Multivariable Plattformen sind bei Volkswagen mächtig angesagt. Im Kompaktsegment greift jeder in die MQB-Kiste, die Up-Gene sind längst auch an Skoda und Seat verteilt und drei Etagen drüber lässt sich aus den Zutaten des VW Touareg noch so manche Allrad-Spezialität anrühren. Lamborghini würde sich anbieten. Und natürlich Skoda. Oder eben Bentley. Die Engländer sind zwar nicht unbedingt als klassische SUV-Hersteller bekannt, hätten aber als weltgrößter Zwölfzylinder-Anbieter nichts dagegen, die segensreichen Zwölf-Töpfe noch ein bisschen breiter im Superluxus-Segment zu verteilen.
Bentley EXP 9 F
Das Design des aufgepumpten Touareg brüllt: "Ich bin ein Bentley, verdammt!"
Wie so etwas aussehen könnte, dürfen wir auf dem Genfer Salon 2012 bestaunen. Bentley EXP 9 F heißt das Allrad-Mammut, das die Engländer auf ganz und gar nicht dezente 23 Zoll große Räder gestellt haben. 23 Zoll, das heißt: Die Walzen reichen einem 1,80-Meter-Menschen beinahe bis zur Hüfte. "Kühn" nennt die Werks-Presse die diversen "Neuinterpretationen charakteristischer Bentley-Designelemente", die am EXP 9 F um Aufmerksamkeit rangeln. XXL-Kühler mit Chrom-Maschendraht, Continental-GT-Hüftschwung in der Flanke, riesige runde Scheinwerfer, vergitterte Kiemen in den Kotflügeln – das Design des aufgepumpten Touareg brüllt aus jedem Blickwinkel "Ich bin ein Bentley, verdammt!". Feinen Briten ist die Design-Schreierei sicher zu viel – die neuen Superreichen aus Moskau, Alma Ata und Shanghai werden bei so viel zur Schau gestellter Opulenz mit dem künftigen Serienmodell des XXL-Bentley gerne vor die Oper rollen, über Sanddünen braten oder Chinas Autobahnen unsicher machen. Ein Bentley für alles. Für ein paar wenige, die ihn sich werden leisten können. Wer's mag. Oder anders: "Ein Bentley wie keiner zuvor!", frohlockt der Pressetext. Definitiv.

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Bentley EXP 9 F
Trägt schön dick auf: Bei der Auswahl der Materialien macht Bentley keine Kompromisse.
Auf der Suche nach ein bisschen weniger Superlativen führt der Weg zwangsläufig ins Bentley-Cockpit. Der Materialmix aus Holz, Leder, Aluminium, Bronze und Rotguss steht für jene Innenraum-Qualität, die man von englischen Luxusherstellern gewohnt ist. Weniger Effekthascherei täte dem EXP 9 F aber auch hier gut. Wer mag, kann sich ja mal ernsthaft Gedanken darüber machen, wozu Fußmatten aus Seide gut sein könnten. So wird's unfreiwillig immer genau dort komisch, wo feinstes Kunsthandwerk auf modernste Technik trifft. Die zeigt sich in Form von unzähligen Displays und Bildschirmchen mit Chromeinfassung, die für ein "individualisierbares Bedienkonzept" stehen. Kann man machen. Aber ganz ehrlich: Können Sie sich den Big Ben mit digitaler Zeitanzeige vorstellen?
Sind Sie noch da? Prima, dann können wir ja weiter in Luxus schwelgen. Eine Havanna gefällig? Kein Problem. Die Zigarrenkiste, im Premium-Sprech natürlich Humidor genannt, ist in der Mittelkonsole verbaut. Edle Prickelwässer finden im Kühlfach der klappbaren Fondarmlehne Platz. Lauschige Stunden zu zweit verbringt man idealerweise auf dem unteren Teil der Heckklappe, die sich elektrisch angetrieben zu Sitzbank oder Picknicktisch verwandeln lässt. Ein integriertes Stoffsegel schützt die picknickenden schwerreichen Individualreisenden vor allzu viel Natur.
Um selbige sollte man sich als Bentley-Fahrer eh nicht zu viele Gedanken machen. Hinterm Chrom-Gitter des XXL-Kühlers säuselt ein Sechsliter W12-Twinturbo, der butterweich 610 PS aus den Brennräumen holt. Sehr fein. Aber eben auch sehr durstig. Da hilft es herzlich wenig, dass sich Bentley-Chef Wolfgang Dürheimer vorstellen kann, den EXP 9 F mit dem "kleinen" Vierliter-V8-Twinturbo oder gar einem Hybridantrieb auf die weite Reise zu seinen künftigen Besitzern zu schicken. Die werden sich mit Blick aufs mächtig dick aufgetragene Design ganz sicher vor allem außerhalb Europas finden – wo die Straßen breit, die Parkhäuser riesig und die oberen 10.000 glücklich sind, wenn sie Heckleuchten spazieren fahren können, die "in Form und Gestaltung von den Strahltriebwerken eines Kampflugzeuges inspiriert wurden." Noch Fragen?

Von

Jochen Knecht