Mutige Alternativen fernab vom Mainstream

Mut ist in unsicheren Zeiten eine seltene Eigenschaft geworden, speziell in Deutschland. Wer wagt heute einen Start mit einer neuen Geschäftsidee? Wer traut sich heute, den Chef auf ganz offensichtliche Fehler hinzuweisen? Und: Wer entscheidet sich heute bewußt für ein Auto einer in Deutschland weniger populären Marke? In allen Fällen lautet die Antwort: Nur sehr wenige bringen den Mut auf. Wollen Sie es genau wissen?

Das Jahr 2005 ist fast zu Ende, und der Anteil der vier deutschen Marken im Segment der Oberklasse-SUV erreicht einen Höchststand von 76 Prozent. Alle anderen – Engländer, Schweden, Koreaner, Amerikaner, Japaner – sehen traurig zu. Wobei die Schweden mit Volvo als einzige nichtdeutsche Marke ordentliche Verkaufszahlen erzielen.

Und deshalb auch nicht in diesen Vergleich gehören. Denn wir wollten für Sie, liebe mutige Leser, ein paar Alternativen jenseits des Mainstreams aufzeigen. Dieser Vergleich wendet sich an die Sorglosen, die sich einen feuchten Kehricht um den Wiederverkaufswert scheren. An die Optimisten, die ein dünnes Werkstattnetz nicht schreckt. An die Individualisten, denen irritierte Passanten-Blicke auf ihr ungewöhnliches Fahrzeug herzlich egal – oder willkommen – sind. Den drei herausragenden Beispielen fremdländischer Allradkultur haben wir als deutsche Meßlatte in der SUV-Oberklasse den allseits bekannten und beliebten BMW X5 zur Seite gestellt.

Der dicke Cadillac ist leichter als ein X5

Fährt man mit dem BMW, wird schnell klar, warum er gerade bei den Deutschen so beliebt ist. Seine dezent-sportliche Linie macht im Verein mit dem BMW-Markenimage jeden X5-Fahrer im Handumdrehen zum erfolgverwöhnten Dynamiker. So sehen es zumindest viele, schließlich gilt dynamische Sportlichkeit als erstrebenswertes Merkmal in der heutigen Gesellschaft. Zumal der X5 dabei authentisch ist, seine Sportlichkeit also keineswegs aufgesetzt wirkt.

Gut, in Wahrheit ist er ein Schwergewicht und damit weit von Leichtfüßigkeit entfernt. Aber seine Erbauer haben es geschafft, den X5 trotz der vielen Pfunde kurvenwillig, behende und temperamentvoll erscheinen zu lassen. Der rassige Klang des Reihensechszylinder-Motors untermalt diesen Anspruch gekonnt und läßt den strammen Bayern stets spritziger erscheinen, als er ist.

Ganz anders die Alternative aus Amerika. Der mächtige Cadillac tritt schon optisch mit der "Feingliedrigkeit" eines Gladiators auf. Der SRX ist richtig groß, überraschenderweise aber leichter als der BMW. Doch das hilft ihm nicht, wenn es darum geht, flotten Kursänderungen zu folgen. Dieser Cadillac hat sich zwar europäischer Kurvenwilligkeit verblüffend stark angenähert, im direkten Vergleich zum BMW wirkt er aber immer noch kopflastig und träge beim Einlenken. Sein Innenraum mit vergleichsweise lieblos ausgewählten Kunststoffen paßt zum Vorurteil, das Deutsche gegenüber US-Autos gerne äußern: Die Show stimmt, im Detail fehlt es.

Unendlich viele Gangstufen im Murano

Daß der Cadillac dank mehr Mumm durch mehr Hubraum den ach so sportlichen BMW beim Gasgeben in jeder Situation locker stehenläßt, überrascht so manchen X5-Fahrer. Wer aber wirklich mit dem Amerikaner schnell fahren möchte, erkennt die wiederum lieblose Abstimmung des Fünfgang-Automatikgetriebes. Perfekt für lässiges Dahingleiten, aber wegen unpassend gewählter Übersetzungen hektisch schaltend beim Tempobolzen. Und dabei erfüllt der Cadillac dann ein weiteres US-Vorurteil: Er beginnt hemmungslos zu saufen.

Der Nissan Murano enttäuscht in diesem Punkt fast noch mehr. Denn trotz kleinerer Abmessungen und nochmals 215 Kilo weniger Gewicht verbraucht sein aus dem Sportwagen 350Z entlehnter V-Sechszylinder nicht weniger als der dicke Cadillac. Interessant ist der Japaner trotzdem. Nicht nur wegen seines ebenfalls wahrhaft ungewöhnlichen Aussehens, das für heruntergeklappte Unterkiefer bei anderen Tankstellenkunden sorgt.

Auch technisch birgt der Murano Interessantes. Als einziger verzichtet er auf ein herkömmliches Automatikgetriebe mit Drehmomentwandler zum Anfahren und mehrstufigem Planetengetriebe zum Schalten. Im Nissan sorgt ein stufenloses Getriebe mit metallenem Gliederband für unendlich viele Gangstufen. Und das Anfahren besorgt kein Kräfte fressender Wandler, sondern eine elektromagnetische Kupplung. Für den Fahrer bedeutet dies bei der Bedienung keinerlei Umgewöhnung. Wohl aber bei der Geräuschkulisse, denn beim Beschleunigen zieht der röhrende Nissan mit annähernd gleichbleibender Motordrehzahl davon, wird aber trotzdem schneller.

Betriebskosten, Garantien und Preise

Ungewohnt, aber prinzipiell ohne Nachteil, denn die Abstimmung stimmt. Man braucht keine Bedenken zu haben, der Motor könne mit zu hohen Drehzahlen unterwegs sein. Auch beim zügigen Beschleunigen bemüht sich das Getriebe um Drehzahlreduzierung. Erst bei annähernd Vollgas dreht der Motor stets im Bereich seiner maximalen Leistungsabgabe bei rund 6000 Touren, während das Getriebe stufenlos die Übersetzung anpaßt und den Murano immer schneller werden läßt. Das Ergebnis sind die besten Fahrleistungen in diesem Vergleichstest.

Gleichwohl zeigt dieses Getriebe auch Schwächen. Vor allem beim Anfahrvorgang. Wer es wie wir im Test darauf anlegt und den Murano mehrmals hintereinander an einem steilen Berg zum Anfahren zwingt, bringt die elektromagnetische Kupplung schnell an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit. Sie beginnt zu rucken und riecht streng. Offensichtlich ist das auch der Grund für die mehr als magere Anhängelast von nur 1500 Kilogramm. Die drei Konkurrenten mit ihren konventionellen Automatikgetrieben zeigten sich von solchen Torturen auf dem gleichen Almweg übrigens völlig unbeeindruckt.

Von dieser Eigenart abgesehen, erfreut der Nissan nicht nur Individualisten, denen seine Optik gefällt. Der großzügige Innenraum, die überkomplette Ausstattung mit serienmäßiger Bildschirmnavigation und der stets vorherrschende Eindruck von temperamentvoller Leichtfüßigkeit bringen Leben in den Alltag mit dem Murano. Allerdings hat Nissan mit der Dämpferabstimmung der Europa-Version etwas übertrieben. Der Euro-Murano federt zwar nicht so straff wie der BMW X5, aber Cadillac und Lexus verdauen Unebenheiten besser.

Technische Daten und Fahrleistungen

Überhaupt der Lexus. Vor lauter Euphorie um seinen Hybrid-Bruder RX 400h gerät der RX 300 etwas ins Abseits. Das hat er nicht verdient, denn auch mit konventionellem Benzinmotor darf er als unkonventionelles Auto gelten. Die futuristisch angehauchte Optik und das noch immer relativ unbekannte "L" des Lexus-Markenlogos sorgen für neugierige Blicke. Dabei will der Lexus gar nicht auf Biegen und Brechen anders sein, sondern vor allem seinen Fahrer entlasten. Dies tut er so erfolgreich, daß eine Reise im Lexus ungewöhnlich entspannend wirkt.

Der RX 300 verführt nicht zum Schnellfahren, bleibt aber kurvenwillig und sicher. Er beschleunigt nicht überwältigend, aber insgesamt souverän. Er macht es seinem Fahrer leicht, unterstützt ihn nach Kräften bei der Bedienung und hält lästige Einflüsse von draußen fern. Eine fahrende Raumkapsel, so wirkt der Lexus, auch aufgrund des ungewöhnlich gestalteten Cockpits mit sportlichen Rundinstrumenten und edlen Materialien.

Eine Gemeinsamkeit aller vier ist der Verzicht auf eine Geländereduktion, die Steigfähigkeit und Anhängertauglichkeit fördern würde. Auch in Sachen Allradantrieb haben die vier Hersteller nur das Nötigste für die Geländetauglichkeit getan. Lexus und Cadillac bevorzugen den klassischen Permanent-Allrad über ein Zentraldifferential. Die notwendige Sperrwirkung wird passiv mit einer elektronisch geregelten Schlupfregelung per Radbremseneingriff erzeugt. Beide fahren deshalb auch auf rutschigem Untergrund wie beispielsweise Schnee unspektakulär und leicht beherrschbar.

Bewertung und Fazit

Anders sehen die Allradlösungen von BMW und Nissan aus. Beide verwenden zwar auch Schlupfregelungen als Achssperrenersatz, bei beiden wird jedoch nur eine Achse direkt von Motor und Getriebe angetrieben. Beim BMW die hintere, beim Nissan die vordere. Die jeweils andere Achse wird über eine Mehrscheibenkupplung – gesteuert über einen Rechner – nur bei drohendem Schlupf am Vortrieb beteiligt. Besonders der X5 fährt sich mit dieser Auslegung sehr fahraktiv und vermeidet träges Schieben über die Vorderräder.

Der 300 Kilogramm leichtere Nissan macht das kaum schlechter. Besonderheit bei ihm: Die zur Allradverteilung zuständige Kupplung läßt sich manuell verriegeln. Das bringt vor allem beim Anfahren im Tiefschnee eindeutig Vorteile. Diese drei Exoten erweisen sich insgesamt als wahre Alternativen. Man muß also nicht immer zum Etablierten greifen. Nur Mut.

Fazit: Den sündteuren und betont sportlichen BMW retten seine ausgezeichneten Bremsen vor dem zweiten Platz. Wer mehr den Fahrkomfort sucht, liegt beim ebenfalls nicht ganz billigen und nicht ganz so agilen Lexus richtig. Der parkraumraubende, aber komfortable Cadillac hält sich prächtig, ist aber weniger liebevoll verarbeitet. Gerade für den aktiven Fahrer ist auch der rasante Nissan eine Alternative – und dazu mit großem Abstand der Preisgünstigste.

Hier ist Ihre Meinung gefragt

Ob ein Auto letztlich ankommt, wissen nur die Verbraucher selbst – also Sie. Deshalb ist uns Ihre Meinung wichtig. Vergeben Sie eigene Noten für BMW X5 3.0i, Lexus RX 300, Cadillac SRX 3.6 und Nissan Murano 3.5. Den Zwischenstand sehen Sie nach Abgabe Ihrer Bewertung.

Von

Martin Braun