Wer etwas über die Zukunft eines Autoherstellers erfahren will, muss die Designer fragen. Steile These? Nee. Die Designer haben nämlich einen Vorteil: Sie können Sachen in ihrem Kopf erfinden, ihnen eine Form geben. Und schon sind sie zumindest auf dem Papier Realität. Technische Machbarkeit, Marktchancen – erst einmal alles egal. Und wer so frei denken kann, denkt oft weiter. Radikaler. Anders. Und genau daraus besteht der Weg in die Zukunft – aus neuen Gedanken, die auf dem Weg auf unsere Straßen immer realistischer werden. Und so hat AUTO BILD die wichtigsten deutschen Autodesigner gefragt: Wie fahren wir in 10 bis 15 Jahren? Die Antworten? Sind möglich. Vielleicht sogar wahrscheinlich. Und immer spannend.

Die wichtigsten deutschen Autodesigner
Klaus Zyciora, Designchef VW-Group: "Wie wir in Zukunft reisen, wird sich radikal wandeln. Flüge werden weniger, Menschen nehmen ihr Zuhause mit.“

Bild: Volkswagen AG

VW: "Es lebe die Vielfalt. Alles ist möglich"

Für Klaus Zyciora hat sich 2020 viel verändert – wie auch für den Konzern, für den er arbeitet. Ab 2007 leitete er das Design der Marke VW weltweit (und schuf mit seinem Team die ID.-Familie), seit April 2020 ist er der Designchef des gesamten VW-Konzerns – und verantwortet nun die gestalterische Strategie der 13 Marken. Für AUTO BILD hat er zwei Skizzen dabei, eine Stadtszene, in der sich Autos (ohne Lenkrad), ÖPNV, Fahrradfahrer harmonisch die Verkehrsfläche teilen. Wobei er sich nicht sicher ist, ob wir in 10 bis 15 Jahren wirklich schon autonom fahren. "Im komplexen Stadtverkehr werden Autos sicher zuletzt ganz alleine fahren", so Zyciora. Außerhalb geschlossener Ortschaften, etwa auf Autobahnen oder Landstraßen, hingegen werde es schnell gehen. Wenn der Gesetzgeber es erlaube, sei die redundante Technik im Konzern vorhanden.
Hinweis
VW ID.3 im AUTO BILD-Gebrauchtwagenmarkt
Für seinen zweiten Entwurf hat Zyciora ein überraschendes Vorbild: den Airstream-Wohnanhänger aus den 1930er-Jahren mit unlackierter Alu-Außenhaut. Er stand Pate für ein Wohnmobil von übermorgen, das selbst an die Urlaubsorte fährt (die Passagiere können aus den Seitenfenstern schauen und die Landschaft genießen) – eine Art Zuhause auf Rädern. "Auch durch die Coronakrise zeigt sich, dass sich Reisen in Zukunft wandeln wird. Weniger fliegen, mehr Menschen werden ihr Zuhause einfach mitnehmen wollen", so der Chef-Designer.

Die wichtigsten deutschen Autodesigner
Wo enden die Fensterflächen, wo beginnt die Karosserie? Die quattro-Backen bleiben.
Bild: Audi AG

Audi: "Wir entwickeln Autos von innen nach außen"

Veränderungen passieren häufig von oben nach unten. Und damit ist nicht der neue Audi-Boss Markus Duesmann angesprochen (auch wenn der gerade richtig viel anschiebt), sondern die Fahrzeugklasse. Große und damit auch teure Autos sind häufig die Innovationstreiber, dort werden trotz der eher konservativen Klientel Dinge ausprobiert, die dann später in kleineren Modellen ihre massenweise Verbreitung finden. Für unsere Aufgabenstellung hat sich Audi-Chefdesigner Marc Lichte ein zukünftiges Fahrzeug im D-Segment ausgesucht. "Wir haben uns Gedanken darüber gemacht, wie wir die vergangenen 100 Jahre Autos entwickelt haben. Da gab es nämlich eine Plattform, einen Verbrennungsmotor – und dann wurde ein passender Hut daraufgesetzt. Was aber wäre, wenn wir bei den Fahrzeugkonzepten den gleichen radikalen Ansatz wählen, wie er bei den Antrieben gerade beim Wechsel vom Verbrenner auf Elektro passiert? Also das Auto von innen nach außen entwickeln?", erzählt Lichte. So könnten Autos speziell für einen Anwendungsbereich entworfen werden. Im D-Segment (wo Audi aktuell den A8 anbietet) könnte so ein noch nie gekanntes Raumkonzept Realität werden. Bei Audi reden sie davon, dass bisherige Businesslimousinen eben genau diesen Komfort bieten: Businessklasse. Was aber wäre, wenn man ein Auto so bauen würde, dass es First-Class-Komfort bietet? Geht am Ende nur, wenn man eben von innen nach außen denkt und konstruiert. Was jetzt aber nicht bedeutet, dass das Äußere uninteressanter wird. "Auch in Zukunft setzen wir auf unsere quattro-Blister. Sie sehen einfach gut aus – und sind Teil unserer Identität", sagt Lichte. Sein Entwurf für AUTO BILD zeigt, was er meint: eine fast monolithische Karosserie, bei der man sich fragt, wo Fensterflächen beginnen und enden – die große Limousine von übermorgen.

Die wichtigsten deutschen Autodesigner
Vorne ein Wasserstofftruck, Huckepack-Van, Limousine – und G-Modell, das es seit 40 Jahren gibt. Und auch in zehn Jahren noch geben wird.
Bild: Daimler AG

Mercedes: "Keiner wird in zehn Jahren ein blaues Wunder erleben"

Mit dem Wandel kennt sich Gorden Wagener aus. Als er 2008 Leiter Designbereich Daimler AG wurde, hatte die Marke ein Designproblem. Saubere Proportionen trafen auf eine nicht ganz eindeutige Positionierung. Die Kunden waren alt, das Design versuchte den Spagat zwischen klassisch und hip. Bis Wagener eine komplett neue Designstrategie einführte. Und die Marke nicht nur internationaler machte, sondern auch sportlicher, jünger. Wer sich die A-Klasse vor ihm anschaut (schmal, hoch) und seine erste A-Klasse (sportlich, flach), versteht den Wandel. Mittlerweile evolutioniert er seine Revolution. Weniger Linien, modellierte Flächen, "modern luxury" nennt er das. Selbst den Sprung in die Elektromobilität konnte er mit dieser Philosophie wagen, der EQC etwa sieht aus wie ein Mercedes – und ist doch in entscheidenden Details anders. Das Erscheinungsbild der Elektro-Mercedes wird sich weiter wandeln, wie der Mercedes EQS zeigt. Sie ist ein radikal anderer Entwurf als die neue S-Klasse, mit fließenden Formen aerodynamisch optimiert. Und die Zukunft? Gorden Wagener sagt uns über seine Skizze zur Zukunft der Mobilität und Mercedes: "Für dieses Sternbild musste ich eine Auswahl treffen, denn für alle Neuheiten ist nicht einmal in AUTO BILD genug Platz. Es zeigt den GenH2, unseren Brennstoffzellentruck, als blaues Wunder 2.0, auf seiner Ladefläche ein viertüriges Coupé für die Marke EQ im One-Bow-Design des EQS, dazu einen G, unsere Ikone seit über 40 Jahren, und einen möglichen zukünftigen Van. In zehn Jahren werden wir jedes Segment elektrifiziert erleben – von ganz groß bis ganz klein.
Hinweis
Mercedes EQC im AUTO BILD-Gebrauchtwagenmarkt
Die EQ-Modelle prägen den Stil des Hauses für kommende Dekaden: einzigartiges One-Bow-Design, langer Radstand und eine ganz cleane, sickenlose Karosserie. Zukunft, das bedeutet bei Mercedes heute: elektrische Antriebe, modernste Plug-in-Antriebe, wegweisende Sicherheit und Assistenzsysteme der nächsten Generation. Dazu ein digitales Bediensystem, das die AUTO BILD '... wie Tesla, nur besser' nennt. Jeder Mercedes bietet zeitgemäßen Luxus, für den der Stern seit über 130 Jahren berühmt ist. Wir, das Designteam von Mercedes, lassen nicht locker, unsere Marken und Produkte so außergewöhnlich zu inszenieren, dass unsere Kunden von ihrer begehrtesten Marke schwärmen. Wer möchte, kann natürlich zehn Jahre warten oder einem Stern folgend direkt in die Zukunft fahren. Nur, ein blaues Wunder wird keiner erleben." Dröseln wir jetzt mal auf. Der GenH2, bereits als Studie gezeigt, wird sicher Realität, Daimler setzt im Lkw-Bereich auf die Brennstoffzelle. Und geht davon aus, dass 2035 rund 95 Prozent aller großen Nutzfahrzeuge mit Wasserstoff angetrieben werden. Schneller geht es mit dem EQS. Der "mögliche zukünftige Van" ist wohl der Nachfolger der V-Klasse, die es seit Kurzem auch als elektrische EQV-Version gibt. Bleibt das G-Modell, das sich immer treu geblieben ist, bei allem Wandel ...

Die wichtigsten deutschen Autodesigner
Der 3er von morgen! Nein, nicht 1:1 – aber dieses Konzept spielt in der gleichen Liga.
Bild: BMW Group

BMW: Antrieb stellt für Design keine Rolle

Wenn BMW-Chefdesigner Domagoj Dukec für AUTO BILD in die Zukunft blickt, holt er erst einmal die Vergangenheit hervor. "Die Neue Klasse, also der 1600er, prägt bis heute den Markenkern von BMW. Bis zu seinem Erscheinen konnte man entweder einen Sportwagen ODER eine Limousine fahren. Mit dem 1600er war erstmals beides möglich", sagt er. Sportliche und gleichzeitig elegante Limousinen vom 3er über den 5er bis zum 7er prägten dann viele Jahre das Image von BMW. "Aber die Ansprüche der Kunden verändern sich. Heute sind 60 Prozent unserer Verkäufe SUV", sagt Dukec. Und weiteren Wandel wird es natürlich auch in den kommenden Jahren geben. Das liegt auch an unserer Welt. "Wir sind es heute gewohnt, dass jedes Produkt individualisiert ist. Es gibt praktisch kaum noch etwas von der Stange", so der Designchef. Zudem würden die Innenräume wichtiger werden. "Und das ist die große Herausforderung für uns Designer. Der perfekte Raum ist eine Box. Ein BMW darf aber niemals nach einer Box aussehen. Optisch steht bei einem BMW eh nie die Funktionalität im Vordergrund, sondern die Emotion", erzählt Dukec. Das würde die hohe Affinität der Kunden zum X6 oder den Gran Coupés der Marke zeigen. Die Herausforderung für morgen sei daher, aktuelle Ikonen wie den Hofmeister-Knick (die abgewinkelte Fensterlinie an den C-Säulen) in neue Ikonen zu überführen. "Wir denken da etwa über spezielle Tönung von Glas nach. Die es so nur bei BMW gibt. Der Wunsch nach privatem Raum wird so gestaltet", sagt Dukec. Gutes Design bleibt wichtig? "Der i3 ist ein perfektes Beispiel dafür. Ganz anders als alle anderen BMW wurde er früher belächelt, heute ist er etwa in London ein It-Car."