Sie tun es immer wieder: Zwar hat sich Cadillac im Kampf gegen die deutschen Oberklasse-Hersteller schon dutzendweise eine blutige Nase geholt. Doch einmal mehr nimmt die Nobelmarke im GM-Imperium jetzt einen Anlauf gegen das Trio aus dem Süden und versucht sein Glück mit dem ATS. Der 4,64 Meter lange Viertürer zielt auf C-Klasse, Dreier und A4 und soll die Marke vor allem daheim vom Rentner-Image befreien. Aber weil die Welt schließlich immer enger zusammenrückt und GM in Europa seit dem Ende von Saab kein entsprechendes Premium-Angebot mehr hat, soll der ATS ab sofort sogar bei uns den Kampf mit dem Establishment aufnehmen.
Cadillac ATS
Die Materialanmutung im ATS wirkt durchaus Konkurrenzfähig. Zumindest bis man auf den zweiten Blick dann doch ein wenig Hartplastik entdeckt.
Dafür setzen die Amerikaner auf ein messerscharfes Design, das so gar nichts mit der Gleichmacherei in der deutschen Business-Klasse gemein hat: Die scharfen Kanten, die geraden Linien, den stechenden Blick, den riesigen Kühler und die sichelförmigen Leuchten erkennt man auf Anhieb. Und innen fühlt man sich zum ersten Mal in einem Amerikaner gut aufgehoben. Die Materialanmutung wirkt durchaus konkurrenzfähig, zumindest bis man auf den zweiten Blick dann doch ein wenig Hartplastik entdeckt. Die Sitze sind straff gepolstert und lassen sich gut verstellen. Zu den üblichen Komfortextras wie dem Heer elektrischer Helfer gibt es jetzt auch Sicherheitsfeatures wie den Abstandstempomaten, die Sensoren für Spurführung und –wechsel und sogar ein Head-up-Display. Und mit der Unterhaltungselektronik setzt Cadillac tatsächlich Maßstäbe: So nah an iPhone und iPad wie das CUE-System für Navigation, Musik und Infotainment reicht bislang kein anderes Mäusekino. Die Menüs eingängig, die Bedienung ein Kinderspiel, die Grafiken detailliert und dreidimensional, das Format üppig und der Touchscreen mit faszinierender Auflösung – in diesem Punkt geht der ATS glatt als der Apple unter den Autos durch.
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Der ATS macht richtig Spaß – auch dank des Heckantrieb.
Aber es sind diesmal nicht nur die Sekundärtugenden, mit denen Cadillac punktet: Der ATS fährt auch richtig gut: Keine 1,6 Tonnen schwer, mit nahezu ausgeglichener Gewichtsverteilung und auf dem Nürburgring abgestimmt und vor allem endlich wieder mit Heckantrieb, macht er tatsächlich auch auf einer Landstraße Laune. Der Wagen schneidet scharf durch die Kurven, liegt satt auf der Straße und zaubert mit jeder Kehre ein breiteres Lächeln auf die Lippen des Fahrers. Und wer es richtig toll treiben will oder in den Bergen wohnt, der bekommt den ATS auf Wunsch auch mit Allrad.
Auch der Motor ist sehr ordentlich: Nutzt Cadillac doch den Zweiliter-Turbo aus dem Insignia, der allerdings diesmal die einzige Leihgabe von Opel ist. Der Vierzylinder ist mit seinen 276 PS fast so stark wie ein V6-Motor und geht mit bis zu 353 Nm zu Werke. Er knurrt zwar beim Kickdown laut und vernehmlich. Aber die Sechsgang-Automatik macht ihre Sache gut und das Drehmoment kommt tatsächlich auf der Straße an. So schnellt der Wagen in runden sechs Sekunden auf Tempo 100 und erreicht ein autobahntaugliches Spitzentempo von 240 km/h. Und selbst der Verbrauch straft die Mär vom durstigen Ami-Schlitten Lügen: Zumindest auf dem Prüfstand reichen dem ATS je nach Antriebskonfiguration zwischen 8,2 und 8,6 Liter.
Das beste Argument für den ATS ist und bleibt neben dem Design allerdings der Preis. Zwar sind die Komplettpakete auch bei den Amerikanern nicht mehr ganz so üppig geschnürt und für neumodische Extras wie die Abstandsregelung mit  automatischer Notbremse oder das Head-up-Display muss man jetzt auch bei Cadillac einen Aufpreis bezahlen. Aber mit 37.500 Euro liegt er bei besserer Ausstattung und mehr Leistung auf einem Niveau zum Beispiel mit dem BMW 328i. Für kühle Rechner ist das Auto also keine schlechte Wahl. Und für Menschen, die nicht in der Masse untergehen wollen, auch nicht. Wenn jetzt noch das Image stimmen würde, das Händlernetz groß genug wäre und die Amerikaner die Sache mit der Bekanntheit in den Griff bekommen, dann könnte es der ATS tatsächlich als erster Cadillac in Europa über die Wahrnehmungsgrenze schaffen.

Von

Thomas Geiger