Seit dem Neustart 2001 gefällt Mini sich – und seinen Kunden – als Tabubrecher. "Die spinnen, die Briten" gehört fast zum guten Ton bei der Marke, die gern mit ausgefallenen Ideen überrascht. Mal wurde aus Showzwecken der Zweitürer zum Rocketman verkürzt, dann rollten sie ins kalte Detroit einen sommerlichen Buggy – als Test, ob Mini auch SUV-Freunden gefällt. Aus dem "Beachcomber" entstand der Countryman.
So sitzt es sich im Mini Superleggera Vision
Wäre da nicht das Mini-Logo auf der Haube, der Superleggera Vision würde als eingelaufener Aston Martin durchgehen.
Verrückt genug sind sie bei Mini, doch was gerade beim Schönheitssalon an der Villa d’Este enthüllt wurde, sprengt alle Sehgewohnheiten. Mini Superleggera Vision heißt dieser offene Zweisitzer, der nicht weniger ist als ein Comeback des britischen Roadsters. Spitfire und Austin-Healey lassen grüßen. Ein Roadster von Mini? Klingt verwirrend, deshalb ordnen wir schnell die britische Modell-Welt. Das gleichnamige Serienauto gibt es schon seit 2012, allerdings ist der Zweisitzer eher ein offenes Coupé – oder anders gesagt die x-te-Variante des Ur-Mini und damit ein Marketing-Gag, der sich immerhin schon über 20.000 Mal verkauft hat. Sicher ein Mini, aber kein Roadster.

Schmale Frontscheibe und ganz ohne Dach

Was gerade am Comer See glänzte, ist ein Roadster reinsten Wassers. Er hat zwei Sitze, keine Seitenscheiben und erst recht kein Dach. Das sind Freiheiten, die sich nur ein Schaustück für Italiens Sonne erlauben darf. Oder wenn es von Touring Superleggera kommt. Bei der Carrozzeria, einer mittelständischen Edel-Werkstatt, designt Louis de Fabrebeckers, der vor zwei Jahren mit der Neuauflage des Alfa Disco Volante eine hinreißende Visitenkarte abgegeben hat. "Vorgaben und Maße für das Auto kamen von Mini, die Ausführung übernahmen wir. Und beide stimmen überein, dass Mini sich nicht über die Größe definiert, sondern die Machart: zurück zum Einfachen."Das Ergebnis steht im frühen Morgenlicht für die ersten Meter an der Luft bereit. Das soll ein Mini sein? Wären da nicht die Scheinwerfer (übrigens das einzige Serienteil) und das Mini-Logo auf der Haube, der Superleggera Vision würde als eingelaufener Aston Martin durchgehen. Die Front mit den eng stehenden Augen stemmt sich auf imposante 1,82 Meter Breite und erinnert mit der vollen, gewölbten Nase eher an Insel-Coupés. Die gesamte Karosserie dengelten die Künstler bei Touring aus Aluminium, was spätestens bei der schnurgeraden Seitenfalz, die sich über die gesamte Flanke zieht, für offene Münder sorgt. Wie bekommen die Könner in Handarbeit nur diese scharfe Kante mit ihrem wechselnden Schatten hin?

Heckleuchten als halbierter Union-Jack

So sitzt es sich im Mini Superleggera Vision
Cool, Britannia! Heckleuchten in der Form des Union Jack.
Während man noch staunt, verblüfft das Heck mit einem Feuerwerk an Britishness. Wie kam de Fabrebeckers auf diese Finne? "Ich weiß nicht, plötzlich war sie da", sagt er mit unschuldigem Grinsen. Wohl wissend, dass der Highspeed-Stabilisator je nach Sichtweise entweder crazy ist (das Auto hat ja kaum Power) oder grandios geklaut – vom Jaguar D-Type aus den 50ern. Das senkrechte Heck könnte auch von einem Spitfire oder Alfa Spider der zweiten Serie stammen, wird aber gekrönt von einem Highlight, das noch englischer daherkommt als die Hüte beim Pferderennen in Ascot: Heckleuchten in der Form des Union Jack!

Und wir dachten, Mini hätte längst jede Schrulle verwurstet, die Britanniens Flagge vom Spiegel bis zum Autodach hergibt. Falsch! Die Leuchten! Sobald die modeverrückte Mini-Crowd die Dinger wahrnimmt, geht garantiert der Hype auf die gekreuzten Rearlights los. Hoffentlich hat Mini sich diese Idee patentieren lassen, sonst laufen irgendwo in Asien schon Kopierpressen an.

Pizzagroße Rundanzeige

Das Motiv des Union Jack taucht auch im Innenraum auf, dort in Form von gekreuzten Rohren als Türgriffe. Die Idee vom einfachen, reduzierten Roadster lässt sich innen mit den Händen greifen – oder besser: nicht greifen. Außer einem Mini-Schalthebel für die Fahrstufen gibt es keinen einzigen Schalter. Dafür erreicht die pizzagroße Rundanzeige mit Touchscreen neues Rekordformat und wird widersinnigerweise flankiert von einer Analoguhr.

Das Cockpit glänzt wieder mit Handwerkskunst von Touring: Der Armaturenträger besteht aus einem einzigen, handgearbeiteten und rau beschliffenen Alupaneel, das am dünnen Halter den Innenspiegel trägt. Wer sein Bedürfnis nach Showelementen noch nicht gestillt hat, schießt Selfies mit der Kamera, die oben zwischen den Sitzen eingebaut ist. Oder bestaunt einfach die rahmenlose Windschutzscheibe, die mir kaum bis zur Nasenspitze reicht und den Fahrtwind höchstens halbiert, aber nicht abhält. Dieser Roadster ist ein Speedster.

Front- oder Heckantrieb? Wer weiß es

Wo wir gerade bei den Wahrheiten sind: Unter der wunderbar langen Haube mit den beiden versenkten Luftsicken steckt kein Dreizylinder, kein Turbo, sondern ein Elektromotor. Über dessen Kraft und den möglichen Antrieb (vorn? hinten?) verliert Mini so wenig Worte, dass wir vermuten dürfen: Der ist wohl auch nur ein Traum.
Beim Schönheitswettbewerb an der Villa d'Este startete der Mini Superleggera Vision außer Konkurrenz – als automobiler Einrichtungsbeitrag von Schirmherr BMW. Eine Serienfertigung ist nicht geplant – außer Mini wollte testen, ob ein Roadster vom Format des Countryman ankommt. Eines dürfte aber sicher bleiben vom ersten echten Mini Roadster: die Heckleuchten. Cool, Britannia!

Von

Joachim Staat