Wie er glänzte! Ein Koreaner! Der neue Rio strahlte, als er 2011 erstmals in Genf zu sehen war. Er strahlte, als AUTO BILD ihn erstmals fuhr und als er später den ersten Vergleichstest gewann, gegen Europas versammelte Kleinwagen-Elite von Fiesta bis Peugeot 208. Endlich mal ein Kia, der keine verschämten Erklärungen brauchte, seine schönste Seite seien ja eh nur die sieben Jahre Garantie. Seit dem Rio sieht man die Marke mit anderen Augen und pilgert auf Messen sogar zum Kia-Stand, weil Designchef Peter Schreyer so ein gutes Händchen hat. Reichlich Vorschusslorbeer also für den metallicroten Viertürer, der mit nur 109 PS die härteste Prüfung des Autolebens angehen musste: unseren Dauertest.

Länger und geräumiger als die Konkurrenz

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Video: Kia Rio

Starker Polo-Konkurrent

Für 15.350 Euro ein sympathischer Kleinwagen, wie Nachrichten-Mitarbeiter Benny Gehrs gleich zu Beginn notierte. "Sehr solides Auto, mit übersichtlichen Bedienelementen und viel Platz", was den Rio auf eine erste Kurzformel bringt. Mit seinen 4,05 Metern ist der Koreaner länger und vor allem im Fond geräumiger als die Konkurrenz. Zum Raumgewinn kam die wohltuend mätzchenfreie Gestaltung des Innenraums. Klare Instrumente, drei große Drehregler fürs Klima, das Handy findet ein verrutschfestes Ablagefach, ohne Steckdosen oder Anschlüsse zu verdecken. Den vielseitigen Kofferraumboden, der in vielen Positionen arretiert, würden Premiummarken sofort als teures "Package-System" verkaufen. "Dafür verdient Kia einen Sonderpreis", findet Fotoredakteurin Sandra Heisch. Damen am Steuer gefielen die Anfahrhilfe am Berg und der cityfreundliche Wendekreis (10,9 Meter), aber beim Blick über die rechte Schulter überkam sie das kalte Grausen: Da macht sich die Dachsäule breit, und das Rückfenster schrumpft auf Schlitzgröße – irgendjemand rief sogar nach einer Rückfahrkamera. Doch die gibt's nur mit Navi für 990 Euro extra.
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"Unterm Strich ein Koreaner wie viele andere zuvor"

Kia Rio
Bei flottem Reisetempo vertilgt der Rio bis zu zwölf Liter pro 100 Kilometer.
So ging es hinaus auf die Langstrecken, schließlich sollte das kleine Glanzstück die 100.000 Kilometer im Eiltempo abreißen. Anfangs gefiel der leise, laufruhige Cityflitzer auch auf der Autobahn, erst an Steigungen machte der 1,4-Liter schlapp und zeigte, dass dem Sauger doch der Drehmoment-Schmalz moderner Turbomotoren fehlt. Was tun? Drehen, drehen, immer fleißig drehen, allerdings dreht der Rio dann an der Verbrauchsuhr. Flottes Reisetempo verlangt bis zu zwölf Liter pro 100 Kilometer, da ist der 43-Liter-Tank schnell zu klein. Zumal die Tankanzeige schon nach 35 Litern auf "leer" hinabsinkt. Das macht am Steuer unweigerlich hibbelig, und sei die Reserve noch so groß. Beim Nachfüllen klickt der Zapfhahn erstmals, wenn noch weitere sieben Liter in den Tank passen. Was dann folgt, ist ein endloses "Zapf-und-klick", dieses nervenraubende Geduldsspiel. Nein, für flotte Urlaubsreisen ist der Kleine nicht gemacht.
Will er auch gar nicht. Das wissen die Viel-Tester natürlich, die sich eher an der grundsätzlichen Abstimmung reiben. "Das Fahrwerk zu ruppig, die Schaltung teigig, die Lenkung gefühllos", kritisiert Kollege Berend Sanders, der recht enttäuscht bemerkt: "Unterm Strich ist er doch ein Koreaner wie viele andere zuvor." Die Profis haben es halt gern direkter. Das Auto soll sprechen, ihnen den Fahrbahnzustand über die Reifen, Federn, Sitze und das Lenkrad mitteilen. Der Rio spricht nicht. Bleibt stumm wie ein Fisch, oder wie Kleinwagen aus Japan oder Frankreich, und tut einfach nur seinen Dienst. Es geht trotzdem. "An die straffe Federung kann man sich gewöhnen", meint Routinier Diether Rodatz nach einem 3500-Kilometer-Trip lakonisch.
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Auf der Raststätte war's plötzlich zappenduster

Was störte noch? Die Tachonadel springt ab 160 km/h wie ein Kobold, die Drehzahl fällt beim Schalten vom vierten in den fünften Gang zu sehr ab, sodass man zwischen den Gängen hin und herzappelt. Die Schaltempfehlung bietet da keine Hilfe, sie rät aus Spargründen dauernd zum Sechsten. Kaputt ging jedoch nichts, mal abgesehen vom zerbrochenen Zündschlüssel. Kam der Kia als glänzendes Vorbild ins Ziel? Nicht ganz. Gerade freute uns noch das Fahrlicht, das nach dem Abstellen automatisch ausgeht, da war's auf der Raststätte bei Kilometer 89.775 plötzlich zappenduster: beide Scheinwerfer ausgefallen. Elektrowurm oder Belastungsspitze? Egal, dunkel ist dunkel. So zeigte der Kia gegen Ende unerwartet doch noch seine Schattenseiten. Schon zuvor war mehrfach aufgefallen, dass der Motor im Stop-and-Stau nur ruckelig Gas annahm. An einem schlechten Tag hoppelte man durch die Tempo-30-Zone wie ein Fahranfänger. Hinzu kam eine zunehmend schwergängige Kupplung, die ab 90.000 Kilometern zu knarzen begann. Das kennen wir schon von früheren Kia. Im Rio hatten Ausrücklager und Schiebemuffe zu wenig Fett abbekommen. Fett fehlte auch dem Halter der Motorhaube, der nach einer Portion Schmiermittel wieder reibungslos funktionierte. Es blieb nicht die einzige Kleinigkeit.Seit  Frühjahr 2014 hat AUTO BILD seine Wertung im Dauertest umgestellt. Wir benoten auch Abnutzung, die nicht zu einem Ausfall geführt hat, aber den Zahn der Zeit widerspiegelt. Beim Rio zum Beispiel den klappernden Handschuhfachdeckel, die zerschlissene Fußmatte auf der Beifahrerseite oder den Kühlmittelaustritt am Kompressor, dem im Werk offensichtlich übervoll eingeschenkt wurde. Auch der kleine Rostansatz am Auspuff bereitet bei Testende noch keine Probleme, aber sicher später – und fällt damit unter das verschärfte Testschema, das selbstverständlich alle Autos gleich betrifft. So büßte der Koreaner mit der Testnote 2- etwas von dem Glanz ein, mit dem er gestartet war. Gegen solche Abnutzung liefert Kia das beste Beruhigungsmittel gleich mit – die Siebenjahresgarantie. Das passende Fazit formulierte Stephan Puls, als Leserbrief-Redakteur immer nah am Alltag: "Der Rio ist ein technisch unaufgeregtes Auto in einer ansehnlichen Verpackung – perfekt für alle, die sich eigentlich gar nicht für Autos interessieren." Danke für diesen perfekten Abschluss.
Wie jedes Dauertest-Fahrzeug wurde auch der Kia Rio nach 100.000 Kilometern fast vollständig demontiert und auf Verschleiß untersucht. Was bei der Inspektion aufgefallen ist, erfahren Sie in der Bildergalerie.

Bildergalerie

Kia Rio
Kia Rio
Kia Rio
Kamera
100.000 Kilometer im Kia Rio


Fazit

von

Manfred Klangwald
Der Rio zeigt, wo Kia steht. Der gewohnt solide, zuverlässige Kleinwagen ist modern nach europäischem Geschmack gestaltet, ohne dass praktische Alltagsdinge verloren gehen. Jetzt müssen die Koreaner noch bei Antrieb und Fahrwerk zulegen, um ans Topniveau heranzukommen. Und im Detail könnte das Auto liebevoller und aufmerksamer montiert sein.

Von

Manfred Klangwald
Joachim Staat