Bremszone, Einlenkpunkt, Scheitel – Sportfahrer wissen: Eine Kurve muss man in einzelne Abschnitte teilen, sie zentimeterweise zerlegen, den Radius sauber sezieren. Nur so geht’s schnell an die Spitze. Wer die Ideallinie verfehlt, fährt hinterher. Opel muss mit dem neuen Insignia den direkten Weg zum Erfolg suchen. Das Startfeld in der Mittelklasse ist proppevoll besetzt, da bleibt kaum Raum zum Überholen. Zudem gehört das klassische Stufenheck nicht gerade zu den Rennern im Kampf der Autoklassen. Trotzdem gibt sich Opel kämpferisch, der Insignia soll mit frischem Schwung und reichlich Technik zur glänzenden Form früherer Tage vorstoßen. Das dürfte ihm – zumindest im direkten Vergleich mit seinem kleineren, schlichteren und glücklosen Vorgänger Vectra – leicht gelingen.

Der Innenraum des neuen Opel ist ein Platz zum Wohlfühlen

Die Rüsselsheimer packen an innovativen Extras alles hinein, was moderne Elektronik hergibt. Vom Spurhalteassistenten über ein aktives Fahrwerk bis zur kameragestützten Verkehrsschild-Erkennung. Doch wenn der Kunde einsteigt, dann entscheidet immer noch, was man spüren, fühlen und anfassen kann. Mein erster Eindruck: Der neue große Opel ist ein moderner Typ geworden. Das merkt man im Interieur sofort, die Designer haben die Kostenrechner irgendwo zwischen Entwicklungsstart und Serienreife abgehängt. Angenehme Farben, wohnliche Materialien und hübsche Details zieren das Cockpit. Allein die Anzeigen fesseln die Augen wie ein Computerspiel: Nach dem Motorstart huschen die rot hinterleuchteten Zeiger von Tacho und Drehzahlmesser einmal über die Skalierung und zurück. Bei Nacht projizieren die feinen Zeiger-Spitzen ein dezentes Leuchtpünktchen auf die Ziffern. Ja, verspielt, aber nett gemacht – der Licht-Trick könnte glatt einem Conceptcar von Audi entstammen.

Auch hohe Geschwindigkeiten spult der Insignia souverän ab

Opel Insignia 2.8 V6 Turbo
Genug geguckt – sitzen, Gas geben, ausprobieren heißt heute die Devise. Ich darf den Insignia schließlich als Erster fahren. Ein sattes Vergnügen, denn der 260 PS starke 2.8-Turbo-V6 sowie das intelligente Allradsystem Adaptive 4x4 sind eine überaus glückliche Verbindung. Der Motor surrt leise, hat ordentlich Dampf, läuft ausgesprochen kultiviert. Traktionsprobleme gibt es nicht, das Drehmoment wird schlau verteilt. So gelangt zum Beispiel beim Sprintstart die Kraft vorrangig nach hinten, bei konstanter Geradeausfahrt arbeitet das elektronische Allradsystem spurstabilisierend als Frontantrieb. Überhaupt fällt auf, wie unerschütterlich der Insignia selbst bei hohem Tempo geradeaus läuft, Geschwindigkeiten bis zu 200 km/h souverän abspult. Auch die Seriensitze mit angenehm weicher Oberfläche und anhaltend stützender Polsterung verdienen sehr gute Noten.
Das Prädikat "stressfreier Reisewagen" können wir ihm bereits jetzt zweifelsfrei verleihen. Den sportlichen Stempel wird der Insignia dagegen nicht erhalten. Trotz verstellbaren Fahrwerks und angenehm verbindlichen Straßenkontakts fehlt die verzögerungsfreie direkte Umsetzung aus Lenkung und Antrieb, die zum Beispiel einen BMW 3er ausmacht. Zudem verhageln die steifen 19-Zoll-Reifen des Testwagens (600 Euro Aufpreis) den Komfort-Eindruck. Denn selbst in der sanftesten Fahrwerkstufe (Tour) dringen Querfugen als zittrige Stöße durch. Das sollte ein einfacher Insignia mit konventionellem Fahrwerk und schmaleren Reifen viel besser können. Der ist dann auch viel günstiger, es geht bei 22.700 Euro los. Der gefahrene V6 Turbo 4x4 kostet fast 40.000 Euro – und das liegt ganz weit weg von der Ideallinie.

Das Fazit von AUTO BILD-Redakteur Jan Horn

Neue Größe, neuer Ansatz, neues Wohlgefühl – aber ich vermisse das herausragende Fahrerlebnis. Allerdings wird das von einem Opel kaum erwartet. Bleibt: ein schicker und (als 2.8 Turbo) souveräner Gleiter.