Pure Eleganz gegen nackte Vernunft

Frauenauto ... Wie sich das schon anhört! So ein bisschen wie behindertengerechtes Fortbewegungsmittel. Wer will schon ein typisches Frauenauto fahren? Am wenigsten doch die Damen selbst. Wäre ja noch schöner. Schon deshalb spricht Lancia beim neuen Ypsilon lieber von einem Auto, "das Frauen mögen". Wie dem auch sei, die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Vom Vorgänger Y wurden seit 1996 rund 1,8 Millionen Exemplare gebaut. 80 Prozent davon landeten in Damenhänden.

Und in diesem Bereich, da muss man kein Frauenversteher sein, dürfte es sich beim neuen Yspilon wieder einpendeln. Das elegante Design kommt halt an beim weiblichen Geschlecht. Welche Frau fragt schon beim Schuhkauf, ob die Dinger nützlich, bequem oder gar solide sind? Schick müssen sie sein! Und schließlich fährt ja in jedem Ypsilon auch eine feine Prise italienischer Lebensart mit.

Gibt es so was auch auf Deutsch? Ja, da heißt es Polo. Korrekt, vernünftig und auch etwas spießig. Ein bisschen wie wir Deutschen eben. Egal. Viel besser als mit dem Polo kann man den Begriff "automobil" vermutlich nicht ausdrücken. Mit dem Polo kleidet man sich nicht, man fährt ihn.

Ypsilon liegt viel höher als die anderen

Völlig anders sieht es beim Mini aus. Er ist ein rollendes Statement: Seht her, ich bin anders. Modern, sportlich, lifestylig. Mini fahren ist Kult. Damals und heute sowieso. Wie schön, dass es so was wieder gibt. Drei Kleinwagen, drei Charaktere. Doch mit Schönheit allein ist noch keiner Testsieger geworden. Für eine schicke Rückleuchte oder einen verchromten Grill gibt es zwar Sympathie, aber keine Punkte. Die drei City-Flitzer müssen sich auch bei unserem Testprozedere behaupten. Da der Mini als Benziner erst mit 90 PS startet, kommt als Kandidat nur der Lancia in der stärksten Version mit 95 PS in Frage. Basis ist hier die Ausstattungslinie Argento. Der Polo geht gar mit 100 PS an den Start.

Was sofort auffällt: Der Ypsilon liegt viel höher als die anderen. Der Ein- und Ausstieg funktioniert so bequemer. Kein Wunder, sieben Zentimeter mehr Sitzhöhe sind eine kleine Welt. Die offenbart sich auch im Cockpit. Unterschiedlicher können Instrumente kaum sein. Lancia präsentiert klassisch-edle Rundinstrumente, hell hinterlegt, chromumrandet und mittig oben auf dem Armaturenbrett platziert. Vorteile beim Ablesen hat dies nicht. Aber es sieht halt klasse aus.

Im Mini präsentieren die Münchener die wohl größte Küchenuhr, die je ein Auto zierte. Witzige Idee. Dennoch ist der zentrale Tacho nicht wirklich gut abzulesen. Der Schrifttyp ist zu schmal. Und so richtig premiumlike wirken die Plastikteile am Cockpit auch nicht. Zum Beispiel dieser silberne Joghurtbecher auf der Lenksäule, in dem der Drehzahlmesser sitzt.

Ohne Experimente, ganz sachlich und geordnet löst VW die Cockpit-Frage. Totale Solidität. Aber, liebe Rotstiftakrobaten, wann habt ihr das letzte Mal die Fingernagelprobe auf teurem Plastik gemacht? Diese harten Oberflächen passen nicht zum hohen Polo-Preis. Wohl aber das Fahrverhalten.

Fahrverhalten und Komfort

Der Wolfsburger liegt hier fast auf Golf-Niveau. Man spürt die feste Karosserie und den hohen Abrollkomfort. Das Lenkrad ist in Höhe und Tiefe einstellbar, die Sitze bieten guten Halt, die Schaltung flutscht lockerflockig durch die Gassen.

Das allerdings kann der Lancia auch. Weil sein Hebel hoch in der Mittelkonsole sitzt, hat man alles bestens im Griff. Ein Komfort, den man schnell zu schätzen weiß. Wie auch die umschaltbare elektrische Servolenkung Dualdrive. Auf Knopfdruck wird hier der City-Modus aktiviert. Für den Stadtverkehr sowie fürs Einparken reichen nun zum Dirigieren zwei Finger. Ab Tempo 70 km/h schaltet die Elektronik automatisch wieder in den Normalmodus zurück.

Der Mini kennt nur einen Modus: Sport. Kein Kleinwagen fährt so knackig und direkt wie er. Die Lenkung liefert sehr gute Rückmeldung. Das Fahrwerk allerdings auch: Durch die straffe Abstimmung bleibt der Komfort auf der Strecke. Das mag nicht jeder.

Platzangebot und Variabilität

Auch der Platz ist im Mini – wie der Name schon sagt – nicht maximal. Zumindest auf der Rückbank. Wer vorn nicht zusammengekauert wie ein Frosch hocken will, macht sich hinten wenig Freunde. An Kopffreiheit mangelt es zwar nicht, doch die Füße der Hinterbänkler stecken zumeist eingekeilt fest. Als Gepäckträger hat der Brite mit deutschen Genen ebenfalls wenig Talent. Bei Volumen und Zuladung ist er hier Schlechtester.

Mehr Luft zum Atmen bleibt im Lancia. Hier können zumindest vier vernünftig sitzen. Zudem bietet der Ypsilon am meisten Variabilität: Rückbank verschiebbar und geteilt umlegbar. Polo-Besitzer sind schon froh, wenn überhaupt etwas klappt, zumindest aufpreisfrei. Die getrennten Rücksitze kosten 136 Euro extra. Aber immerhin gibt es den Polo auch mit vier Türen. Wichtig für Mütter, die hinten Kindersitze montieren müssen. Beim Ypsilon folgt der Fünftürer als kleiner Van Ende 2004, einen viertürigen Mini werden wir hoffentlich nie sehen.

Wer sein Augenmerk rein auf die Fahrleistung legt, kann beruhigt sein: Hier fährt keiner dem anderen davon. Subjektiv geben sich der Polo und der Lancia sehr drehfreudig und bleiben vibrationsarm. Der Mini ist länger übersetzt, dreht weder im fünften noch im vierten Gang aus. Man wartet deutlich länger mit dem Hochschalten als bei den beiden anderen.

Kosten und Ausstattungen

Beim Thema Sicherheit setzt VW den Maßstab: ASR, ESP, Bremsassistent sowie Front- und Seitenairbags sind Serie. Nur Windowbags kosten extra, beim Mini sind sie nicht zu bekommen, der Lancia hat sie serienmäßig. Dafür muss der Ypsilon-Verkäufer bei der Frage nach Seitenairbags und ESP aufs nächste Jahr vertrösten – oder darauf hoffen, dass Frauen sich eher nach einem zweiten Schminkspiegel erkundigen.

Technische Daten und Testwerte

Würden die drei von der Ampel weg beschleunigen, keiner würde dem anderen davonfahren. So identisch waren Testkandidaten lange nicht mehr.

Fazit und Wertung

Fazit von AUTO BILD-Redakteur Michael Specht Zugegeben, der Lancia besticht durch Design und Eleganz. Auch beim Fahren liegt er auf hohem Niveau, hat die besten Bremsen, bietet mit den großen Rädern aber nur mäßigen Komfort. Dennoch: Seine Linien sind mir eine Spur zu feminin. Als Mann fühle ich mich wohler im Mini. Mit all seinen Nachteilen bezüglich Platz, Zuladung oder Kofferraum. Der Wagen hat Charme, sieht gut aus und fährt sich knackig wie kein anderer. Nutzwertorientiert darf man sich solch einem Auto allerdings nicht nähern. Dafür gibt es den Polo, eindeutiger Testsieger, und das nicht nur wegen seines sehr guten Fahrverhaltens. Was Lancia Hoffnung machen sollte: Auch der Smart hat nie einen Vergleichstest gewonnen und wurde doch ein großer Erfolg.

Polo, Lancia oder Mini – Urteilen Sie selbst

Ob ein Auto letztlich ankommt, wissen nur die Verbraucher selbst – also Sie. Deshalb ist uns Ihre Meinung wichtig. Vergeben Sie eigene Noten für VW Polo, Lancia Ypsilon und den Mini. Den Zwischenstand sehen Sie direkt nach Abgabe Ihrer Bewertung.