Ja, liebe Cabrio-Freunde, so gut wie heute ging es uns noch nie. Und das soll jetzt kein Loblied auf den Klimawandel werden. Die schiere Fülle meine ich – Cabriolets sprießen doch in diesen Zeiten aus der Erde wie die Blumen nach einem warmen Sommerregen. Nehmen wir BMW: Noch bis in die 90er-Jahre waren wir froh, dass uns die Münchener überhaupt ein Auto zum Aufklappen gönnten. Heute sind es vier, mit dem Mini sogar fünf. Und ständig gibt es Nachschub: Kaum setzt unser geliebtes 3er-Cabrio Wohlstandsspeck an und verabschiedet sich aus den volkstümlichen Regionen in Richtung Oberliga, schon schiebt BMW den 1er als Cabrio nach. Ruck, zuck haben wir es wieder, das Stoffdachcabrio – schlank und rank wie damals vor 22 Jahren, als das neu geborene 325i Cabrio (Typ E30) uns die Popper-Frisur zerzausen durfte. Schön zierlich war es, von angenehmer Schlichtheit, die Unschuld vom Lande. Aber sie hatte es in sich: 170 PS trafen auf nur 1300 Kilogramm Eigengewicht.

Im offenen 1er versinkt man bis zum Kinn im Blech

BMW 125i Cabrio
Hohe Schulterlinie: Der offene 1er umgibt seinen Piloten wie eine Burg.
Und der 1er ist der neue 3er – im Geist zumindest. Nur drei Zentimeter länger, um die Hüften zehn Zentimeter fülliger. Aber das verzeihen wir ihm. Die normative Kraft des Faktischen, wie der Philosoph sagt. Mit anderen Worten: Das hat man heute halt so. Genau wie die hohe Bordwand. Im offenen 1er versinke ich bis zum Kinn im Blech, im alten 3er präsentieren sich die Insassen schulterfrei. Das ist noch richtig offen, fahren wie auf einer Aussichtsplattform, vom Winde verweht und ohne Windschott. Das musste damals erst noch erfunden werden. Herrlich. Aber verständlich auch, dass sich der sicherheitsbedürftige Mensch von heute etwas zu ausgeliefert fühlt. Und sich lieber hinter den aufpralloptimierten Mauern eines 1ers Cabrios verschanzt. Gefühlt ist das wie ein Panzerspähwagen im Vergleich zu einer Christbaumkugel – steif, massiv, bombensicher. Womöglich ließe sich im 1er eine Ladung Sprengstoff zünden, ohne dass viel kaputtginge. Und Schnellfahrer werden begrüßen, dass sie ohne Einbußen von Schals und Toupets dem Tempo frönen dürfen. Selbst bei 160 km/h ist nicht viel los im 1er-Cockpit.

Das alte 3er-Cabrio lässt sich schön quer durch die Kuve fahren

BMW 325i Cabrio
Geht schön quer: Das alte 3er-Cabrio kann dynamisch durch die Kurve gefahren werden.
Zurück in den Uralt-3er. Die Sportsitze sind immer noch optimal, aber das Lenkrad steht ungewohnt flach. Die Verstellung gab’s noch nicht – und Servo nur für 1100 Mark Aufpreis. Bei unserem Exemplar hatte der Erstbesitzer offenbar Gorilla-Arme, er ließ das Extra weg. Gerade mal 9000 Kilometer hat das Schmuckstück auf dem Zähler, und 1986 stand es mit 43.300 Mark in der Preisliste. Sein Nachfolger, der 125i, kommt auf 36.200, aber Euro. Im 3er das klassische BMW-Cockpit, wunderbar simpel das Ganze, und hinten zwei vollwertige Sitze. Im Gegensatz zum offenen 1er, bei dem die Unterbringung Erwachsener im Fond unter den Folter-Paragrafen fällt. Öffnen ist im Youngtimer reine Handarbeit – vorn zwei Hebel umlegen, Dach anheben, hinten die Abdeckung lupfen, Dach runterfallen lassen, zumachen – fertig. Damals war das mit das komfortabelste Verdeck auf dem Markt, heute würde der verwöhnte Cabrio-Fahrer dafür einen Werkstattbesuch einplanen. "Selbst ist der Mann" war seinerzeit der Leitspruch aller BMW-Dynamiker – nicht nur beim Cabriodach.
Wir schnüren über die Abseits-Wege, die der Offenfahrer schätzt, und der betagte 3er will an die Kandarre genommen werden. Früh in die Kurve stemmen, Gas weg und ihn hinten kommen lassen, dann Stoff geben und mit leicht heraushängendem Heck durch – ja, genau wie früher, aufreibend, pulsbeschleunigend schön. Nur dass einem dabei der 1er ganz ohne Spektakel, ESP neutralisiert und laser-präzise auf und davon fährt. Während sein Fahrer ein Kreuzworträtsel ausfüllen könnte. So ist er nun mal, der Fortschritt. Und während ich im verwindungsfreudigen 3er das Auge über das zitternde Armaturenbrett in die Landschaft gleiten lasse, begleitet vom sahnigen Sound und der immer noch beachtlichen Kraft des Sechszylinders, dominiert im Neuzeit-1er der Eindruck, dass es ruhig ein paar PS mehr sein dürften. Nicht, dass die 218 Pferde unterernährt wären, aber das Auto wiegt ja auch 1,6 Tonnen. Und das straffe Fahrwerk ist längst nicht ausgelastet. Natürlich, einfach einen Zahn zurückstecken ginge auch, aber wo bleibt dann der viel beschworene Fahrspaß? Eine Frage, die mich am Ende wieder ins Ur-Cabrio zieht. Denn hier stellt sie sich nicht – Spaß macht der alte 3er immer, auch im gemütlichen Offenfahrmodus. Schon deshalb, weil er beim Bummeln viel besser federt. Und weil es dann nicht auf die Beschleunigung und auch nicht auf die Höchstgeschwindigkeit ankommt. Sondern vor allem auf den Fahrtwind. Auf das Cabriogefühl also. Da zeigt sich der 3er immer noch in alter Frische.

Das Fazit von AUTO BILD-Redakteur Wolfgang König

Dieser Vergleich hinterlässt keine Zweifel: Das 1er-Cabrio füllt die Lücke, die das erste 3er-Cabrio hinterließ. Aber der Fortschritt ist gewaltig: Sicherheit, Ausstattung, Fahrwerk, Qualität – in 22 Jahren hat sich eben viel getan. Fragt sich nur, ob die Errungenschaften der Neuzeit immer zielführend sind. Denn wenn es ums reine Cabriovergnügen geht, hat der alte BMW die Lacher auf seiner Seite. Wer noch einen hat, sollte ihn deshalb verwöhnen. Denn auch ein 1er kann das gute Stück nicht wirklich ersetzen.

Von

Wolfgang König