Wenn unsere Farbwahrnehmung auf 256 Graustufen zwischen Schnee und Schneematsch beschränkt bleibt, dann herrscht Winter. Und dann warten wir alle auf die ersten blühenden Krokusse, die ersten Miniröcke oder den ersten neuen Corolla. Der Corolla als Frühlingsbote? Klingt nach schwerer Winterdepression, muss aber spätestens seit dem 19. Januar 2002 ernst genommen werden. Der kompakte Japaner, der in den letzten 36 Jahren fast 30 Millionen Mal das Klischee der grauen Maus erfüllte, bekennt in der neunten Auflage endlich Farbe. Ob Fiat Stilo, Honda Civic, Opel Astra und Peugeot 307 gegenüber dem Corolla jetzt womöglich blass aussehen? Auf jeden Fall sorgt der Toyota in diesem Quintett für einen wohltuenden Aha-Effekt.
Toyota Corolla
Der Kurs stimmt: Der Spurwechseltest dem Japaner keine Probleme.
Der frische Fernost-Import wächst mit einer Höhe von 1,48 Metern ganz ungeniert in Richtung Van, erfreut uns dennoch mit einem markant-muskulösen Body. Vom ersten Rendezvous und von den optischen Qualitäten angetan, greifen wir zum soliden Bügelgriff und werden auch von den inneren Werten überzeugt. Aufgeräumt und aufgeschäumt, weckt das Cockpit auf den ersten Blick Wohlgefühl. Grauschleier war gestern, heute trägt Corolla stilsicher schwarzen Kunststoff der feinen Art. Silbrige Blenden (Serie im Linea sol) setzen dazu einen reizvollen Kontrast, während die schlicht-schönen Bedienelemente den Fahrer zu keiner Zeit vor Rätsel stellen. Einzige Störfaktoren: das nur höhenverstellbare Lenkrad, die zu weit links liegende Schaltung und die nicht regelbaren Optitron-Anzeigen (Hintergrund beleuchtet). Bei eingeschaltetem Licht am Tage bleiben die vier Instrumente nahezu unlesbar wie Verkehrsschilder im Nebel.

Bei übermütigen Fahrern piept es

Dafür verwöhnen die ebenso bequemen wie gut konturierten Sportsitze die Corolla-Crew mit langstreckentauglichem Komfort. In Verbindung mit dem untadeligen Platzangebot empfiehlt sich der Corolla als feiner Familientransporter mit durchaus elegantem Einschlag. Immer vorausgesetzt, die Kurzen wollen nicht ihr komplettes Spielzeugsortiment mit auf Tour nehmen. Denn der Kofferraum des Corolla fasst neben der Kinderkarre allenfalls noch eine Notration Pampers — die Konkurrenz schafft mindestens eine Reisetasche mehr. Zusätzlich sollte der Nachwuchs schüttelfest sein. Der straff ausgelegte Corolla nimmt feine Stöße noch gelassen, reicht Gullydeckel aber vernehmlich nach innen weiter — hier fehlt Feinabstimmung, treibt Toyota es ein wenig zu bunt.
Auf der anderen Seite beschert die sportliche Note des Fahrwerks dem Corolla ein untadeliges Handling. Die Aufbauneigung bleibt gering, der Spaß in Kurven dank der manierlichen elektrischen Servolenkung ebenso groß wie die Sicherheit dank elektronischer Straßenwacht VSC. Mit japanischer Zurückhaltung greift der Computer spät, dann aber hektisch piepend in den (Quer-)Verkehr ein und bringt übermütige Fahrer wieder auf Kurs. Weiteres Plus: Mit Bremsassistent ab Werk steht der Corolla aus 100 km/h nach 39,1 Metern — da kann, wiederholt gebremst, nur der 307 mithalten. Doch der Toyota stoppt nicht nur schnell, er glänzt auch bei der Beschleunigung mit Biss. Bis Tempo 160 kann ihm nur der Civic leicht davonziehen, erst beim Zwischenspurt muss der kultiviert-kräftige Vierventiler auch Astra und 307 vorbeilassen. Gleichmäßige Kraftentfaltung und akzeptable Drehfreude machen den 110 PS starken 1,6-Liter zum beliebtesten aller Corolla-Motoren.

Die Stilo-Stärke: Sicherheit

Fiat Stilo
Stämmiger Italiener: Der fünftürige Stilo sieht stattlich aus, bietet jede Menge Platz.
Für den italienischen Hoffnungsträger Stilo hieß es dagegen schon nach wenigen Wochen zurück zum Start. Den ausgesprochen wuchtig wirkenden und mit einem palastartigen Platzangebot gesegneten Fiat plagten in der Vorserie vor allem Qualitätsmängel. Die konnten die Turiner zwar nicht ganz ausräumen, sich bei der Verarbeitung aber von einer Drei plus auf eine glatte Zwei verbessern — weiter so.

Von Anfang an die Stärke des Stilo: die Sicherheit. Sechs Airbags (Frontbags zweistufig), ESP und narrensicheres Fahrverhalten bieten zuverlässigen Schutz. Nachsitzen müsste der clevere Bambini-Bomber mit der längs verschiebbaren Rückbank aber bei der gefühllosen elektrohydraulischen Lenkung, der schlecht gestuften Schaltung und vor allem beim müden 1,6-Liter. Wie 103 PS fühlt sich der Vierventiler in niedrigen Drehzahlen jedenfalls nicht an. Bei der Elastizität fährt er dem gesamten Feld hinterher und entwickelt trotzdem den größten Durst — mamma mia.

Der 307 protzt mit viel Raum

Mit mindestens ebenso wuchtiger Wirkung wie der Stilo, aber noch mehr innerer Größe und deutlichem Plus bei der Fahrfreude tritt der 307 an. Der gallische Golf, in dem es auch zu fünft nicht ungemütlich wird, bietet tatsächlich wenig Anlass zur Kritik. Die Vorderachse poltert unter Last zwar über Querfugen, dennoch überzeugt der Federungskomfort. Ähnliches gilt für den 1,6-Liter, der sich redlich müht und absolut ausreichende Fahrleistungen liefert — schließlich geht es hier um Familie, nicht um Formel 1.So verzeihen wir dem sehr agilen und dank ESP lammfrommen Franzosen auch die leicht hakelige Schaltung. Ebenfalls kaum als Golf-Gegner zu erkennen: der Civic, der sich mit gewaltigen 4,29 Metern ganz ungeniert Richtung Mittelklasse streckt.
Die enorme Beinfreiheit im Fond und das größte Gepäckabteil (wie Astra 370 Liter) sorgen aber dafür, dass wir das Fernost-Format schnell lieben lernen. Eine Liebelei, aus der dank des spontan-spritzigen 1,6-Liter-Motors und der knackigen Joystick-Schaltung ruck, zuck eine stürmische Affäre wird. Kernig knurrend sichern die 110 PS des Vierventilers dem Civic stets die Pole-Position, überraschen obendrein mit dem günstigsten Verbrauch — da darf die Konkurrenz ruhig neidisch werden. Weniger vorbildlich benimmt sich der zu sehr auf sportlich-straff getrimmte Civic beim Handling. Übermütig drängt das Heck bei Lastwechseln zur Seite und will mit der gefühllosen elektrischen Lenkung wieder eingefangen werden. ESP? Fehlanzeige. Genau wie eine vernünftige Sitzposition auf den spärlichen Polstern.

Astra: Kompakt und günstig

Opel Astra
Pylonen-Polonaise: Der sportlich-agile Astra genehmigt sich im Grenzbereich schon mal leichte Heckschwenks.
Als Klassiker fährt der 1998 gestartete Astra in die Arena. Einer, dem die modernen Möchtegern-Vans von Stilo bis 307 inzwischen zwar über den Kopf gewachsen sind, der aber wohltuend kompakt und eigenständig wirkt. Natürlich bleibt in ihm weniger Platz, hockt man auf der Rückbank unglücklicher als in den Mitstreitern, die in der Länge bis zu 18 und in der Höhe bis zu zehn Zentimeter mehr Blech bieten. Doch dafür glänzt der überraschend straff gefederte Astra mit einem sehr agilen Fahrverhalten, vermittelt dank direkter Lenkung und guten Sportsitzen (345 Euro) reichlich Spaß. Der beim Elchtest aber wieder aufhört. Hier kommt der Astra gern mal quer und wir ohne ESP in Bedrängnis.
Dass Opel den elektronischen Schleuderschutz erst ab 125 PS liefert, klingt nach Schildbürgerstreich. Schließlich lässt sich auch mit dem 1,6-Liter schnell, wenn es sein muss, zu schnell fahren. Obwohl bei stehendem Start der Letzte, macht der 101 PS starke Vierventiler beim Zwischenspurt Boden gut und überzeugt mit gezügeltem Durst. Zurückhaltung trägt Opel auch an der Kasse zur Schau. In netter Selection-Ausstattung kostet der Astra 1.6 16V faire 17.805 Euro. Kaum teurer: Honda Civic 1.6i LS für 17.844 Euro. Ein echter Preisschlager in diesem Feld ist der Fiat Stilo 1.6 16V Dynamic: 16.800 Euro. Deutlich höher rangieren die fein ausstaffierten Peugeot 307 1.6 Prémium (18.550 Euro) und Toyota Corolla 1.6 linea sol (18.300 Euro). Farbe zu bekennen hat eben auch im Automobilbau seinen Preis.

Technische Daten und Wertung

Fazit Größe, Komfort und Sicherheit bescheren dem Peugeot 307 erneut den Sieg. Die Überraschung aber liefert der neue Corolla auf Rang zwei. Ein ausgewogenes, stilsicheres Auto - mit bessserer Feinarbeit bei der Federung wäre sogar noch mehr drin gewesen. Der überarbeitete Stilo schiebt sich vor den ausgereiften Astra auf Rang drei. Während Fiat beim Platz punktet und beim Motor verliert, leistet sich der Opel weder besondere Stärken noch Schwächen. Der Civic kommt vor allem wegen seines heiklen Fahrverhaltens als Letzter ins Ziel.
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