Ruckeln gehört zum Handwerk von Christoph Lindner. Vor seinem Büro in Rosenheim parkt ein roter Tesla Model 3. Er scannt das Auto mit seinen Augen, dann drückt er beherzt die seitlichen Kameras in den vorderen Kotflügeln nach oben und unten. "Die sind gar nicht lose, das ist gut. Das muss einer aus chinesischer Produktion sein." Bei denen aus amerikanischer eine neuralgische Stelle. Dann setzt er seinen Rundgang ums Fahrzeug fort.
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Der 38-Jährige kennt sich aus mit den Modellen des Elektro-Pioniers. Sein Büro ist eine Kanzlei, er Anwalt. Tesla baue "super Autos", darum, so Lindner weiter, klage er gegen das Unternehmen. Seit 2020 rund 250-mal.
Die Mängelvielfalt ist laut Lindner groß. Unter anderem können sich die seitlichen Kameras beim Model 3 lösen.
Bild: Sveinn Baldvinsson / AUTO BILD
Klagen gegen die Lieblingsmarke? Diesen Widerspruch erklärt er so: Sein 2019 erworbener Tesla Model S, Baujahr 2016, mache "einen Riesenspaß. Viele Mandanten sagen, dass andere Hersteller in Sachen Supercharger, Bedienkomfort und Effizienz an Tesla nicht rankommen". Es sei keine Frage, dass nicht jedes Auto perfekt sein könne. Wohl aber, wie ein Hersteller mit Mängeln umgehe. Davon gebe es so einige.

"Vernünftige Lösungen" nur auf dem Klageweg

Doch würde der Tesla-Kundenservice vor allem abwimmeln, beschwichtigen und mitunter nicht immer die Wahrheit sagen, anstatt zu helfen. Auf dem Klageweg gebe es dagegen Erfolge: In vielen Fällen kommt es zu "vernünftigen Lösungen", mit denen Lindners Kundschaft zufrieden sei.
Tesla-Liebhaber Lindner in seinem Model S von 2016.
Bild: Sveinn Baldvinsson / AUTO BILD

Von Vernunft beim Hersteller dagegen bislang kaum eine Spur: Tesla habe sich ebenso wenig ernsthaft für gerissene Hebepunkte am Unterboden interessiert wie für hochgefährliche Fahrmanöver des Autopiloten FSD. Zudem ändere das Unternehmen auch während der Produktion die Ausstattung, mitunter zum Nachteil des Kunden.
Beispiele sind fehlende USB-Anschlüsse und Beifahrer-Sitzverstellungen oder der jüngst angekündigte Wechsel von Ultraschallsensoren auf kamerabasierte Technik. "Da piepst beim unübersichtlichen Model Y im Moment nichts mehr." (Außer E-Antrieb: Was hat der Tesla Model 3 sonst noch zu bieten?)
Derzeit geht Lindner dem Verdacht von Ladezeit verlängernden Online-Updates beim Model S bis Baujahr 2016 nach. Er vermutet, dass der Hersteller sich so über die Achtjahresfrist der Akku-Garantie retten will.
Kaum zu retten dürften dagegen die Heckdeckel aktueller Model S (Auslieferung ab Dezember 2022) sein, bei denen der Verdacht besteht, falsch gepresst worden zu sein. Hier droht Ärger für Tausende Tesla-Kunden, von denen Lindner bereits einige vertritt. Gefährlich sind die Fälle von im Werk nicht vorgenommener Sturz- und Spureinstellung.

Große Mängelvielfalt

Die Mängelvielfalt ist laut Lindner groß, die Prozessführung beschreibt der Anwalt als aufwendig. "Tesla bedient sich vieler immer wiederkehrender Finten und Taktiken. Bekanntes wird verleugnet, bei vergleichbaren Fällen müssen wir stets ganz von vorn argumentieren", beschreibt der Jurist Teslas fragwürdigen Umgang mit den Kunden vor Gericht.

Die Baustellen des Tesla-Anwalts

Tesla Model 3, Model Y

• Teilweise erhebliche Qualitätsmängel, unter anderem bei Spaltmaßen und Lack; Wassereinbruch, Schiefstand des Lenkrads, polternde Fahrwerke
• Änderungen in der Serie, z. B. Wegfall der Ultraschallsensoren (Auslieferungen ab November 2022)

Tesla Model S

• Spaltmaße der Heckklappe (Auslieferung ab Dezember 2022)
• Herabgesetzte Ladeleistung verlängert die Ladezeiten erheblich (bis Baujahr 2016)

Alle Tesla-Modelle

• Phantombremsungen des Autopiloten FSD
• Fragwürdige AGB, etwa für die Fahrzeugübergabe; prozessuale Verzögerungstaktiken

Das Unternehmen gehe auch bei festgestellten Mängeln nicht auf die übrigen betroffenen Eigentümer zu, sondern mache eher das Gegenteil. Es sei kaum möglich, mit jemandem bei Tesla zu sprechen, der etwas zu sagen hat.
Lindner glaubt, dass die Unternehmensspitze die Wurzel allen Übels sei. Er habe nach inzwischen mehreren Hundert Auseinandersetzungen den Eindruck, "dass rechtliche Vorgaben nicht zu den Entscheidungskriterien gehören". Dass alle Garantieverträge mit Tesla Netherlands geschlossen seien, erleichtere die Arbeit nicht: "Ich kenne niemanden, der mit einem Mitarbeiter dort gesprochen oder etwas schriftlich bekommen hat."

Tesla geht gegen Gerichtsurteile vor

Immerhin: Gewonnene Prozesse wie zuletzt im Fall eines Model 3 mit spukhaftem FSD vor dem Landgericht Darmstadt zwingen Tesla zu handeln. Allerdings nimmt das Unternehmen das Auto nicht zurück, wie vom Gericht geurteilt – es geht gegen das Urteil genauso vor wie gegen das im Falle eines Model X am Landgericht München I, ebenfalls wegen eines fehlerhaften FSD. Das zähe Ringen geht weiter.
Dennoch mache ihm seine Arbeit mit und gegen Tesla Spaß.
Ein weiterer Streitpunkt: Wegfall der Ultraschallsensoren an Model 3 und Y.
Bild: Internet / privat

Kontrast zu den ernsten Themen in seinem Berufsleben: Er hat zu Menschenrechten promoviert und lehrt sie nun an der Uni Regensburg. Aktuell vertritt Lindner 270 Opfer des Staudammbruchs in Brasilien von 2019. Er wünscht sich mehr Parität zwischen Privatpersonen und Großunternehmen – und setzt sich dafür ein. Wer ihm stumpfes Bashing vorwirft, macht es sich womöglich zu einfach.
Darum nimmt man ihm durchaus den Wunsch ab, irgendwann nicht mehr gegen Tesla klagen zu müssen. Und dann? Lindner hat einen Fisker Ocean vorbestellt. Steht der eines Tages vor der Tür, wird er ihn ebenso genau scannen, wie er es aktuell bei Tesla tut.

Von

Roland Kontny