Mercedes 190 gegen A-Klasse: Vergleich
Braver 190er trifft coole A-Klasse

—
30 Jahre Baby-Benz, Zeit für ein Generationentreffen: Wir lassen den biederen 190er (Baujahr 1982) gegen die aktuelle A-Klasse antreten. Gibt es da noch Gemeinsamkeiten? Abgesehen von dem Stern?
Die A-Klasse setzt im Vergleich zu ihrer Vorgängerin auf eine komplett neue Philosophie – die im Grunde allerdings ganz schön alt ist. Der aktuelle Baby-Benz (ab September 2012 beim Händler) ist nämlich wieder flach geworden, ganz wie der 190er von 1982, intern W 201 genannt. Schauen wir uns die beiden daher mal genauer an. 1. Genetik: Die bisherige, fremd wirkende A-Klasse (kurz: A-alt) passte nicht recht aufs Familien-Foto. Daher ist unser 190er froh beim Anblick des jüngsten Sprosses der Familie. Auch wenn er beim genauen Hingucken feststellt, dass beim Neu- Baby von der alten DNA nichts übrig geblieben ist. Während der Porsche 911 vermutlich noch im Jahr 2525 wie sein Stammvater von 1963 aussieht, ist bei Mercedes der Genpool völlig durcheinandergeraten. Wir könnten jetzt böse sein und sagen, Mercedes hatte diverse Identitätskrisen. Wir sagen aber, die Firma hat die Chancen ergriffen, Neues zu probieren und auf Tradition zu pfeifen. 2. A-alt (W 168): Das war die, die der Elch geküsst und anschließend fast aus der Bahn geworfen hat. Im Grunde geben wir Applaus für den Mut, sich 1997 etwas Kurzes, Hohes, Praktisches und Visionäres ausgedacht zu haben. Ausführung und Design trafen aber nicht vollkommen ins Schwarze, vor allem galt das Wägelchen nie als echter Mercedes. Wenn jemand stolz sagte, er fahre einen Mercedes und dann in die A-Klasse stieg, spürten wir ungefähr, äh, hmmpf. Die A-Klasse entwickelte sich daher zur Untermarke, in die anstatt der Trendsetter eher Rentner einstiegen – nicht so gut fürs coole Image. Nichts gegen Rentner, aber junge Leute haben wenig Lust auf die Ruheständler-Aura, auch wenn sie natürlich nett zu älteren Leuten sind. Daimler hat’s eingesehen und die Reset-Taste gedrückt. Das neue Modell stellt uns nicht mehr vor intellektuelle Herausforderungen, vor allem sieht es jung und saftig aus.
Überblick: Alle News und Tests zur Mercedes A-Klasse
3. Coolness: Chefdesigner Gorden Wagener meinte zum neuen Baby: "Das coolste Auto im Kompaktautosegment." Das sagen auch die Daimler-Angestellten, die sich bei unserer Fotosession um den Neuen scharen. Cool war das meistgehörte Wort, aber was ist denn Coolness überhaupt? Generell bedeutet es, immer lässig, emotionslos und kaltblütig (eben cool) zu bleiben. Dahinter, so sagt eine Studie, stecke geringes soziales Mitgefühl und Selbstverliebtheit. Allerdings hat die Alltagssprache den Begriff aufgeweicht. Junge Leute sagen damit meist bloß: "Das gefällt mir." Unterschwellig schwingt dabei jedoch die Urbedeutung mit. Beides bedient offenbar das A-Klasse- Design. Denn niedlich und harmlos wirkt es nicht, das wäre uncool. Wie der alte 190er. Der ist nur etwas kühl und spießig funktionell. 4. Sportlichkeit: Die war bei Mercedes bisher ein Randaspekt, delegiert an AMG und eher Kernkompetenz von BMW und Audi. Aber nach dem völlig sportbefreiten A-alt versucht sich die neue A-Klasse jetzt daran. Der Sport ist schließlich eine probate Methode, Überlegenheit zu demonstrieren. Der 190er hatte übrigens erstmals seit Mercedes-Jahrzehnten auch in Sport gemacht, dazu gab es den 190 E 2.3-16 sogar in der DTM. Unser Standard-190er ist allerdings ein traniges Komfortmodell. Völlig unsportlich.
Überblick: Alle News und Tests zum Mercedes 190er
5. Damals und heute: Es gibt noch viele Fans des alten 190ers. Er war ein gutes Auto, keine Frage, doch heute nicht mehr. Ein Motor, der bei 125 km/h dermaßen laut ist, lässt sich inzwischen nicht mal in einem Lada verkaufen. Wir bemäkeln außerdem Sitzposition, nicht verstellbares Riesenlenkrad und ruckende Automatik. Da nützt auch der letzte Joker der 190er-Freunde nichts, die Verarbeitungsqualität. Mercedes operierte allein auf weiter Flur und konnte uns seine stocknüchternen Autos mit Hartplastik-Urlandschaft nach Belieben zuteilen. Was waren wir anspruchslos und demütig! 6. Komplexität: Die neue A-Klasse ist formal ein hochkompliziertes Auto, da sind außen Linien, Sicken, Applikationen, Bögen, Schwünge, es nimmt gar kein Ende. Auch innen nicht. Das wird von Minimalismus- Fundis der Generation 190, meist älteren Semestern, natürlich kritisiert. Aber junge Menschen sind heute komplexe Formen gewöhnt und können dieses Feuerwerk an Form, Stil, Schmuck verarbeiten.
Erste Bilder: Mercedes Citan
7. Frauen: Da kam doch ein junges Damentrio vorbei und sagte begeistert: "Das ist ja ein echtes Frauenauto!" Ist das jetzt positiv oder eher ein Makel? Seltsamerweise spricht die Form mit der hohen Gürtellinie gerade Frauen an. Dazu Vorderradantrieb, denn der ist an sich wohl eher weiblich, und viele Mädels wollen offenbar das totale Design mit durchgestylten Oberflächen und Ausstattungsoptionen, gern verspielt und unfunktionell – siehe Mini. Der 190er war jedenfalls in seiner klösterlichen Schlichtheit definitiv kein Frauenauto. 8. Grün: Umweltfreundlich sollst du sein, mein Auto, sonst muss ich mich immer so viel rechtfertigen. Die AKlasse macht hier mit Start-Stopp und Sparmotoren alles richtig. Dazu die Top-Aerodynamik mit cW 0,26, ergo 99 Gramm CO2 für die magerste CDI-Version. Der 190er hatte dagegen anfangs nicht mal einen Katalysator. Alter Dreckspatz.
G-Klasse AMG: Mehr G geht nicht
9. Charakter: Viel. Lange Haube, kurzer Abgang, dazwischen ein Menschenabteil mit hinten höchs - tens ausreichend Platz. Das wird die Zielgruppe nicht stören, siehe 1er- BMW, den Bruder im Geiste. Während A-alt magersüchtig und blass nach Streber aussah, hat A-neu Statur, Charisma und Ausstrahlung. Der coupéhafte Viertürer steht auch prächtig auf den Rädern und sorgt damit für ein gutes Standing seines Fahrers. 10. Spieltrieb: Unser 190er – frühes Modell, Baujahr 83 – hat ein Radio ohne Kassettenschacht, das knistert und rauscht zum Gotterbarmen. Und alle 40 Kilometer muss ein neuer Sender einjustiert werden, weil der alte abgetaucht ist. Die neue A-Klasse hat dagegen die gesamte digitale Medienwelt mit Internet per iPhone an Bord, mit einem schmucken Bildschirm und Möglichkeiten, für deren Beschreibung wir eine eigene AUTO BILD-Ausgabe bräuchten. Damit erreichen wir eine historisch neue Stufe der Vernetzung des Autos. Modell A drückt gekonnt die Knöpfe der Generation iPad.
Den kompletten Artikel gibt's im Online-Heftarchiv als PDF-Download.
Fazit
Die Ikone190 steht ratlos, linkisch und vor allem alt geworden neben seinem knallroten Nachfahren. Der wird ziemlich sicher ein Verkaufsschlager, denn er sieht supercool aus, und das ist heute das Wichtigste. Sehen wir da nicht schon tief gewellte Sorgenfalten in München, Ingolstadt und Wolfsburg? Und sogar Ford und Opel will Mercedes mit der neuen A-Klasse die Kunden abspenstig machen. Könnte klappen. A bläst zur vollen Attacke!
Service-Links