"Das ist das größte Auto, an dem ich in meinem langen Berufsleben gearbeitet habe", sagt Chefdesigner Lorenzo Ramaciotti und zieht das Tuch vom neuen Quattroporte. Im Vergleich zum 2013er-Modell sieht der Vorgänger in der Tat aus wie eine Kompaktlimousine, denn mit 5,26 Metern macht sich der edle Dreizack plötzlich länger als eine gestreckte S-Klasse. In der Breite übertrifft der Italiener den deutschen Marktführer um parkhausfeindliche acht Zentimeter. Obwohl das Fondabteil endlich geräumig genug ist für lange Beine und lange Strecken, wiegt die siebte Quattroporte-Generation 100 Kilo weniger als das Auslaufmodell. Grund dafür: Der komplett neu konzipierte Quattroporte besitzt eine großteils aus Aluminium gefertigte Karosserie und ein Fahrwerk aus Leichtmetall (doppelte Querlenker vorn, Mehrlenker hinten, Verstelldämpfer).
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Guter Fahrbahnkontakt: Der neue Quattroporte hält an der Hydrolenkung fest.
Das klingt nach Fortschritt um jeden Preis, doch der Markenchef und Technikverantwortliche Harald Wester schüttelt den Kopf. "Nicht alles, was der Markt hergibt, passt zu Maserati. Deswegen halten wir für den neuen Quattroporte zum Beispiel an der guten alten Hydrolenkung fest, die mehr Fahrbahnkontakt vermittelt. Auch bei den Assistenzsystemen bin ich ein Verfechter des Mottos 'Weniger ist mehr'. Gleiches gilt für die Ergonomie, wo wir uns bewusst auf das Wesentliche reduziert haben – ohne digitale Spielereien und Hightech-Overkill."
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Vier Türen und tausend Emotionen

Maserati will sich künftig mit den Besten der Besten messen. Dazu gehören Oberliga-Stars wie Audi A8 W12, BMW 760Li, Mercedes S 600 L, Porsche Panamera Turbo und Jaguar XJL. Die neueste Maserati-Kreation führt zwar nur acht Zylinder und einen vergleichsweise bescheidenen Hubraum von 3,8 Litern ins Feld, doch die Fahrleistungen stellen den nötigen Respekt her. Der Kraftbolzen aus Modena sprintet in 4,7 Sekunden von 0 auf 100 km/h und erreicht eine Höchstgeschwindigkeit von 307 km/h. Noch beeindruckender ist der Schub bei mittleren Drehzahlen, denn zwischen 2000 und 4000 Touren liegen wuchtige 650 Nm an, dank Overboost kurzfristig sogar 710 Nm. Im Schnitt konsumiert der doppelt aufgeladene V8 angeblich nur 11,9 Liter/100 km, doch im wirklichen Leben pfeift die Direkteinspritzung rund 15 Liter durch die Düsen. Alternativ zum Achtzylinder gibt es einen Dreiliter-V6-Biturbo. Das ebenfalls gemeinsam mit Ferrari entwickelte Triebwerk mobilisiert 410 PS und 510 Nm. In Verbindung mit dem für beide Modelle optionalen Allradantrieb spurtet die V6-Variante in 4,9 Sekunden von 0 auf 100 km/h, ist 284 km/h schnell und verbraucht 10,5 Liter/100 km. Die Kraftübertragung besorgt in allen Fällen eine Achtstufenautomatik von ZF, die über Schaltwippen am Lenkrad bedient werden kann.

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Rein akustisch wird uns in diesem Maserati schon bei gemäßigter Gangart richtig warm ums Herz.
Los geht's. Der Motor klingt schon im Stand erotisch, bei Halbgas vereinigen sich Lader, Intercooler und Abblasventile zu stimmgewaltigen Italo-Rockern. Zwischen 5000 und 7200/min sorgt dann der von Metallica und Motörhead inspirierte Klappenauspuff für flächendeckende Gänsehaut. Keine Frage: Rein akustisch wird uns in diesem Maserati schon bei gemäßigter Gangart richtig warm ums Herz. Auch die Fahrdynamik des neuen Quattroporte weist Lustlosigkeit weit von sich. Wer dem tanzenden Elefanten erliegt, wird immer später hochschalten wollen, immer mehr Schwung in die Kurve mitnehmen, immer länger mit dem Bremsen warten und immer mehr Zuversicht aufbringen beim Erkunden des erfreulich breit angelegten Grenzbereichs. Was ist das Geheimnis, das diesen heiser brabbelnden Gleiter einen Wimpernschlag später zum brüllenden Driftkünstler werden lässt, Herr Wester? "Die mit 50:50 absolut ausgeglichene Achslastverteilung, die ausgewogene Feder-Dämpfer-Abstimmung und die Top-Performance von Lenkung und Bremse."Auf dem Testgelände von Balocco fahren wir uns in einen kurzen, aber intensiven Quattroporte-Rausch, der fast frei von Nebenwirkungen bleibt. Äh – warum nur fast? Weil es zwischen ein- und ausgeschaltetem ESP keine mittelscharfe Zwischenstufe gibt und man bei forcierter Gangart förmlich dabei zusehen kann, wie der Conti-Aktienkurs in die Höhe schießt, so schnell verraucht das Gummi auf den Reifen. Die volle Punktzahl vergeben wir dagegen für den geschmeidigen Fahrkomfort, die progressiv-nachhaltige Verzögerung und das per Lenkung und Gaspedal intuitiv steuerbare Handling. Etwas Angst macht uns einzig und allein der noch nicht ausformulierte Preis, der für die 3,8- Liter-Ausführung kaum unter 145.000 Euro liegen dürfte. Deshalb würden wir – wären wir wenigstens halb reich – vermutlich entweder zum deutlich günstigeren V6 greifen oder bis 2014 warten. Denn dann kommt der 340 PS starke V6-Diesel. Beide dürften der 100.000-Euro-Schallmauer ein Stückchen näher kommen.
Technische Daten: Motor V8, Biturbo • Einbaulage vorn längs • Hubraum 3800 cm3 • Leistung 530 PS bei 6500/min • 650 Nm bei 2000–4000/min (710 Nm bei Overboost) • Literleistung 139 PS/l • Hinterradantrieb • Achtstufenautomatik • Reifen 245/35 R 20, 295/30 R 20 L/B/H 5263/1948/1481 mm • Radstand 3171 mm • Leergewicht 1900 Kilo • Leistungsgewicht 3,6 Kilo/PS • Verbrauch 11,9 l/100 km • 0–100km/h in 4,7 Sekunden • Spitze 307 km/h • Preis: circa 145.000 Euro.
MOTOR REVUE
Eine große Story über den Quattroporte zum 50-jährigen Jubiläum finden Sie in der neuen MOTOR REVUE – ab sofort am Kiosk. Dazu: Hinreißender V8-Biturbo trifft ersten 8-Zylinder-Boxer der Welt – Mercedes SLC gegen Porsche 960. Und: Ferrari GTO gegen Cobra Daytona – das Jahrhundert-Duell.

Fazit

von

Georg Kacher
Hightech-Fans mögen fragen: Was, ein neuer Maserati ohne Assistenzsysteme? Ja. Und das ist gut so. Weil der Quattroporte so zu einem puren Genussmittel wird, wie es heute nur noch selten zu finden ist. Im Maserati darf der Fahrer noch wirklich selbst fahren, wird nicht von irgendwelchen elektronischen Heinzelmännchen chauffiert. Auch wenn sich der Quattroporte zwischen Kühlergrill und Auspuffrohr auf S-Klasse-Größe streckt – aus Fahrersicht schrumpft er, bereitet so viel Freude wie ein flinker Sportwagen. Sicher auch weil ihm die vorlauten Assistenten fehlen.

Von

Georg Kacher