Nur 75 PS? Wie wenig, ein lahmer Zock! Doch Nissan Micra und VW Polo verblüffen auch mit Basisbenziner mit Reife und - jawohl! - mit Pep.
Die Deutschen kaufen im Schnitt 150 PS. Kaum zu glauben, aber jeder Neuwagen hat also, statistisch gesehen, die Wucht von 600 galoppierenden Hufen unter der Haube. Die wir meist gar nicht brauchen. Wie fühlt es sich dann an, mit der Hälfte dieser Leistung unterwegs zu sein? 75 Pferde gibt’s bei Kompakten kaum noch, für diese automobile Grenzerfahrung müssen wir bei Kleinwagen weit unten einsteigen: beim VW Polo mit 75 und im Nissan Micra mit 71 PS.
Von außen sieht man dem Nissan den Einstiegsmotor nicht an
In "Gunmetal Grey", mit 16-Zoll-Alus und hübschem Blechkleid sieht der Micra nicht nach Verzicht aus.
Moment mal, nach schmerzhaftem PS-Abstieg sehen die beiden nicht aus. Der Micra in Gunmetal Grey, mit 16-Zoll-Alu-Slippern und vielen modischen Blechfalten flutscht anstandslos durch den Sehtest. Auch innen gibt er sich angenehm zugänglich. Keine Design-Spielereien wie im Clio, der im gleichen Werk vom Band rollt und zum Beispiel die Blinkerschalter beisteuert. Der Nissan gefällt mit gut ablesbaren Rundanzeigen und Infotainment, das sich leicht bedienen lässt. An den Renault erinnern der enge Fond – hinten wollen auf Dauer nur Kinder sitzen –, der knappe Kofferraum und die labberige Bodenmatte, die jetzt schon schlapp macht. Und der Polo? Der spielt auch mit 75 PS und als Comfortline den geräumig-geraden Klotz, solide gebaut bis in die hinterste Dichtung. Da steigt man bequemer ein, hinten haben Knie und Scheitel spürbar mehr Luft. Ein 1,1-Tonnen-Brocken ist das, selbst mit dem leichteren Dreizylinder.
Der Diät-Polo bewahrt sich seine grundsätzliche Reife
Erwachsene Basis: Der Polo lenkt verbindlicher, federt straffer und bremst besser als sein Konkurrent.
Da tut ein wenig Abspecken ganz gut. Einfach ein paar Extras weglassen! Active Info Display, induktive Ladeschale fürs Handy, große 17-Zoll-Räder – alles überflüssig, passt sowieso kaum zum Sparwesen des Motors. Das analoge Cockpit der Basisversion lässt sich prima ablesen, die ausladenden Sitze bieten die lange Beinauflage, die Große schätzen und die dem Micra fehlt. Das Schöne am Diät-Polo ist ja, dass er seine grundsätzliche Reife bewahrt, selbst wenn vorn nur 75 PS herummurren. Die sind bestens gedämmt, ab Tempo 80 übertönt der Fahrtwind den Dreizylinder mit seinem typisch näselnden Klang. Kleiner Motor, großes Auto, so gefällt das Polo-Paket: Er lenkt verbindlicher, federt straffer und bremst (auch dank breiter 17-Zoll-Räder) besser als der Micra. Nur die Abstufung der oberen Gänge passt nicht: Der fünfte liegt zu nah am vierten, beide sind zu lang übersetzt. Von 80 auf 120 km/h schnarcht der VW in 30,1 Sekunden. Ohne zu schalten wären Lkw erst nach fast einem Kilometer überholt. Souverän geht anders, das kratzt am Lack. 75 PS sind nicht zu wenig, VW holt nur zu wenig heraus.
Was dem Polo fehlt, das bringt der Nissan mit: den Schuss Frische und Lebendigkeit, die solch eine halbe Portion vollwertig machen. In der Stadt flutschen beide noch so erwachsen mit, dass man sich fragt: Wofür müssen es eigentlich 115 PS im Kleinwagen sein? Und mancher erinnert sich an früher, als 50, 60 PS reichen mussten. Damals wie heute das wichtigste Teil: das Kupplungspedal! Um dem 1,0-Liter, wie der VW noch mit einfacher Saugrohreinspritzung, über die Anfahrschwäche zu helfen, um die Schaltpunkte zu verschleifen und den Schwung nicht zu verlieren.
Beim Micra reicht die Basis-Motorisierung
Eindeutig vorne: In Sachen Motorisierung lässt der Nissan dem VW keine Chance – er ist viel agiler.
Und der geht dem Micra selbst auf der Autobahn nicht verloren. Sein 1,0-Liter, der ähnlich im Smart steckt, dreht freudiger nach oben aus, liefert gefühlt deutlich mehr Pep und kriegt dazu die passenden Gänge angereicht. Zugegeben, das Einfach-Motörchen hat kein Start-Stopp-System wie der VW, klingt rödeliger und verbraucht etwas mehr – aber es schenkt dem Nissan etwas dringend Nötiges: das gewisse Ego! Seht her, ich bin dabei, ich misch mit, auch wenn der Kleine ausgequetscht wird wie eine Zitrone. Im Micra schaust du auf den Tacho, im Polo mit einem weinenden Auge auf den nächststärkeren Motor. Den gleichen Dreizylinder mit Turbo und 95 PS gibt es erst ab Comfortline – so wächst der Aufpreis gegenüber dem Trendline auf schmerzhafte 3225 Euro. Zu viel, im Micra sind's beim Acenta (60 Prozent Käuferanteil) noch 1300 Euro bis zum 90-PS-Bruder. Und geht es hier nicht ums Sparen? Weniger spart mehr! Deshalb sind 75 PS allemal genug!
Fazit
von
Joachim Staat
Verblüffend, wie flott 75 PS diese Kleinen machen. Die schmecken nicht nach saurem Verzicht, sondern nach klugem Sparen. Auf der Autobahn oder bei voller Beladung fehlt was, aber das lässt sich über den Preis verschmerzen.