66 Holzstufen führen hinab von der Villa Stutz zum Bootshaus: 35 Quadratmeter, der Boden hellblau gefliest, sechs Arbeitsplätze, der Blick hinaus auf den Vierwaldstätter See und die Berge. Von diesem edlen Arbeitsplatz aus will Murat Günak, bis 2007 VW-Chefdesigner, die Autowelt revolutionieren. Nicht mehr und nicht weniger. "Der Preis, die Kosten, der Wiederverkaufswert – Autos sind heute eine Last auf den Schultern der Leute", sagt der Mann, der einst auch den ersten Mercedes SLK zeichnete, heute. Also hat Günak eine Gruppe Ingenieure um sich versammelt und seine Vorstellung vom Auto der Zukunft zu Papier gebracht. Der Mindset (zu deutsch etwa: Denkrichtung) fährt mit einem E-Motor, ein Zweizylinder-Benziner kann als Reichweitenverlängerer eingesetzt werden, Günak nennt das "Freedom Pack". Später, falls der Mindset in Serie gehen sollte, könnte der Fahrer den Benziner mitnehmen oder bei Kurzstrecken zu Hause lassen.

Das Drehmoment sorgt für beachtliche Beschleunigung

Mindset
Da geht was: Die Beschleunigung aufgrund des sofort verfügbaren Drehmoments ist beachtlich.
Die Techniker haben E-Motor und Batterien (unter dem Fahrersitz) derzeit in einen Versuchsträger eingebaut, den AUTO BILD vorab fahren durfte. Die Beschleunigung aufgrund des sofort verfügbaren Drehmoments ist wieder mal beachtlich, ansonsten liegt noch viel Arbeit vor dem Team aus der Schweiz. Über technische Details redet Murat Günak nur in Zusammenhang mit der Form. Ein Coupé habe es sein müssen, ein 2+2-Sitzer mit Aluminium-Rahmen und asymmetrisch angeordneten Seitenklappen zum Beladen. Zwei Dinge sind Günak wichtig: "Voll alltagstauglich" müsse der Wagen sein, und er soll "die Herzen der Menschen erreichen". Denn: "Die großen Hersteller entwickeln ihre Autos an den Tatsachen vorbei." Vorbei an den zur Neige gehenden Ölvorräten und womöglich auch an dem Umdenken der Menschen, die ökologisch einwandfreie Modelle reinen Kraftprotzen vorziehen könnten. Sein Gegenentwurf sieht – verglichen mit Fisker und Tesla – futuristisch bis experimentell aus.

Der Wagen soll nicht fett auf der Straße liegen

Mindset
Zurückhaltend gestaltet: Der Mindset soll nicht zu fett und aggressiv auf der Straße liegen.
Die Räder sind groß (22 Zoll), aber sehr dünn (155 mm), hinten stehen sie frei, weil der Mindset aus aerodynamischen Gründen eine Tropfenform erhalten soll. Die Bodenfreiheit ist hoch, der Wagen soll nicht fett auf der Straße liegen, er soll schweben. Das Interieur des Mindset ist dagegen von einprägsamer Schlichtheit: braunes Leder, weißes Metall, eine Sitzbank für Zier-Kissen – wirklich zu schön, um wahr zu werden. Günak reagiert auf ein Lob unglaublich stolz. Hier, im Reich der Reichen, wird über Autos nicht gesprochen, es wird philosophiert. Günak tut das mit Lorenzo R. Schmid, Millionär, Autonarr und Geldgeber bis zum Sommer. "Das Auto wirkt leicht, aber nicht zerbrechlich", sagt Schmid und nippt am Weißwein. "Make it less dramatic", sagt Günak und lächelt. Mindestens 50.000 Stück pro Jahr will Mindset bauen, wo, ist noch nicht klar. Die Reaktion aus der Autowelt sei gigantisch gewesen. Die aus der Finanzwelt ernüchternd.
Das Fazit von AUTO BILD-Redakteur Hauke Schrieber: Wer in die leuchtenden Augen von Murat Günak blickt, der kann nicht anders, als diesem 50-Jährigen mit dem jugendlichen Charme Glück zu wünschen für seinen Mindset, dem Auto, das für "Kraft ohne Aggressivität" stehen soll. Doch Zweifel sind angebracht. Der Wagen kommt vermutlich zu spät, Sicherheitsfragen sind nicht geklärt, die Philosophie von einer neuen Technik in einem ganz neuen Auto ist sehr gewagt. Und Finanzier Schmid hatte schon mit seinen Öko-Dreirad Twike kein Glück.