Wer beim Hund "Katze" ruft, kann sich vom Effekt sofort überzeugen. Der Hund dreht durch, wenn er das so gelernt hat. Ähnlich funktioniert das bei Ulf Schnackenberg. Wenn der Standortleiter des Autohus in Bremen einen Tesla auf dem Hof sieht, graben sich sofort tiefe Sorgenfalten in die Stirn. Angesichts der vielen Tausend Autos, die hier jährlich verkauft werden, eine ungewohnt emotionale Reaktion. Doch Schnackenberg hat sein Urteil über den Start-up-Ami gefällt. "Preis und Qualität passen einfach nicht zusammen."

Qualitäts-Ästheten werden vom Innenraum enttäuscht

Tesla Model S
Computeraffinität ist hier Voraussetzung. Die meisten Funktionen laufen über den riesigen 17-­Zoll-Monitor. Updates erfolgen online.
 
Stimmt, rational betrachtet spielt so ein über 40.000 Euro teures Model S qualitativ eher in der Liga von Dacia und Lada. Die Teppiche sind von billiger Machart, Schiebedächer sind mies eingeklebt und teils nicht dicht, die elektrischen Türgriffe verweigern nicht selten auch den rechtmäßigen Besitzern wirkungsvoll den Zutritt. Ein klassisches Déjà-vu übrigens: Zur Begrüßung hören wir im Autohus, dass der Türgriff hinten links nicht funktioniert. Das erinnert stark an den letzten Tesla-Gebrauchttest vor zwei Jahren. Damals hatte ein weißes Model S die gleiche Macke. Mit Glück ist es nur ein defekter Mikroschalter. Läuft es dagegen schlecht, wird ein neuer Griff für gut 800 Euro fällig. Grundsätzlich werden Qualitäts-Ästheten, die von Mercedes, Audi oder BMW zu Tesla wechseln, beim erstmaligen Entern des rustikal gefertigten Innenraums enttäuscht. "Die Kunden, die in dieser Preisklasse einkaufen, sind einfach etwas anderes gewöhnt, egal wie gepflegt der Gebrauchte auch ist", so Schnackenberg.
Überblick: Alles zum Tesla Model S

Der Apple-Effekt erklärt die Beliebtheit

Tesla Model S
Sind alle Batterien platt, ist der Tesla verrammelt wie eine Burg. Dann lässt sich immer noch die Frontmaske abreißen. Dahinter sitzen zwei Pole zum Überbrücken.
Dass die junge Marke aus dem Silicon Valley trotzdem so viel Erfolg hat, dürfte am Apple-Effekt liegen. An der Will-haben-Aura, die das Model S ausstrahlt. Echten Tesla-Jüngern fällt es nicht schwer, sich mit dem riesigen Zentralmonitor anzufreunden. Dominieren die Klappergeister zu sehr, stellen sie das Radio lauter, beim Warten auf Ersatzteile üben sie sich in Geduld. Immerhin stimmt so ein Model S dafür auf Reisen versöhnlich. Eine vorausschauende Fahrweise vorausgesetzt, sind auch in der Praxis 500 Kilometer Reichweite drin. Das ist noch heute unübertroffen. Zumal das Laden an einem der Tesla-Supercharger so schnell geht, dass die Pause für kaum mehr als einen Kaffee reicht. Nach 30 Minuten sind 80 Prozent geladen – und weiter geht's. Bei Fahrzeugen bis 2016, je nach Vertrag, oft sogar kostenfrei. Da lassen sich, wenn es mit der Routenplanung mal nicht gut läuft, auch 20 km im Schleichmodus hinterm Lkw verschmerzen.

Im Kern ist der Tesla nahezu unzerstörbar

Kein Wunder, dass es längst Foren gibt, in denen sich Tesla-Fahrer mit ihren Laufleistungen überbieten. Einige haben bei ihren Reisen an die entlegensten Orte 500.000 und mehr emissionsfreie Kilometer (je nach Herkunft des Stroms) gesammelt. Denn im Ganzen ist das Model S ein typischer Ami. Alles wirkt zwar etwas schludrig umgesetzt, aber im Kern ist er (fast) unzerstörbar. Weder von der Antriebseinheit noch vom Akku sind echte Probleme bekannt. Zickt die Elektronik, hilft meistens ein Online-Update. Nicht zuletzt stimmt, kaum verwunderlich, der Wiederverkaufswert. Mit 43.480 Euro kostet unser Fotowagen mit einer überschaubaren Laufleistung von 83.000 km noch gut 50 Prozent seines Neupreises. Die meisten Autos knacken diese Marke bereits nach drei Jahren. Wer also Tesla fahren möchte, sollte sich eine entspannte Gemütshaltung zulegen und bei kleineren Problemen ein Auge zudrücken. Dann bekommt man einen spannenden Elektro-Pionier. Oder? Schnackenberg runzelt wieder nur die Stirn.

Bildergalerie

Gebrauchtwagen-Test Tesla Model S
Gebrauchtwagen-Test Tesla Model S
Gebrauchtwagen-Test Tesla Model S
Kamera
Gebrauchtwagen-Test Tesla Model S

Malte Büttner
Über 40.000 Euro für einen Gebrauchtwagen! Auch nach fünf Jahren ist Tesla noch teuer – aber Qualität wie bei Audi, Benz und BMW gibt's dafür nicht. Immerhin halten Akku und E-Motor. Und die Restwerte. Ein Einbruch der Preise ist nicht in Sicht. Urteil: drei von fünf Punkten.