Wenn der Chef dem AMG die Sporen gibt, hat der Chauffeur Pause. Gerade bei der S-Klasse von Mercedes-Benz hat die Affalterbacher Kraftkur jahrzehntelange Tradition. Ein exklusives Treffen der PS-Generationen.
Meckernde Kunden, fordernde Geschäftspartner, ständiges Telefongeklingel – und dabei stets Souveränität und Ruhe ausstrahlen. Alltag in der Chefetage. Die angestrengten Nerven sehnen sich nach Stressabbau – spätestens zum lang ersehnten Feierabend. Wer vorzugsweise zu Mozartklängen entspannt, ist in einer S-Klasse gut aufgehoben – wer eher Heavy Metal liebt, greift zum AMG-Derivat. Ende der Sechziger und in den Siebzigern waren selbst die büffelartigen Triebwerke der Hubraumriesen Mercedes 300 SEL 6.3 und 450 SEL 6.9 vielen noch zu brav. Hans Werner Aufrecht und Erhard Melcher nahmen Leistungshungrige unter ihre Fittiche und setzten in der damals in Großaspach gelegenen Werkstatt auf Rennsport-Know-how: Vergrößerte und geglättete Ein- und Auslasskanäle, erhöhte Verdichtung, geänderte Zylinderköpfe und geschliffene Nockenwellen entlockten Leistung, die das Werk verwehrte.
Darth Vader: Der Kult-AMG ist frei von Chrom. Selbst der Stern ist schwarz lackiert.Anfang der 80er-Jahre folgt eine kleine Revolution. Immer auf der Suche nach mehr Power, entwickelt Melcher für eine siebenstellige Summe einen Vierventil-Zylinderkopf für den M117-Motor der W126-S-Klasse. Um diesen auf den serienmäßigen Block montieren zu können, werden die Köpfe in zwei Teilen gegossen. Zudem sind sehr enge Ventilwinkel von 30 Grad nötig, da sonst die Zylinderkopfschrauben im Wege stehen – eine Lösung, die Melcher sich beim damaligen Motor von Porsches Formel-1-Renner abschaut. Auch die Federn der Einlassventile stammen aus Zuffenhausen. Weitere Besonderheit: Die serienmäßige Steuerkette treibt nun die beiden Einlassnockenwellen an, während eine zweite die Auslassnockenwellen bewegt. Alle vier Wellen sind von AMG selbst entwickelt.
Damit der V8 ins Auto passt, muss der Motorraum umgebaut werden
Kraftprotz: Im modernen S63-V8 toben 525 Vollblüter.Eine optimierte Leichtmetall-Ansaugbrücke, Fächerkrümmer sowie AMG-Vorkatalysatoren, -Mittel- und -Endschalldämpfer sorgen für einen verbesserten Durchsatz des verfeinerten V8, ein vergrößertes Ölvolumen und Ölkühler bringen angenehm Betriebstemperaturen. Die Leistung des 500 SE steigt so auf 340 PS, mit Erhöhung der Bohrung von 96,5 auf 100,0 Millimeter tritt das Topmodell 560 SEL mit nunmehr 6,0 Liter Hubraum und bis zu 385 PS an. Erst mit Verbreiterung der Karosserieträger passt der Vierventil-V8 unter die Haube. Auch in Japan sind die erstarkten Luxuslimousinen sehr begehrt. Von dort stammt dieser aufgeliterte Muster-560er: Knapp 99 000 Kilometer auf dem Tacho und ein dicker Ordner voller Werkstattrechnungen in filigranen japanischen Schriftzeichen sowie Lack und Leder im Neuzustand zeugen von bester Pflege.
Wummern wie ein Motorboot
Der Vorbesitzer räkelte sich am liebsten auf der elektrisch einstell- und beheizbaren Bank und zählte sein Geld auf ausklappbaren Holztischchen. Zu beneiden ist aber auch der Chauffeur. Wie ein Motorboot wummert das M117-Triebwerk, treibt die Tachonadel in Windeseile über die weiß hinterlegten Instrumente – und Freudentränen in die Augen. 520 Newtonmeter walzen jede Steigung platt und schieben den Oldie mächtig voran, ab 3500 bis 4000 Umdrehungen gesellt sich eine ungeahnte Drehfreude hinzu. Optional steigert eine kürzere Hinterachsübersetzung (2,47 statt 2,24) das Temperament weiter. Neben stärkeren Bremsen und Torsen-Gleason-Differenzialsperre mit variabler Wirkung von 10 bis 90 Prozent hält AMG für Fahrdynamiker sogar eine elektronisch geregelte Dämpfereinstellung mit acht verschiedenen Härtestufen parat.
Der moderne V8 im S63 AMG bringt es auf 525 PS
Willkommen im Club: Der erste Besitzer des 560 SEL liebte dunkles Leder und edle Hölzer.Der inklusive Stern komplett in Schwarz gehüllte W126 pflegt den Darth-Vader-Auftritt mit damals umstrittenen, heute Kult gewordenen Anbauteilen. Die wuchtig-böse Optik macht sogar den etwas hölzernen Abrollkomfort und die schwammige Lenkung vergessen. 2006 macht AMG wieder mit einem Vierventil-V8 von sich reden. Der 6,2-Liter-Hochdrehzahl-Bulle ist der erste von AMG selbst entwickelte und gebaute Komplettmotor und befeuert im 525-PS-Trimm auch den aktuellen S 63 AMG. Begleitet vom dumpfen Bass aus vier verchromten Endrohren grollt der S 63 die Drehzahlleiter brachial bis 7200 Touren empor. Umgeben von der alubetonten Moderne des 21. Jahrhunderts, eingebettet in riesige Sitze, löst der Fahrer per Schaltpaddel am Lenkrad taktstockgleich schnelle Schaltvorgänge aus und wähnt sich auf einem monströsen Schwebeteppich. Die leichtgängige, aber erfreulich präzise Lenkung und riesige Verbundbremsen mit Doppelfaustsätteln machen auch Landstraßen zur möglichen Spielwiese. Dann ist er aus, der Traum: Das Handy klingelt – der Alltag hat uns wieder. Wir gehen nicht ran. Noch blubbern Sie, die seelenverwandten V8.