest nicht im Nassen. Zudem wiegt der R fast 100 Kilo mehr.

Drift-Mode? Nein, so ging es in der schnellsten Runde zur Sache. Das Quer-Programm hatten wir probiert. Lustig, aber viel zu langsam.
Bild: Ronald Sassen / AUTO BILD
Clubsport und R haben dieselben Fahrprogramme Sport und Special. Letzteres ist speziell auf die Nordschleife abgerichtet. Generell nicht zu hart, angepasste DSG-Charakteristik, beim R ist der Super-Allrad etwas hecklastiger ausgelegt als in Sport. Super-4x4? Wir haben das schon im Supertest ausführlich erklärt, der Golf nutzt erstmals Torque Vectoring wie Porsche und Audi. Arbeitet wie? Die Kraft wird nicht nur variabel zwischen Vorder- und Hinterachse verteilt, sondern auch zwischen linkem und rechtem Hinterrad. Und das macht den R im Nassen so schnell? Ja! (VW Golf 8 R: Neues Sondermodell zum Jubiläum)
Die schlaue Elektronik erkennt Schlupf, schiebt gekonnt an allen Ecken Kraft nach. Wie auf Schienen? Nein! Der R ist immer in Bewegung, mit der weicheren Special-Abstimmung baut er viel Seitenführungskräfte auf, so können die Reifen optimal arbeiten. Und immer wirkt das Heck übersteuernd mit. Wie gut das System ist, zeigt auch, dass zwischen ESP Sport und Off nur wenige Zehntel liegen. Bei den anderen Paarungen waren es Sekunden. Auch der Clubsport lässt sich mit ESP Sport noch gerade so flüssig um den Kurs treiben. In Off ist dann aber kein Halten mehr, die Vorderachse schmiert dauernd in die falsche Richtung, das Heck lässt sich trotz weichem Special-Modus wenig bis gar nicht zur Mithilfe überreden.
Fazit
Die Allradler sind im Nassen alle schneller als ihre Kollegen mit einer angetriebenen Achse, das ist keine Überraschung. Die Sensation ist, dass der Golf R hier allen um die Ohren fährt. Klar, der Kompakte hat weniger PS zu verwalten – aber auch so macht ihn seine geniale Allradtechnik zum absoluten Wet-King in diesem Vergleich!
Nah dran ist nur der Allrad-Elfer, wenn man in den speziellen Wet Mode schaltet. Diese Einstellung spannt Allrad, Torque Vectoring und andere Parameter ähnlich perfekt zusammen wie beim Golf R. Die Runde ist schnell, die Linie fast perfekt, viel Speed, viel Grip, immer etwas hilfreiches Übersteuern. Kaum zu glauben, dass das mit dem Golf R noch schneller ging.
Generell bieten beide 911 dank ihrer Heckmotor-Konstruktion und entsprechend hecklastiger Gewichtsverteilung im Nassen viel Traktion. Der Zweirad-GTS hat dennoch seine Mühe. Immer wieder muss man das Heck einsammeln, die Vorderachse spurt auch nicht immer perfekt. Vielleicht lag es auch am etwas sportlicheren GTS-Fahrwerk. Das Mehrgewicht zwischen den beiden 911 spürt man hier jedoch nie.
Ähnlich ist es bei der M4-Paarung, die 62 Kilo Unterschied spürt man nicht. Der Hecktriebler ist auf der nassen Piste heillos überfordert, zumindest ohne ESP-Hilfe. Weites Schwingen ist hier an der Tagesordnung.
Entweder man schleicht langsam um die Ecken, oder der Fotograf klatscht begeistert zur Driftshow. Etwas besser gelingt es im MDM-Mode. Die Elektronik greift zart ein, ist eine Art Traktionskontrolle. Mit dieser Einstellung fährt auch der Allrad-M4 am besten. Generell wird dem M4 mit xDrive-Antrieb seine charakteristische Schwäche beim Herausbeschleunigen genommen, ohne seiner hecklastigen Agilität zu schaden. Und der Golf GTI Clubsport? Der ist zwar nicht Langsamster des Tages, dennoch ist der Fronttriebler auf dem rutschigen Untergrund extrem überfordert.
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