In den vergangenen Wochen ging es wie auf der Rennstrecke zu für William Li (48): vor allem schnell. Interviews, die Eröffnung des ersten Nio House an der Gedächtniskirche in Berlin (weitere folgen von München bis Hamburg), Test-Drives. Ein erster Shitstorm war auch dabei, weil die Autos – gerade werden die ersten 5,10-Meter-Limousinen ET7 an deutsche Kunden ausgeliefert – nur im Abo zu haben sein sollen. Was ist das für ein Typ, der schon mal fast pleite war, der heute mit seinen Akku-Wechselstationen den Markt für E-Autos aufrollen will? Wir haben ihn in Berlin bei Tee (Li) und Wasser (wir) getroffen.
AUTO BILD: Sie sind ein Bauernsohn aus der chinesischen Provinz, woher kommt Ihre Faszination für Autos?
William Li: Vielleicht daher, dass es in meiner Kindheit keine gab. Ich komme aus einem Dorf, in dem die erste Straße gebaut wurde, als ich zehn Jahre alt war. Und die war nicht asphaltiert. Die ersten Autos, die ich sah, waren Lastwagen. Der erste Pkw, den ich bestaunt habe, war ein VW Santana. Meine Eltern waren Bauern, heute leben sie in Peking.
Nio
William Li (r.) mit den AUTO BILD-Redakteuren Hauke Schrieber (l.) und Tom Drechsler.
Bild: AUTO BILD Syndication

Als Sie nach Peking an die Universität gingen, mit dem gesparten Geld Ihrer
 Eltern, was änderte sich da?
Es muss wohl an mir gelegen haben. Ich fand Autozeitschriften, Autos an sich einfach interessant. 1996 als Student in Peking gründete ich eine der ersten Websites Chinas, auf der man sich Posts schicken konnte. 2000 gründete ich dann BitAuto, eine Internetseite, auf der man Auto-Testberichte lesen und Autos kaufen konnte. AUTO BILD kenne ich seitdem, insofern sind wir fast Kollegen.
Aber funktionierte das?
Ich dachte, innerhalb von fünf Jahren kauft jeder ein Auto online, damit war ich zu früh dran. Wir waren fast pleite, aber haben es geschafft und gingen an die New Yorker Börse. Ich habe viel versucht, eine TV-Autoshow, Magazine, am Ende habe ich auch immer viel Geld verloren.
Man nennt Sie wahlweise den Steve Jobs oder den Elon Musk von China, was stimmt?
Beides ist falsch. Ich kannte Tesla nicht, als ich 2012 Nio gründete. Ich wollte allein schon deshalb kein chinesisches Tesla erfinden. Ich fand und finde heute noch, dass die Art, wie Hersteller und Händler ihre Kunden behandeln, nicht richtig ist, dass man es besser machen kann – auch mit besseren Produkten, mit mehr Wertschätzung. Das wollte ich beweisen. Der zweite Grund war die Luftverschmutzung, zu der Zeit wirklich schlimm in China. Ich fühlte mich selbst ein bisschen schuldig, weil ich ja auch Autos verkaufte. Zu der Zeit wurde mein erstes Kind geboren – ich habe heute zwei Jungen, ein Mädchen –, deshalb wollte ich Autos bauen, die emissionsfrei sind.
Nio
Der ET7: Eine 5,10 Meter lange Limousine mit 580 km elektrischer Reichweite und 650 PS.
Bild: Nio

Zehn Jahre nach der Gründung legen Sie sich mit mehr als 100 Jahre alten Herstellern an. Ihr Nio ET7 zielt auf Kunden von Audi, BMW und Mercedes. Ist das nicht verwegen?
Vor 100 Jahren gab es in Deutschland, in Europa auch viele Auto-Startups, viele Ideen, viele Gründer. Die Konzerne, die es heute noch gibt, sind sozusagen die Überlebenden. Und so ist es heute auch in China, wir sind nur ein paar Jahre später dran (lacht). Ich bin jetzt zwei Jahrzehnte dabei. Ich sehe die Veränderung des Marktes, so dynamisch wie in den letzten Jahren war es noch nie.
Womit vergleichen Sie das?
Es gab zuerst das Festnetz-Telefon, dann das Mobiltelefon, heute das Smartphone ... So wie sich das entwickelt hat, so sehe ich es auch beim Auto. Erst der Verbrenner, dann dass elektrische Auto, und das nächste große Ding ist es, smarte Elektroautos zu bauen. Autoindustrie, Energiesektor und smarte Technologie verbinden sich in unserer Philosophie. Wir bauen das Auto, wir entwickeln und bauen die Batterien, und wir tüfteln an der Software, der künstlichen Intelligenz. Über unsere App wollen wir unsere Kunden noch einmal ganz anders erreichen. Ganzheitlich. Und das ist die Zukunft, wie Sie Ihre Kunden auch nach dem Kauf betreuen. Wir wollen dort alles anbieten – eine Gemeinschaft bilden. Da geht es nicht nur um Service, Auto-Funktionen, Lifestyle und Klamotten.
Stimmt es, dass Nomi nur deshalb ein Smiley-Gesicht hat und sich ziemlich human benimmt, weil Sie es wollten?
Ja, das stimmt. Niemand will mit der Luft reden, wir finden, dass die sichtbare Interaktion und Sympathie, die Nomi ausstrahlt, ein wichtiger Faktor ist.
Nio
Der EL7: 4,91 Meter lang, kommt als zweiter Nio im Januar nach Deutschland.
Bild: Nio

Was sagen Sie denen, die sich vor China fürchten? Und vor allem davor, was mit ihren Daten passiert?
Ihr Smartphone weiß immer noch mehr über Sie als Ihr Auto. Wir halten uns an alle Privacy-Gesetze der Länder, in den wir tätig sind.
Wie sehen Sie Europa? Als alt und rückständig?
Das ist jetzt meine erste Reise seit der Pandemie. Aber ich war vorher oft hier, und ich werde noch oft hier sein. Ich bin gerade mit dem Auto durch Europa gefahren. Ein Zehn-Tage-Roadtrip im ET7. Ich war auch auf dem Oktoberfest. Meine Perspektive hat sich sehr geändert. Es ist etwas anderes, als schnelle Business-Trips zu machen. Unsere Autos sind hier entwickelt und designt worden. Ich sehe uns – das hört sich für Sie vielleicht seltsam an – als sehr europäisch.
Wie geht es weiter?
Mehr als 120 unserer Swap-Wechselstationen werden bis Ende 2023 in Europa entstehen, entlang der großen Autobahnen. In Europa haben unsere Kunden Zugang zu allen großen Schnellladenetzen, wir helfen, zu Hause Ladestationen zu installieren. Wissen Sie, wir wollen das Beste aus der Kundenperspektive bieten: Sie können schnell laden, wenn Sie auf Ihrem Trip ein bisschen mehr Zeit haben, und Sie können die Akkus tauschen, wenn Sie nur fünf Minuten stoppen wollen.
Was ist Ihr Zukunftsplan?
Wir wollen bis zur Mitte der Dekade in 25 Ländern aktiv sein. Wir bringen noch bessere Batterien mit bis zu 1000 Kilometer Reichweite. Wir sind heute beim autonomen Fahren schon besser als viele andere. Und sehen die Zukunft natürlich zuerst in den Funktionen, die das tägliche Stop-and-go leichter machen. Aber wir sehen autonomes Fahren als einen Service, nicht als eine Funktion. Und wir wollen unter die Top 10, am besten Top 5 der Autohersteller weltweit kommen.
Nio
Der ET5: Soll mit seinem 100-kWh-Akku bis zu 1000 Kilometer Reichweite schaffen.
Bild: Nio

Was war das erste Auto, das Sie besessen haben? Fahren Sie noch selbst? Und wie entspannt ein Typ wie Sie?
Ehrlich gesagt habe ich schon sehr lange einen Fahrer. Aber klar habe ich den Führerschein, seit rund 20 Jahren. Mein erstes Auto war ein Mazda 6. Und meine Kids haben auch keine Angst, wenn Papa fährt. Ich bin mal mit einem Ford Explorer von New York nach Los Angeles gefahren. Relaxt habe ich früher beim Golfspielen, dafür habe ich nur noch sehr, sehr wenig Zeit. Entspannung und Luxus bedeuten für mich heute, einfach mal viel schlafen zu können. Derzeit schlafe ich sechs Stunden. Ich möchte wieder auf acht kommen.

Wie kommen Kunden an ein Auto, und was kostet das?

Am Anfang gibt's die Autos im Abo: Der ET7 soll 69 000 Euro kosten, aber kaufen soll die Ausnahme bleiben. Erst mal gilt ein Abo-Modell mit Laufzeiten von einem bis zu 60 Monaten. Enthalten ist laut Nio ein "Rundum-sorglos-Paket", das Services wie Zulassung, Winterräder sowie Abholung und Rücklieferung im Servicefall oder die Versicherung inkludiert. In Deutschland gibt es die Möglichkeit eines flexiblen oder fixen Abo-Vertrags. Bei der fixen Variante und einer Laufzeit von beispielsweise 36 Monaten entspricht der monatliche Preis für den ET7 mit der kleineren 75-kWh-Batterie (445 km WLTP- Reichweite) 1199 Euro, bei 12 Monaten Laufzeit 1295 Euro. Mit der 100-kWh-Batterie kostet das 12-Monats-Abo 1408 Euro. Zu teuer, sagen viele. Nio denkt nun nach.

Von

Tom Drechsler