Einen Schritt voraus: der neue ML

Die Söhne genialer und erfolgreicher Väter haben es manchmal leicht, oft aber auch nicht. Die einen setzen sich genüßlich ins gemachte Nest, die anderen wollen aus dem Schatten des Vaters heraustreten, schaffen es aber trotz jahrelanger Anstrengungen nie. Ob es der neue ML mit dem Typencode W164 schafft, aus dem Schatten des höchst erfolgreichen Vorgängers W163 herauszutreten?

Ja, sicher schafft er das. Schließlich scheint Mercedes alles Wichtige dafür getan zu haben. Die Erfolgsgeschichte mit dem amerikanischen Kürzel SUV startete für Mercedes im Jahr 1997 mit einem großen Wagnis: ein komplett neues Auto in einem fremden Segment, produziert auf einem fremden Kontinent in einer eigens errichteten Fabrik, die von fremden Zulieferern am Laufen gehalten wird.

Der grandiose Verkaufserfolg der M-Klasse sowohl in Amerika als auch in Europa ruft bald die deutsche Konkurrenz auf den Plan. BMW bringt 1999 den X5, ebenfalls in den USA in einem neuen Werk produziert. Porsche und Volkswagen haben Verspätung und starten erst 2002 mit ihrer Gemeinschaftsentwicklung Cayenne/Touareg, die im slowakischen Bratislava (ebenfalls preiswert) gebaut wird.

In allen Lagen komfortabel

Jetzt ist Mercedes-Benz den deutschen Konkurrenten wieder einen Schritt voraus: Die zweite Generation der M-Klasse vermeidet die Fehler der ersten. Die hatte elend lange Lieferzeiten durch zu vorsichtige Produktionskapazitäten, die Dieselversion startete viel zu spät, das Auto hatte ein mäßiges Handling durch sein betont kostenorientiertes Fahrwerk und anfangs eine unrühmliche Verarbeitungsqualität.

All das gehört ab sofort der Vergangenheit an. Vor allem der Komfort zählt nun zu den absoluten Stärken der M-Klasse. Da macht dem Mercedes keiner mehr etwas vor, auch nicht der VW Touareg.

Bei langen Bodenwellen liegen beide noch gleichauf auf sehr hohem Niveau. Der Vorsprung der neuen M-Klasse zeigt sich aber vor allem auf kurzen Unebenheiten wie Kanaldeckeln oder Asphaltflicken. Der VW verdaut diese befriedigend bis gut, der Mercedes erreicht hier jedoch jedoch ein deutlich höheres Niveau. Kein anderer Geländewagen federt derzeit gekonnter über alle Unannehmlichkeiten des Straßenbaus hinweg. Wer noch mehr will, muß zu den Luxuslimousinen abwandern. Der betont straff abgestimmte BMW bleibt dagegen meilenweit entfernt vom Schluckvermögen der Konkurrenz.

In Kurven fehlt das Feingefühl

Schade, daß die Auslegung der Mercedes-Lenkung zum Komfortcharakter nicht so recht passen will. Sie ist zwar angenehm direkt und bei weitem nicht mehr so gefühllos wie die des Vorgängers, aber schlicht und einfach deutlich schwergängiger als die BMW- oder VW-Lenkung. Vor allem im Innerortsverkehr wirkt die M-Klasse dadurch unnötig unhandlich.

Geradezu spielerisch fährt sich dagegen der BMW X5. Nach wie vor ist er ungeschlagen, wenn es in dieser Klasse um Handlichkeit und Kurvenfreude geht. Was er beim Federungskomfort verliert, macht er für einen sportlich orientierten Fahrer auf einer kurvenreichen Straße wieder wett. Zwar ist der BMW mit 2270 Kilo Leergewicht nicht leicht, verschleiert aber seinem Fahrer subjektiv mindestens 400 Kilo zu bewegende Masse.

Der Mercedes kommt schon auf über 2,3 Tonnen, wirkt aber trotzdem bei forcierter Fahrweise keineswegs überfordert. Nur weniger leichtfüßig als der X5. Mit deutlichem Abstand folgt hier der VW. Bei ihm zeigt die ächzende Waage volle 2500 Kilo an. Und so fährt sich der Touareg auch. Sportliche Gangart erduldet er zwar, aber mit heftigem Untersteuern in engeren Kurven macht er dezent darauf aufmerksam, daß sie nicht seinen bevorzugten Habitus darstellt.

Technische Daten und Testwerte

Weniger Unterschiede zeigen die zu diesem Test angetretenen Turbodieselantriebe. Dreimal sechs Zylinder, dreimal drei Liter Hubraum, dreimal lärmhemmende Common-Rail-Direkteinspritzung, dreimal Leistungen um die 220 PS, dreimal Drehmomente um die 500 Nm. Kein Wunder, daß sich bei Fahrleistungen und Verbrauch nur vergleichsweise geringe Differenzen ergeben.

Daß der ML 320 CDI stets ein wenig besser beschleunigt als BMW oder VW, liegt weniger am neuen V6-CDI selbst als vielmehr an der besonders gekonnten Zusammenarbeit mit dem ebenso neuen Siebengang-Automatikgetriebe. Es sucht sich blitzartig die passende Fahrstufe und gefällt mit bestem Schaltkomfort. Auch die etwas niedrigeren Verbrauchswerte des ML 320 CDI dürften auf das Konto des von Mercedes selbst entwickelten Automatikgetriebes gehen.

Schließlich läßt das neue Räderwerk den Kraftfluß so konsequent wie möglich über die spritsparende Wandlerüberbrückungskupplung laufen anstatt über den verlustreichen Drehmomentwandler, auch in den kleinen Gängen und auch im Stadtverkehr. Der fast 200 Kilo schwerere VW Touareg verbraucht jedenfalls im Schnitt einen Liter pro 100 Kilometer mehr. Der leichtere BMW liegt beim Dieselkonsum dazwischen, aber nahe am Mercedes.

Geländetauglichkeit kostet extra

Einen satten Punktevorsprung sichert sich der neue Mercedes im Innenraumkapitel. Obwohl nur drei Zentimeter länger als der VW, bietet der ML merklich mehr Platz. Ob vorne, im Fond oder im Gepäckraum, überall fanden die Stuttgarter einige Zentimeter mehr. Zwar schrumpfte die Zuladung gegenüber dem Vorgänger auf 520 Kilo, aber immerhin verkraftet der ML noch 75 Kilo mehr als der VW und 95 mehr als der BMW.

Neue Wege beschreitet Mercedes auch bei Allradantrieb und Geländetauglichkeit. Neu ist dabei weniger die Technik als vielmehr die Taktik: Wer konsequente Geländetauglichkeit will, muß Aufpreis zahlen. Man kann es aber auch umgekehrt sagen: Wer so etwas nicht braucht, muß die aufwendige Technik nicht im Grundpreis mitbezahlen. Und so gibt es sozusagen zwei M-Klassen: In Grundausstattung bietet der ML nicht mehr Geländetauglichkeit als der BMW X5. Es gibt einen permanenten Allradantrieb, brauchbare Bodenfreiheit und einen Achssperrenersatz über eine automatische Antriebsschlupfregelung per Bremseingriff.

Ordert man das Offroad-Pro-Paket für 1914 Euro, liftet man damit die Geländetauglichkeit des ML in etwa auf das hohe Niveau eines serienmäßigen VW Touareg. Dann finden sich an der Mittelkonsole des Mercedes Schalter für die Geländeuntersetzung und eine auch manuell bedienbare Zentraldifferentialsperre. Die höhenverstellbare Luftfederung für enorme (VW, Mercedes) oder recht gute (BMW) Bodenfreiheit kostet dagegen bei allen deftige Aufpreise.

Kosten und Ausstatttungen

Bei M-Klasse und Touareg zeigt sich, daß die Entwickler viel über Geländetauglichkeit nachgedacht haben. Bei beiden funktionieren die Allradantriebe ausgezeichnet. Keiner der zwei Kontrahenten meistert dabei ein Hindernis, das der andere nicht auch bezwingen könnte. Die Grenze wird bei beiden allerdings recht schnell erreicht, wenn der Boden matschig-rutschig wird. Das hohe Gewicht zieht beide unerbittlich nach unten.

Die ganze aufwendige Technik ist am Ende ihrer Möglichkeiten, wenn alle vier Räder wegen ihres feinen Straßenreifenprofils praktisch gleichmäßig durchdrehen. Leichtgewichte wie etwa ein Suzuki Jimny fahren auf dem gleichen Untergrund hohnlachend Kreise um die im Matsch versunkenen Image-Brocken.

Was lernen wir daraus? Man kann auch heute nicht alles haben. Die unglaublichen Fortschritte bei Komfort, Tempo und Sicherheit durch die aktuellen Oberklasse-SUV dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich die Physik nicht überlisten läßt. Wer träumt, sich durch schlichtes Knöpfchendrücken wie Münchhausen selbst aus dem Schlamm ziehen zu können, sollte es nie ausprobieren. Denn mit Straßenreifen bleibt es lediglich ein Traum.

Fazit und Wertung

Fazit von AUTO BILD ALLES ALLRAD-Redakteur Martin Braun: Der Seriensieger VW Touareg hat im neuen Mercedes ML seinen Meister gefunden. Bei Kosten und Geländetauglichkeit liegen beide gleichauf, der teurere ML bietet aber mehr Komfort, Platz und Zuladung. Daran mangelt es dem sportlichen BMW. Und: Geländetauglichkeit gibt es beim X5 auch als Extra nicht.

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Von

Martin Braun