Naked Bikes: Test, Kawasaki, Ducati, Aprilia, BMW
Naked Bikes – nackt, entspannt, harmlos, unbewaffnet? Nix da!

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Rennmotoren, Rennfahrwerke, Renncharakter – und das alles oben ohne. Hier stürmen die vier heftigsten Naked Bikes zum Vergleich!
Bild: Olaf Itrich / AUTO BILD
Ist das noch Tarnung oder schon perfide Angriffstaktik? Da heißen Motorräder "naked" und machen über ihre textilfreie Attitüde auf fröhlich-beiläufigen Sonntags-Fahrspaß. Nackt gleich entspannt, gleich harmlos, gleich unbewaffnet? Nix da. Hinter dem "Nichts" steckt bei den aktuellen Naked-Königen pure Renntechnik, brutale Leistung und, ja, furchteinflößender Irrsinn.
Beispiel Ducati Streetfighter: In der unverkleideten V4 S pocht das heftige Herz der großen Panigale. Jenes giftige Rennstreckenmonster, das ohne Blinker auch direkt in die Moto-GP-Boxengasse abbiegen könnte. Allenfalls eine seichtere Leistungskurve und eine lässigere Drehmomententfaltung hat Ducati dem nackten Streetfighter-Tier mit auf den Weg gegeben – der Rest der Italienerin trägt unverwässerte Bestien-DNA mit 208 PS in sich.
Damit steht Ducati nicht allein da. Auch BMW lässt nach diesem Verfahren einen Renner im FKK-Modus los. In der S 1000 R schreit der 999er-Reihenvierer der Doppel-R – wenngleich hier mit "nur" 165 PS. Aprilia schickt in dieser Liga die 175 PS starke Tuono V4 Factory ins Rennen. Als wären die Italiener etwas prüder als Ducati und BMW, steckt das V4-Gerät in einer winzigen Bikiniumhüllung aus Cockpitkanzel und Seitenblenden.
Die Spitzen des Wahnsinns
Macht nichts: Das Nackt-Thema bedient die Tuono trotzdem bestens, denn als echte Verkleidung geht das bisschen Plastik nicht durch. Und dann ist da noch das derzeit grellste Tier der Bande: Die Kawasaki Z H2 SE verquirlt Sicken- und Flügelwahnsinn der "Karosserie" mit einem 200 PS starken Kompressor-Vierzylinder. Heraus kam ein Mix aus Radlader-Drehmoment und totaler Drehzahleskalation. Wir küren die Spitze dieses Wahnsinns.
Aprilia Tuono V4 Factory
Halbe Schale, harter Kern – so die Kurzversion. Tatsächlich leitet das kleine Dreieck vor dem Instrumentenmodul eine Menge des Fahrtwinds ab, den ein 175 PS starker Motor so herbeiführen kann. Klingt nach geglättetem Wesen. Von wegen. Die Tuono V4 Factory zeigt schon über ihre Ausstattungsliste, wo der Hammer hängt – nämlich in der gleichen Vitrine, in der auch Aprilias 54 Weltmeisterpokale stehen.
Die Zeichen stehen auf Supersport. Nicht aus Spaß zieht Aprilia der Factory serienmäßig Semislicks der Sorte Pirelli Rosso Supercorsa über die leichten Felgen. Entsprechend mit Teer verpappt, beißt sich die Tuono in Kurvenradien fest, entsprechend kurz fallen die Bremswege aus – keine Nackte hier ankert effizienter. Nur ganz leicht den Bremshebel ziehen, dann kneift die Bremszange.

Für wen: Kurvenkönner, Charakterliebhaber.
Für wen nicht: Feingeister.
Für wen nicht: Feingeister.
Bild: Olaf Itrich / AUTO BILD
Der Motor mit seinem 65-Grad-Bankwinkel gehört unbestritten zu den Leckerbissen der Szene. Grob am Gas zwar, auch rumorend-derbe unter Teillast, vibrierend beim Hochtouren, doch auf Durchzug gestellt ein bärenstarkes wie hungriges Aggregat. Im sechsten Gang durchreißen – die Tuono hängt in dieser Disziplin die drei anderen Konkurrenten ab. Dabei klingt der V4 herrlich authentisch.
121 Nm Drehmoment
Vom mechanischen Mahlen aus dem Getriebe über schlürfendes Durchsetzen der Verbrennungsluft bis zum grantigen Donnern unter Last ist alles dabei. Keine Kulisse für Poser, vielmehr echter Sound für Kenner – grandios! Die gemächliche Gangart mag sie aber so gar nicht. Konstantes Schnüren in der Stadt?
Technische Daten
Fahrzeugdaten
Aprilia Tuono V4 Factory
BMW S 1000 R
Ducati Streetfighter V4 S
Kawasaki Z H2 SE
Motor Bauart / Zylinder
Hubraum
kW (PS) bei U/min
Nm bei U/min
Getriebe
Tankkapazität
Bremsscheiben vorn / hinten
Reifen
Reifengröße
Abgasnorm
Elastizität 60-100 km/h (4./5. G.)
Elastizität 80-120 km/h (5./6. G.)
Elastizität 80-200 km/h (5./6. G.)
Bremsweg aus 100 km/h
Gewicht
Sitzhöhe
Testverbrauch
Preis (Testfahrzeug)
Rumpel, ruckel, klöter. Zackiges Abwinkeln auf engem Raum? Unerwartet kippelig überhastet sie Einlenkmanöver. Auch passiert die Gasannahme (über eine sehr leichtgängige Rolle) viel zu hektisch, nur schwerlich lassen sich die 121 Newtonmeter Drehmoment auf buckeligen Landstraßen sauber dosieren. Auch der Schaltautomat sollte zackiger arbeiten. Kurze Pausen mit spürbarer Leistungsunterbrechung sind den drei anderen Kandidaten dieses Vergleichs jedenfalls fremd.
BMW S 1000 R
Nur vom Layout her betrachtet, könnte der Motor der S 1000 R glatt als fade durchgehen. 999er, vier Pötte in Reihe, klassischer Hubzapfenversatz, eher "solide" 165 PS. Doch ein Druck auf die Starttaste peitscht die Vorurteile zum Akrapovic-Endtopf hinaus. Das flirrende Ding unterm Tank zuckt nervös, zerrt drahtig und rumort rennbereit los, die Drehzahlmessernadel schießt dem roten Bereich nur so entgegen.
Alles klar, hier reihen sich vier ziemlich wache Zylinder auf. Das passt zum Fahrwesen der BMW. Sie wirkt leichter als die Konkurrenz (was sie auch ist), in allem leichtgängiger, nach wenigen Metern hat man sich passgenau in die Mulde zwischen Tank und Bürzel eingesaugt und Vertrauen zum Fahrwerk aufgebaut. Die Bremsen sprechen hervorragend an, wirken bombastisch und bescheren der BMW sehr gute Bremswege.

Für wen: Ideallinien-Freaks.
Für wen nicht: Leistungs-Abgleicher.
Für wen nicht: Leistungs-Abgleicher.
Bild: Olaf Itrich / AUTO BILD
Klar: Mit bis zu 43 PS weniger fährt die S 1000 R den drei Gegnern in allen Disziplinen hinterher. Dafür glänzt sie in einzelnen Kapiteln. Keine andere Maschine dieses Quartetts schaltet so schnell (und sorgfältig über die Motorelektronik adaptiert), keiner der Gegner hängt im Übergang zwischen "Schieben" und "Ziehen" so feinfühlig am Gas, keines der anderen Naked-Monster balanciert das Vorderrad bei voller Beschleunigung so gleichförmig nah über dem Asphalt wie die blauweiße Rakete.
Was macht sie falsch? Nichts. Das ist es ja. Ihr fehlt irgendwie die wettbewerbsorientierte Seele der Aprilia. Oder die finstere Aggression der Duc. Auch die Kawasaki ist in ihrer schrillen Originalität eine herausragende Persönlichkeit. Trost für BMW: Die S 1000 R kostet weniger als die Motorräder der Konkurrenzmarken. So liegen zwischen dem Bayern-Bike und der Ducati Streetfighter ab Grundpreis über 5000 (!) Euro.
Ducati Streetfighter V4 S
Ein einziges fahrendes Spektakel. Laut, voll mechanischen Lebens und lustvoll vibrierend, deftig am Gas, sauschnell, bärenstark, drehgierig, ach was, drehbesessen, so die Kurzcharakterisierung der Streetfighter V4 S. Sie beherzt eine Landstraße entlangzutreiben, ist ein einziger Rundumspaß.
Selbst "tuckernd" durch die Stadt bereitet sie noch Vergnügen – dafür sorgt schon der brutale Donner, der sich im Grunde in jede Drehzahllage, zu jeder Drosselklappenstellung, bei jeder Bewegung des rechten Handgelenks einmischt. Fehler im System? Nicht, wenn es um temporeiche Abrufe geht. In puncto Alltag meckern wir: Arg unflätig malocht der 90-Grad-V4-Block in unteren Drehzahlregionen, kantig bockt sich der Antrieb vom Lastmodus in den Schiebebetrieb.

Für wen: Dompteure.
Für wen nicht: Angsthasen.
Für wen nicht: Angsthasen.
Bild: Olaf Itrich / AUTO BILD
Die Menüführung durch Fahrprogramme und "Sport-Assistenzen" ist komplex geraten, klappt nicht immer einwandfrei. Die Funktionen selbst arbeiten dagegen hervorragend. Beim Wenden fällt ein arg begrenzender Lenkanschlag auf, enge Radien nimmt sich die Ducati unerwartet kantig vor. Eine Kehre sauber abzirkeln? Kann zum Beispiel die BMW im Schlaf, mag die Streetfighter dagegen am liebsten mit Tendenz zur aufrechten Lage.
Also: Hahn auf, Radien weiter ziehen. Dann glüht die Streetfighter vor Wonne. Keiner der drei Gegner peitscht die einzelnen Gänge bis in höhere Temporegionen, keine Maschine legt sich geschmeidiger in schnelle Kurven, mag sich williger von der einen auf die andere Seite umlegen. Klare Sache: In diesen Momenten blitzt Supersport aus jeder einzelnen Kühlöffnung. Nur die entspannte Sitzposition wirft dich gedanklich "zurück" in die nackte Klasse.
Kawasaki Z H2 SE
Der Kompressor des 998-Kubik-Vierzylinders ist charakterbildend, keine Frage. Aber nicht tonangebend. Denn die krasse Kawasaki ist im Grunde ein ziemlich aufregendes Gesamtkunstwerk aus schrägen Erfahrungen. So mag der Motor die lastfreie Gangart ohne Zwangsbeatmung genauso gern wie alles andere.
Hoch kultiviert, leise, dezent in der Kraftentfaltung – so geht es auf Spazierfahrt oder durch die Stadt. Das ganze Motorrad zeigt sich in dem Fall verbindlich und komfortabel. Und dann ist da noch diese wuchtige Mitte. Wenn der Lader mit Schmackes die Prozessluft quetscht, den Vierzylinder zum Erzittern vorspannt, im Lastwechsel ordinär den Überdruck wegzwitschert und das grüne Flügelmonster in grüne Striche auf der Landstraße verwandelt – dann berstet eine gigantische Ladung Kurvenspaß auf den Asphalt.

Für wen: extrovertierte, Könner.
Für wen nicht: Cruiser, Anfänger.
Für wen nicht: Cruiser, Anfänger.
Bild: Olaf Itrich / AUTO BILD
Dazu legt sich die Z H2 SE besonnen, ohne zu viel Aufregung, doch mit genügend Elan in jegliche Biegung. Einziger Kratzer auf der Wedel-Medaille: Im Vergleich zu den anderen drei Kandidaten hier setzt die Kawasaki früh mit den Fußrasten auf; ohne die ellenlangen "Angstnippel" hätte die Z gefühlt noch Schräglagenreserven.
Zu viel Dampf für effektivere Sprints
Dass die Kompressor-Kawa nicht schneller beschleunigt als die drei anderen Nackten, liegt zum kleinen Teil am höheren Gewicht und zum größeren Teil an der stetig nachjustierenden Wheelie-Kontrolle der Fahrassistenz. Denn im Prinzip will die Kawasaki unter voll geöffneten Drosselklappen auch jenseits der 200 km/h noch das Vorderrad vom Asphalt heben. Man könnte auch sagen: Die Z hat zu viel Dampf für effektivere Sprints, bekommt die Kraft meist gar nicht umgesetzt.

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Bild: AUTO BILD
Fast schon perfide: Der Schub nimmt auch rund um die fünfstelligen Kurbelwellenumdrehungen kaum ab. Denn der Vierzylinder ist auch außerhalb der Zwangsbeatmung und bei aller Laufruhe noch eine typische Reihen-Drehorgel. Am Ende liegt sie auch noch ziemlich satt und richtungsstabil auf der Autobahn. Kurz: drei Motoren in einem. Drei Fahrcharaktere in einem. Oder: drei Gegner im Sack.
Der Wahnsinn geht übrigens weiter. Denn Kawa und Konsorten sind lange nicht die einzigen Motorräder der Kategorie "nackt und willig". Auch Suzuki und Yamaha mischen hier mit 152 bis 160 PS mit. Allerdings konnte Suzuki zum Produktionszeitpunkt unseres Vergleichs noch kein Testfahrzeug der taufrischen GSX-S 1000 auf die Straße bringen, Yamaha fehlt noch das Euro-5-Modell der MT-10 im aktuellen Programm.
Fazit
Nach Punkten inklusive Alltagskönnen, Kosten und Ausstattung holt die grandiose Kawasaki den Sieg. Am Ende haben wir drei weitere Sieger gefunden: die geschliffene BMW als Königin der Kurvenskalpelle, die Ducati als fahraktiver Bolide mit Motor-Meisterstück und das auf Rundenzeiten gebürstete V4-Tier Aprilia Tuono.
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