Der Kia Optima ist Mauerblümchen und Siegertyp zugleich und muss nun einen neuen Gegner fürchten: Der Talisman soll für Renault Erfolge einfahren.
Bild: Toni Bader
R30, R25 Safrane, Vel Satis, Latitude. Sagt Ihnen nichts? Das ist die Ahnengalerie des neuen Renault Talisman seit 1975. Was alle Generationen eint: Sie verkauften sich nur in ihrem Heimatland Frankreich erfolgreich. In Deutschland fanden sie trotz ihrer unbestrittenen Qualitäten nur wenige Freunde. Warum? Das über Jahrzehnte favorisierte Fließheck konnte konservative Mittelklassekunden nicht überzeugen, Kombi oder Stufenheck waren angesagt. Außerdem ließen sich die Nachbarn eher mit einem Mercedes-Stern oder einer BMW-Niere beeindrucken als mit einer Renault-Raute.
Der Talisman soll Mittelklasse-Kunden überzeugen
Mutig: Renault setzt auf ein klassisches Stufenheck, wo gerade das Fließheck wieder modern wird.
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Schwamm drüber, alles auf Anfang. Auf der IAA 2015 feierte Renaults neuer Glücksbringer Talisman seinen ersten Auftritt. Mit Stufenheck! Ausgerechnet jetzt, wo das Fließheck doch gerade seine Renaissance erlebt. Gegen den selbstbewusst auftretenden Top-Renault fährt der neue Kia Optima (seit 12/2015) vor. Ebenfalls ein Kandidat in der Mittelklasse, den viele deutsche Käufer bislang nicht auf ihrem Zettel hatten. Sollten sie aber, denn der Koreaner war bei uns schon einmal Sieger in einem Vergleichstest. Beide Konkurenten sind 4,85 Meter lang und erreichen die Abmessungen der oberen Mittelklasse. Das spüren vor allem Fondpassagiere im Kia, die lässig die Beine übereinanderschlagen können. Im Renault lümmelt es sich hinten nicht ganz so entspannt, dafür ist die Rückbank üppiger gepolstert als die des Optima. Die wenigsten Käufer dürften sich jedoch chauffieren lassen, also ab nach vorn.
Bei der Innenraumgestaltung dürfte Kia ruhig noch zulegen
Das kann nicht wirklich begeistern: Der Arbeitsplatz des Kia Optima ist eher schlicht ausgefallen.
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Hier überrascht der Talisman mit oberklassiger Opulenz: Die in der Top-Ausstattung Initiale Paris serienmäßigen Ledersessel massieren (über den Touchscreen sind diverse Massageoptionen anwählbar), belüften und beheizen Renault-Reisende, und das machen sie wirklich gut. In keinem Renault zuvor saß es sich derart angenehm. Dazu trägt auch das freundlich gestylte, ambientebeleuchtete Cockpit bei, durch welches ein Hauch skandinavisch-klare Volvo-Noblesse weht. Dominierend ist der 8,7-Zoll-Touchscreen, über den sich neben Navigation und Infotainment auch das Klima, die Assistenz-Armada sowie das adaptive Fahrwerk konfigurieren lassen. In die Tiefen der Menüstruktur sollte man jedoch besser nur im Stand einsteigen, zu groß ist die Gefahr, sich während der Fahrt in den nicht grundsätzlich logisch aufgebauten digitalen Pfaden zu verlieren. Das konventionell gestaltete Cockpit des Kia offeriert dem Fahrer zahlreiche Tasten, die aber logisch angeordnet sind. Auch der Kia tritt in der Top-Ausstattungslinie an, die sich Spirit nennt. Inspirierend wirkt der triste Innenraum jedoch nicht, der Renault kommt mit seinem netten Farb-und Materialmix wohnlicher daher.
Der Renault fährt überraschend lebendig, der Kia: unspektakulär, zurückhaltend. Der Talisman profitiert von seiner beim Topmodell serienmäßigen Allradlenkung 4Control: Die Hinterräder lenken bis 80 km/h um bis zu 3,5 Grad entgegen den Vorderrädern ein, bei höheren Geschwindigkeiten steuern sie bis zu zwei Grad parallel zu den Vorderrädern. Resultat: Er fährt dem Kia auf und davon. Der Renault liegt narrensicher, lenkt prompt und willig ein.
Im Fahrwerk des Kia Optima steckt deutlich mehr Härte
Das geht besser: Die Federung des Optima ist etwas hölzern abgestimmt, das ESP regelt ein wenig zu spät.
Bild: Toni Bader
Abruptes Ausweichen quittiert der Kia mit einem ausschwenkenden Heck, das ESP regelt etwas zu spät. Diese Übung meistert der Renault wie auf Schienen, ESP-Eingriff unnötig. Trotz seines fahrdynamischen Talents kann man sich den Sport-Modus des serienmäßigen adaptiven Fahrwerks getrost sparen, denn außer unnötiger Härte bringt er nichts. In der Stellung Comfort schwingt der große Renault auf langen Bodenwellen nach, das Normal-Niveau entpuppt sich als angenehmer Kompromiss. Im direkten Vergleich spricht die Federung des Kia etwas hölzerner an. Antriebsseitig sind die Unterschiede geringer als bei den Fahreigenschaften: Der 1,7-Liter-Turbodiesel des Optima klingt im Stand etwas weicher als der 1,6-Liter-Biturbo des Talisman. Beide schieben druckvoll an, die Doppelkupplungsgetriebe (sieben Stufen im Kia, sechs im Renault) agieren unauffällig. Einzig das teils träge Zurückschalten des Renault missfällt. Beim Verbrauch gibt es keine nennenswerten Unterschiede: 5,7 Liter Diesel verbraucht der Renault im Test, 5,8 Liter der Kia. Wegen seines erheblich größeren Tanks von 70 Litern hat der Kia allerdings eine viel größere Reichweite: rund 1200 Kilometer gegenüber 820 beim Renault, dessen Reservoir mit 47 Litern etwas klein ausfällt.