Wer V-Klasse sagt, denkt "Bulli". Und denkt an den VW T6, den großen Schatten, den Mercedes vor zwei Jahren erstmals überholt hat. "Der Stern ist der bessere Bulli" – unser Testurteil erschütterte das Weltbild von Familien und Freiberuflern, der klassischen Bus-Klientel. Und steigerte die Erwartungen an den Dauertester. Wie würde der silbergraue V 220 d die gnadenlose Alltagshölle bei AUTO BILD bestehen – 100.000 Kilometer abwechselnd als rollendes Messebüro, Crew-Shuttle oder Fotografen-Frachter? Schon seltsam, aber die Großen müssen bei AUTO BILD immer besonders hart ran.

Der Testwagen-Preis von 57.575 Euro ist noch bescheiden

Mercedes V 220 d
Mittlerer Radstand, 220 d, EditionAusstattung – so wie unser Dauertester werden die meisten V-Klassen geordert.
Und an Größe fehlt es dem Stern wirklich nicht: Lang wie eine S-Klasse, hoch wie eine Garage – trotz imponierender Ausmaße stellte die "Edition lang" im breiten V-Klasse-Programm eher die beliebte Mitte dar: die mittlere von drei Längen, den mittleren von drei Dieselmotoren (136 bis 190 PS), dazu sechs Einzelsitze und eine Serienaustattung, die vom Automatikgetriebe bis zur Klimaanlage im Fond vieles mitbrachte. Mit ein paar Extras wie dem exzellenten LED-Licht, der Schiebetür links oder der elektrisch öffnenden Heckkklappe stieg der Preis auf 57.575 Euro. Der ist noch bescheiden, wie Familienväter vom schmerzhaften Studium der Prospekte wissen. Ein echter Mercedes halt, was sich auch im zeitlosen Design äußert. "Funktion statt Effekt, Komfort statt Krawall. Der V kann für Traditionalisten zum Lieblings-Benz werden", fand Christian Steiger bald. Der Redakteur saß hoch wie im SUV, lobte den Reisekomfort und das besondere Fahrgefühl, das viel näher am Pkw liegt als beim VW Bulli und weiter weg vom Transporter. "Die S-Klasse unter den Vans und mit dem feinen Veloursboden eher VIP-Shuttle als Familienauto", so sein Fazit.
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Die Fond-Plätze verlangen beim Umbau nach starken Armen

Mercedes V 220 d
Beim Sitzausbau leiden die Schienen, der Wiedereinbau wird schwierig.
So kommod die Vordersitze, so kapriziös fallen die schweren Einzelplätze hinten aus. Schon das Verschieben überforderte die Arme tatkräftiger Mütter, der Aus- und erst recht der Einbautrieb selbst tapfere Männer an die Tränengrenze. Alles sehr crashsicher, bestimmt, aber 37 Kilo pro Stuhl setzen Umbauwillen und Variabilität schmerzhafte Grenzen. Schade, denn 1030 Liter Kofferraum garantierten sorgloses Einladen. Die separat öffnende Heckscheibe (481 Euro extra) überzeugte uns mehr als der harte Laderaumteiler auf halber Höhe – Eintrag im Fahrtenbuch: "Praktisch für kleines Gepäck, aber so schwer auszubauen wie die Sitze". Zudem stand das Gestell im Weg, wollte man die Anhängerkupplung ausklappen. Den Zugwagen spielte der V 220 d ohne Murren, allerdings ließ sich die Heckklappe nur öffnen, wenn der Bremshebel des Anhängers gezogen war. Wie angenehm dagegen das Rangieren mit dem kleinen Wendekreis: 11,8 Meter.
Im Überblick: Alle Infos zur Mercedes V-Klasse

Der Diesel überzeugt mit Power und Genügsamkeit

Mercedes V 220 d
In 12,3 Sekunden ist der V auf Tempo 100 und bringt 200 km/h Endgeschwindigkeit. Bei überlegten Gasfuß gibt er sich mit acht Litern zufrieden.
Mit dem 220 d war der große Stern bestens unterwegs. Auch wenn kombiverwöhnte Familienväter murrten, bei voller Beladung wolle in den Kasseler Bergen der Wechsel auf die linke Spur gut überlegt sein, überzeugte der Diesel doch mit Power und Genügsamkeit. In gemessenen 12,3 Sekunden auf Tempo 100, Tacho 200 als Spitze oder bei einem überlegten Gasfuß mit acht Litern zufrieden – erst schnelle Autobahnetappen trieben den Schnitt im Dauertest auf 9,5 Liter. Die 600 Kilometer Reichweite, von Dieselfreunden als zu wenig moniert, waren erst mit dem großen 70-Liter-Tank (88 Euro extra) möglich. Leichte Vibrationen im Antriebsstrang bei 160 km/h oder das Leistungsmanko (gemessene 156 statt 163 PS) störten weniger als das harsche Lastknurren. "Ein Komfortwunder wird dieser Diesel nicht mehr", so Kollege Mario Pukšec. Auch deshalb, weil der Motor in der V-Klasse näher an der Stirnwand steht und  Mercedes daher weniger Dämmung verbauen kann als in der C-Klasse.

Auch der V 220 d verströmt das bekannte Bulli-Baldrian

Die Schiebetüren, zum Glück ohne elektrische Schließung, eröffneten ein Geräuschkonzert, das den Dauertester schon nach 12.000 Kilometern begleitete. "Klappern auf der rechten Seite", monierte zuerst Andreas Borchmann. Später kam ein Klötern aus der Heckklappe hinzu, die schlecht schloss, manchmal ein Schleifen von der Vorderachse, die zweimal vermessen wurde. Ohne Ergebnis. Klang nicht gerade hochwertig, doch kaputt ging bis zum Schluss nichts. Trotz der Begleitmusik verströmte der V 220 d das bekannte Bulli-Baldrian. Hinterm Lenkrad vergisst du die Welt. Allerdings zeigte die Verkehrs-Info im teuren Comand Online mal einen Stau trotz freier Piste, und die Touchpad-Funktion am Zentralknopf verwirrte mehr, als zu helfen. Nach 71.289 Kilometern waren die Bremsbeläge rundum verglast – eine Folge hoher Reiseschnitte. Das schwankende Bremsgefühl störte viele Fahrer. Nach dem ersten Pedal tritt wanderte der Druckpunkt nach unten weg. "Fehlkonstruktion!", blieb ein seltener Wutausbruch, zumal der Bus die Dauertest-Hölle trotz aller Klapperei ohne technische Mängel überstand. AUTO BILD würde nur zu gern wissen, wie sich im Vergleich der aktuelle T6 schlägt, doch den rückt VW nicht zum Dauertest heraus. Deshalb bestätigt die 1– unser Testurteil: Die V-Klasse ist der bessere Bulli.
In der Bildergalerie erfahren Sie, was während des Tests und bei der Demontage des Testwagens nach Erreichen der 100.000 Kilometer außerdem aufgefallen ist.

Bildergalerie

Mercedes V 220 d
Mercedes V 220 d
Mercedes V 220 d
Kamera
Mercedes V-Klasse im Dauertest

Fazit

von

Manfred Klangwald
Die V-Klasse ist ein Riese in puncto Platz und Reisekomfort, trotz harter Einsätze gab es keinen Ausfall. Die Qualität ist besser als beim Vorgänger. Doch ihre Robustheit störte, wenn Leichtigkeit gefragt war: Überschwere Sitze begrenzen die Variabilität, einige Klappergeräusche begleiteten den Dauertest. Das passt nicht ganz zu Preis und Anspruch.

Von

Manfred Klangwald
Joachim Staat