Vorschusslorbeeren gab es genug. Jetzt wird es ernst für den neuen Volvo: BMW 5er und Mercedes E-Klasse stehen zum ersten Vergleich mit dem S90 bereit.
Bild: Toni Bader
Video: Mercedes vs Volvo vs BMW (2016)
Volvo greift die Oberklasse an
Willkommen in der Oberklasse! Hier geht es um Technik und Leistung und mehr noch um Prestige und Image. Hier sind die Deutschen Chef im Ring: Audi A6, BMW 5er und die Mercedes E-Klasse teilen sich den größten Teil des Kuchens. Von dem hätte Volvo gern auch ein Stück. Die Schweden sehen sich mit dem neuen S90 auf Augenhöhe mit den Deutschen. Traditionell erfreuen sich die Skandinavier bei uns ja großer Sympathie. Ein so positives Image hätten viele gerne. Aber damit gewinnt man bei uns keinen Vergleichstest. Was also kann der S90 sonst noch so?
Optisch macht der große Volvo richtig was her
Gefällig: Der S90 ist fast fünf Meter lang, flach und gestreckt, mit geschliffenem, glasklarem Design.
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Um das zu checken, haben wir erfahrene Gegner mitgebracht: den BMW 530d und den Mercedes E 350 d. Beide, so ein Zufall, mit 258 PS. Der BMW mit xDrive, für den Benz ist Allrad noch nicht lieferbar. Ein Audi A6 stand zum Testzeitpunkt leider nicht zur Verfügung. Der Volvo S90 fährt mit 235-PS-Diesel vor, dazu Automatik und Allrad. Mit seinem Auftritt muss er sich schon mal nicht verstecken, ganz im Gegenteil. Fast fünf Meter lang, flach und gestreckt, mit geschliffenem, glasklarem Design. Das gilt noch mehr für das Interieur. Hier haben die Schweden das wohnlich-skandinavische Thema verfeinert und veredelt. Das hat Klasse, das hat Stil. Gewöhnung, und das ist jetzt noch freundlich formuliert, erfordert jedoch die Bedienung mit dem 9-Zoll-Riesenbildschirm (Serie ab Ausstattungslinie "Momentum") in der Mitte: Tolle Grafik, aber die verschachtelten Menüs und diese seltsame Bedienlogik machen es dem Volvo-Piloten am Anfang nicht einfach.
Bei der Bedienung punktet der 5er mit seinem iDrive
Gereift: Der seit 2010 gebaut BMW 5er besticht durch Dynamik und mühelose Bedienbarkeit.
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Den Messwerten nach bietet der S90 etwas weniger Raum als Mercedes und BMW. Das liegt einfach daran, dass er flacher ist. Eine Folge des coupéhaften Designs. Im Alltag ist davon praktisch nichts zu spüren. Es gibt vorn und hinten viel Platz und dazu straffe, bequeme Sitze. Im Vergleich mit dem ultramodernen Volvo wirkt die Einrichtung des seit 2010 gebauten BMW, sagen wir mal: sehr vertraut. Aber bitte nicht täuschen lassen: Hinter der nicht mehr ganz so frischen Fassade steckt modernste Technik. Der 5er verfügt über aktuelles Multimedia und mit dem iDrive (10,2-Zoll-Display mit Navi Professional für 3000 Euro) über ein logisches und mühelos zu bedienendes System; ganz klar das beste hier. Und der BMW ist bekannt geräumig, auch im Fond. Die Sitze stammen aus der Abteilung sportlich-bequem. Die E-Klasse fuhr zum Test mit vollem Lametta vor: Leder und Interieur in Macchiatobeige, Multikontursitz (2321 Euro), Widescreen-Cockpit (1012 Euro) und vieles mehr. Das wirkt wunderbar barock und ist schön anzuschauen, aber bestimmt auch eine Geschmacksfrage.
Der Benz ist im Vergleich jedenfalls am geräumigsten. Die Sitze bieten herausragenden Komfort, das 12,3 Zoll große Cockpit-Display zeigt die Instrumente gestochen scharf an. Zusammen mit dem ebenfalls 12,3 Zoll großen Schirm des Navis Comand Online (3273 Euro) spielt hier das reinste Breitwand-Kino. Doch das Comand – mit vielen Verstellmöglichkeiten und Menüs und Untermenüs – lässt sich eben nicht so leicht und selbsterklärend steuern wie das iDrive bei BMW.
Die E-Klasse gefällt als souveräner Reisewagen
Luftfederung auf Sänftenniveau: Die Stärke der Mercedes E-Klasse ist ganz klar ihr hoher Komfort.
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Angetrieben wird der E 350 d von einem bulligen 3,0-Liter-V6-Diesel, der nicht ganz so geschmeidig und kultiviert läuft wie der Reihensechser im 530d, aber angenehm sonor klingt. Und der seine Kraft – vor allem bei mittleren Touren – lässig aus dem Ärmel schüttelt. Die Neunstufenautomatik haben wir selten in so guter Form erlebt; sie schaltet betont flott und aufmerksam. Die Stärke der E-Klasse ist ganz klar der Komfort: Es bleibt auffällig leise an Bord, und wie souverän der Benz über Bodenwellen und Schlaglöcher jeder Art hinwegwogt, ist schon bemerkenswert, die Luftfederung (2261 Euro) schluckt (fast) alles einfach weg. Der 5er mit adaptiven Dämpfern (1300 Euro) liegt strammer, rollt aber auch geschmeidig ab, die Federung spricht sensibel an. Und im direkten Vergleich fährt er sich eine Spur agiler als der Benz, lenkt direkter ein, fühlt sich leichter an – obwohl beide knapp zwei Tonnen auf die Waage bringen.
Keine Chance: Mit seinem Vierzylinder fährt der Volvo den Sechszylindern der Konkurrenz hinterher.
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Einen großen Anteil an diesem Gefühl der Leichtfüßigkeit hat natürlich die wunderbare Motor-Getriebe-Kombination. Der feine 3,0-Liter-Reihensechszylinder entwickelt seine Kraft spritziger als der Benz, wunderbar spontan, und dreht und summt mit einer Lust und Laune, dass es eine Freude ist. Die großartige Achtstufenautomatik von ZF schaltet herausragend schnell und sanft. Der 2,0-Liter-Vierzylinder im S90 legt sich tapfer ins Zeug und beschleunigt den Volvo durchaus souverän. Für sich genommen. Auch die Zusammenarbeit mit der flink schaltenden Achtstufenautomatik des japanischen Zulieferers Aisin klappt reibungslos. Doch gegen die kraftstrotzenden Sechszylinder hat der S90 kaum eine Chance. Beim Sprint von null auf 100 nimmt ihm der 530d fast zwei Sekunden ab, bis 160 km/h vier. Der Vierzylinder wirkt gehemmter in der Leistungsentfaltung, klingt angestrengt bei hohen Drehzahlen – und aufgrund der kürzeren Übersetzung braucht man die häufiger. Mit 6,8 Litern verbraucht er aber auch nicht viel weniger als Benz (7,0) und BMW (7,2).
Der Test-S90 stand auf 20-Zoll-Pirelli. Zuerst die gute Nachricht: Er bremste sehr gut, viel besser als etwa der BMW. Die schlechte: Damit erreicht er trotz der adaptiven Luftfederung an der Hinterachse (1970 Euro) den hohen Federungskomfort von 530d und E 350 d nicht. Der Volvo nimmt vor allem Querfugen steifer. Wo Volvo sich sieht, zeigen die Preise sehr schön: Mit 64.600 Euro steht der Test-S90 in der Liste, der BMW 530d ist 1730 Euro günstiger: 62.870 Euro. Einsam an der Spitze fährt jedoch der Benz mit 71.076 Euro im Testwagen-Trimm. Doch seinen Sieg kann selbst das nicht verhindern.
Glückwunsch Volvo! Den S90 habt ihr richtig gut hinbekommen. Er sieht hinreißend aus, ist geschmackvoll eingerichtet, äußerst sicher und kann fahrdynamisch mithalten. Dass es in diesem Vergleich gegen den sehr souveränen Benz und den ausentwickelten BMW nicht für mehr reicht, ist eine Frage des Antriebs: Der kleine 2,0-Liter-Vierzylinder hat es schwer gegen die beiden 3,0-Liter-Sechszylinder.