Der Golf wirkt plötzlich bieder

Volkswagen ist selbst schuld: Unermüdlich haben uns die Wolfsburger vorgebetet, der neue Golf sei mehr als nur ein gewöhnlicher Kompaktwagen, mit bürgerlichen Bestsellern wie dem Opel Astra nicht mehr zu vergleichen. "Premium- Produkt" lautete das strapazierte Zauberwort, das Kunden in Verzückung versetzen und die Kasse zum Klingeln bringen sollte. Jetzt steht der Golf den neuesten Nobel-Kompakten gegenüber – und wir reiben uns verwundert die Augen:

Der Volkswagen, der bei seiner Präsentation vor nicht einmal einem Jahr einen dynamischen und stolzen Eindruck machte, wirkt plötzlich ziemlich bieder. Ursache dafür ist vor allem der neue BMW 1er – mit seinen mandelförmigen Scheinwerfern, seinen scharfen, spannungsvollen Linien und dem Coupé-artig zulaufenden Heck lässt er die Konkurrenz ziemlich alt aussehen. Sogar den neuen Audi . Der kommt im September auf den Markt – zur gleichen Zeit wie der BMW. Das ist natürlich kein Zufall.

Die Ingolstädter fürchten den BMW als härtesten Konkurrenten für den bislang nur als Dreitürer erhältlichen A3. Dabei ist der Sportback mehr als nur die Version mit fünf Türen: Seine Kombi-Karosserie streckt sich auf 4,27 Meter – damit ist er 68 Millimeter länger als die Basis. Von hinten wirkt der A3 damit fast so stattlich-elegant wie ein Alfa 156 Sportwagon. Um gegen das Show-Talent BMW besser bestehen zu können, macht der Sportback mit seinem "Single-Frame"-Kühlergrill ein ebenso grimmiges Gesicht wie die großen Brüder A6 und A8.

Enger 1er fährt wie ein Sportwagen

Zum kleinen, aber feinen Auto gehört natürlich mehr als spektakuläre Optik. BMW will Premium-Ansprüchen mit diversen pfiffigen Details gerecht werden. Dazu gehören das aufwändige Fahrwerk mit Fünflenker-Hinterachse oder ein Stabilitätsprogramm mit per Knopfdruck verstellbarer Reaktions-Schwelle. Typisch für BMW ist der Wagemut bei elektronischen Systemen – beim 1er liest sich die technische Beschreibung denn auch, als stammten führende BMW-Konstrukteure von Microsoft. So hilft die Elektronik beim spurtreuen Bremsen in Kurven, oder sie speichert im Schlüssel Daten über Bremsbelagverschleiß und den Kilometerstand – praktisch für die Werkstatt. Alles ganz nett, solange es funktioniert. Aber nichts, was Herzen von BMW-Fahrern höher schlagen lässt.

Dafür sorgt eher das in der Kompaktwagen-Klasse einmalige Antriebskonzept: Wie bei den größeren Limousinen sitzen beim 1er längs eingebaute Motoren unter der Haube. Die Kraft bringen die Hinterräder auf die Straße. Das Ziel: sportwagenähnliche Fahreigenschaften. Es hat allerdings gute Gründe, warum Ingenieure bei kompakten Autos seit Jahrzehnten lieber Quermotoren mit Frontantrieb einbauen – das spart jede Menge Platz. Wie viel, das spürt man im BMW auf Anhieb: Im 4,23 Meter langen 1er (Golf: 4,20 Meter) ist es eng, vorn wie hinten.

Der Zustieg in den Fond erfordert für einen Viertürer gar ungewöhnliche Verrenkungen – der Türausschnitt ist so schmal, dass nur Passagiere mit Mädchen-Schuhgröße ihre Füße nicht verhaken. Das Kofferraumvolumen erreicht mit 330 Litern (Golf: 350 Liter) ein akzeptables Maß. Aber man ahnt, warum BMW serienmäßig Reifen mit Notlaufeigenschaften anbietet: Für eine Reserveradwanne ist wegen der voluminösen Hinterachse kein Platz.

Audi bietet den größten Kofferraum

Wer vom BMW direkt in den Golf umsteigt, fühlt sich fast in eine Jugendstil-Wohnung versetzt. Mehr Weite in jeder Richtung, das Auto wirkt glatt eine Nummer größer. Und die breiten Fondtüren (995 Euro) sorgen dafür, dass sogar Oma gut einsteigen kann. Vergleichbar die Situation im Sportback: Wo der dreitürige A3 im Fond noch etwas unter den Achseln zwickte, wirkt der Fünftürer jetzt deutlich geräumiger. Man hat zwar nicht das Bedürfnis, die Beine übereinander zu schlagen. Aber der Platz reicht jetzt, auch im Kopfbereich.

Beim Kofferraum sticht der A3 alle aus: 370 Liter stehen zur Verfügung. Das Gepäckabteil ist zudem am schönsten aufgeräumt. Das Thema Raumangebot interessiert BMW-Fahrer wenig. Entscheidend ist der Platz hinterm Steuer – und der sorgt im 1er für Aha-Erlebnisse. Er passt so gut, als hätten die BMW-Leute einen Gipsabdruck vom Fahrer genommen. Und das Armaturenbrett ist nicht nur pfiffig gestylt, sondern auch funktionell. Es lässt, keine Überraschung, das nüchterne Pendant im Golf aussehen wie eine Biedermeier-Kommode. Dafür offeriert das mehr Ablagen.

Der Neuigkeitswert des A3-Cockpits hält sich ebenfalls in Grenzen: Es unterscheidet sich vom bekannten Innenraum vor allem durch überarbeitete Lenkräder. Das ist auch gut so – mit dem sportlich-eleganten Armaturenbrett gilt der Audi als Perle unter den Kompakten.

Drehmoment wie Achtzylinder-Benziner

Bei BMW darf es traditionsgemäß etwas futuristischer sein: Im 1er surrt auf Knopfdruck der Monitor für das iDrive-Bediensystem aus dem Armaturenbrett empor – es funktioniert wie im BMW 5er. Wem es zu kompliziert ist, der wird verschmerzen, dass es nur zusammen mit Navigationssystem an Bord kommt. Den Motor-Startknopf neben dem Schacht für den Zündschlüssel haben alle 1er. Der erweckt zum Verkaufsbeginn im September zwei Benziner und zwei Diesel zum Leben.

Man muss nicht an geheimen Münchener Konferenzen teilgenommen haben, um die Aufrüstung mit Sechszylindern schon für nächstes Jahr zu prophezeien. Dabei dürfte der Topmotor im 120d Leistungshungrigen mehr als nur ein Appetithäppchen sein: Mit 340 Newtonmeter Drehmoment und 163 PS macht der Diesel richtig Dampf. Ein Seitenhieb in Richtung Wolfsburg und Ingolstadt: Der stärkste Diesel aus dem VW-Konzern, der 2.0 TDI, kommt nur auf 140 PS. Der Common-Rail-Diesel von BMW läuft kultivierter und drehfreudiger als die Pumpe- Düse-Motoren in Audi und VW. Die bieten dafür fast eine Drehmomentwucht wie Achtzylinder-Benziner, einen Tritt ins Kreuz bei niedrigsten Drehzahlen.

Im Vergleich dazu wirkt der BMW untenrum relativ zahm. Das liegt auch an der langen Übersetzung des butterweich zu schaltenden Getriebes: Bei 80 km/h im sechsten Gang reagiert der Motor auf Gaspedalbewegungen nur mit Ruckeln und Zuckeln. Für Leistungshungrige bleibt der Audi die erste Wahl: Das Motorenprogramm reicht wie beim Dreitürer bis zum 3,2-Liter-V6 mit 250 PS. Premiere feiert im Sportback ein weiterer Kraftmeier, der 2.0 TFSI, ein Turbo mit 200 PS. Der kommt im Herbst auch im Golf GTI.

Golf-Preise im Vergleich ein Schnäppchen

In der nächsten Kurve geht der BMW allerdings wieder in Führung. Wie messerscharf er sich durch enge Biegungen saugt, das sucht in der Klasse seinesgleichen. Er folgt der Lenkung so unbeirrt wie die CSU ihrem Parteivorsitzenden. Mitverantwortlich dafür ist die straffe Fahrwerksabstimmung, die bestenfalls ausreichenden Komfort bietet. Unebenheiten, die den BMW stuckernd in Unruhe versetzen, übergeht der Golf völlig unberührt. Und in Kurven vermittelt auch er gewiss nicht das Gefühl, einen kopflastigen Brocken um die Ecke quälen zu müssen.

Dazwischen dürfte sich der Sportback einordnen, der grundsätzlich das gleiche Fahrwerk wie der Golf hat. Für intensive Fahrtests stand der Audi noch nicht zur Verfügung, aber schon der Dreitürer machte bei früheren Testfahrten einen sehr dynamischen Eindruck. Grundsätzlich gilt: Wem die Sportlichkeit des Fronttrieblers nicht genügt, kann zum quattro greifen. Vorteil Golf: Er fühlt sich mit seiner leichtgängigeren Lenkung sogar handlicher an als der BMW. Und auf der Autobahn ruhiger, weil im 120d laute Windgeräusche unschön um die Scheiben rauschen.

Ziemlich ungehobelt: die 1er-Preise. Der Einstieg beginnt beim 116i mit 115 PS für 19.800 Euro. Dem fehlt aber die Klimaautomatik für 1500 Euro. Macht 21.300 Euro. Dann hat man aber noch keinen Metallic-Lack (620 Euro), keine Alus (ab 600 Euro) und kein Radio (ab 920 Euro). Der Top-Diesel 120d kommt mit all diesen Extras auf 28.040 Euro. Auch Audi ist nicht zimperlich und verlangt ähnliche Preise. Der Kunde ächzt, VW jauchzt: Den Golf 1.6 FSI mit 115 PS, vier Türen und derzeit geschenkter Klimaanlage gibt es ab 18.990 Euro. So steht der bislang als teuer verschriene VW plötzlich als Schnäppchen da.

Fazit, technische Daten und Preise

Fazit Noch nie war die Kompaktklasse so facettenreich wie heute: Der enge 1er bietet Fahreigenschaften wie ein Sportwagen, der geräumigere Audi eine feine, elegante Linie. Bestes Allround-Talent bleibt der Golf, der in diesem Vergleich plötzlich als preiswert dasteht.