Der eine ist jung, gerade mal ein paar Monate alt. Doch er kann schon laufen. Und wie! Schneller als sein großer Bruder. Menschenskinder, da ist was los bei Familie Opel aus Rüsselsheim. Der kleine Agila rebelliert gegen den älteren Corsa. Dieser hausinterne Zoff ist neu. Zwar leben beide Modelle schon seit acht Jahren unter einem Dach. Bislang kam es aber nie zum Bruderzwist. Zu unterschiedlich waren beide. Äußerlich, aber auch ihrem Charakter nach. Der Kleinere war Opas Liebling. Weil er älteren Menschen den Alltag zum Musikantenstadel machte: Sitzposition wie auf einem Gartenhocker, gute Sicht, aber wenig sexy. Während der Corsa bevorzugt um Frauenherzen buhlte. Jetzt ist alles anders beim Agila: die Form, die Technik, damit auch die Zielgruppe. Aus dem Wägelchen im Schachteldesign ist ein Corsa-Konkurrent geworden. Nicht zuletzt, weil er mit 14.060 Euro in der Verwöhnversion "Edition" über 1000 Euro günstiger ist als der Corsa. Wer wird da nicht schwach, wenigstens einen intensiven Blick zu riskieren?

Der Agila ist dem Corsa über den Kopf gewachsen

Dabei  fällt auf, dass der Agila dem Corsa über den Kopf gewachsen ist. 1,59 Meter ist er hoch und bietet auch im Innenraum Atmosphäre wie im Festzelt. Die Decke unerreichbar weit weg, die Sessel breit. Im Corsa-Cockpit ist es enger. Außerdem trübt die gefächerte A-Säule die Sicht nach vorn, während der kleinere Bruder eine Rundumsicht bietet wie auf einer Aussichtsplattform. Vor der Fahrernase baut sich im Agila ein runder Tacho auf, der Drehzahlmesser wächst Smart aus dem Armaturenbrett. Ganz ungewöhnlich für einen Opel. Wogegen der Corsa die Familien-Design-Sprache höherer Klassen übernimmt. Mit klassischen Rundinstrumenten, fein silbern eingerahmt. Um den Agila zu verstehen, muss man seine Verwandten kennen. Die kommen aus Japan und hören auf den Namen Suzuki. Agilas asiatischer Zwilling heißt Splash. Beide werden in Ungarn gebaut. Deshalb sitzt auch beim kleinen Opel der Tankdeckel japantypisch auf der linken Seite. Ist der Agila also gar kein echter Opel?

Der Basis-Corsa wirkt im Vergleich untermotorisiert

Opel Corsa 1.2 Ecotec Edition
Wirkt untermotorisiert: Trotz 80 PS geht es im Corsa nur recht zäh voran.
Was sein Herz angeht – nein. Der 1,2-Liter-Vierzylinder mit 86 PS kommt nämlich ebenfalls von Suzuki. Im Corsa steckt ein Opel-Aggregat mit 80 PS. Nur sechs PS Unterschied – trotzdem liegen zwischen den beiden Kleinwagen Welten. Vor allem in der Stadt fühlt sich das Opel-Original an, als beschleunige es mit angezogener Handbremse. Der Basis-Corsa wirkt untermotorisiert, obwohl er kürzer übersetzt ist als der Agila. Bei Autobahnrichttempo lärmt der Corsa mit mehr als 4000 Umdrehungen. Der Agila brummt bei gleicher Geschwindigkeit mit nur 3800 Touren. Noch deutlicher wird der Kontrast beim Beschleunigen von der Ampel weg. Wie langsam die Zeit vergeht im Corsa ... 4,6 Sekunden bis Tempo 50. Da fährt der kleine Bruder längst eine Nasenlänge voraus. Das gilt auch für die Höchstgeschwindigkeit und die Durchzugskraft beim Überholen – überall ist der Agila schon da, wo der Corsa erst hinwill. Oder erst gar nicht hinkommt. Wie zum Beispiel auf die Spitze von 175 km/h.
Na ja, Leistung ist nicht alles. Auch ein schwächerer Bruder kann durchaus der liebenswertere sein. Weil er mehr Verantwortung übernimmt in puncto Sicherheit oder einfach genügsamer durchs Leben geht. Hier schlägt die Stunde des Corsa. Denn er bietet die bessere Unfallversicherung. Kopfairbags sind in der Ausstattung Edition Serie, außerdem dynamische Kopfstützen, die bei einem Aufprall Schleudertraumata verhindern sollen. Den Schleuderschutz ESP besitzen beide Kleinwagen nicht in Serie, sondern nur gegen 360 Euro Aufpreis. Dabei gehört der – anders als Bordcomputer und beheizbare Außenspiegel (Serie beim Agila) – zum Pflichtprogramm. Ebenso wie eine Schaltung, die problemlos durch alle Gassen flutscht. Gerade die nervt beim kleineren Opel. Zwar sitzt der Hebel leicht erhöht, aber jedes Schalten begleitet ein knarziges Klacken. In einem Sportwagen mit offener Kulisse klasse. Aber hier? Völlig unsportlich und eher diffus arbeitet die Lenkung des Agila. Da vermittelt die Corsa-Lenkung ein besseres Gefühl. Gegen Aufpreis gibt es das Lenkrad sogar beheizt. Was für ein Luxus, in dieser Klasse!

Das Fahrwerk des Agila geht mit Unebenheiten gelassener um

Opel Agila 1.2 Edition
In Kurven neigt sich der Agila stark, Unebenheiten bügelt er aber souveräner aus als der Corsa.
Eher komfortabel sind auch die Platzverhältnisse im Fond. Leichter einsteigen lässt es sich in den Agila, bequemer sitzen aber im Corsa. Die Größe, die der Agila im Cockpit gerade noch vermittelt hat, verliert er im Fond. Plötzlich kommt auch das Festzeltdach dem Scheitel ziemlich nah. Im Kofferraum arbeiten beide Brüder mit den gleichen Tricks. Ein doppelter Boden sorgt für eine ebene Ladefläche, beim Volumen spielt der Corsa seine vier Meter Länge aus. Irgendwo müssen sich ja 26 Zentimeter mehr im Vergleich zum Agila auszahlen. Wenn schon nicht der längere Radstand den Federungskomfort positiv beeinflusst. Für einen Kleinwagen arbeitet der Corsa alle Unebenheiten hart ab. Der Agila geht mit Gullydeckeln und Fahrbahnrillen eine Spur gelassener um. Dafür neigt er sich mit seinem hohen Häuschen stark in Kurven. Ein aufrechter Gang wäre da entspannender für den Fahrer. Am Ende des Vergleichs behält der ältere Bruder Oberwasser. Vor allem durch einen größeren Kofferraum, mehr Zuladung und Sicherheit. Aber Agila ist agiler. Schön, dass der Opel-Nachwuchs so aufgeweckt ist.

Das Fazit von AUTO BILD-Redakteurin Margret Hucko

Die Rollenverteilung bei diesem Geschwisterpaar ist klar. Der Corsa übernimmt die Arbeit, indem er einpackt, zieht und mehr Platz anbietet. Der Agila ist quirliger und etwas weniger erwachsen eingerichtet. Die große Überraschung aber ist, dass der Corsa das Kostenkapitel vor dem Agila gewinnt. So bleibt der Große der Größte.
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Von

Margret Hucko