Genau 7:29 Minuten – da liegt die Latte. Das ist die Rundenzeit auf der Nürburgring-Nordschleife, die Nissan mit seinem GT-R vorgelegt hat. Geht gar nicht, sagt Porsche und gesteht dem Rivalen nur 7:54 Minuten zu, seinem 911 Turbo aber 7:38. Mit Standard-Sprit und Standard-Reifen, ungedopt also, was bei Nissan angeblich nicht der Fall war. Und Audi? Hält sich raus – jawohl, keine offizielle Rundenzeit für den neuen R8 V10. Vielleicht aus Angst vor der Blamage, vielleicht aber aus der Einsicht, dass sich die Ring-Protzerei mittlerweile zu einer Art Wettpinkeln entwickelt hat. Letztlich belanglos. Denn erstens handelt es sich ja um – wenn auch supersportliche – Straßenautos. Und zweitens: Wer fährt schon auf der Nordschleife? Wir tun es, wenngleich aus höheren Motiven. An Bestzeiten ist ohnehin nicht zu denken, denn es ist wieder mal nass in der Eifel. Aber es geht um den Erkenntnisgewinn. Und da sind der Ring sowie die Straßen drumherum immer ein lohnendes Ziel, zumal mit diesen Autos und bei dieser brisanten Frage: Ist der Porsche 911 Turbo noch die Krönung? Oder muss er sich nun selbst einem Audi oder Nissan geschlagen geben?

Der Audi R8 ist zum deutschen Traumwagen schlechthin avanciert

Die grausame Realität lautet nämlich: Deutschlands Traumwagen Nummer eins ist heute kein Porsche, sondern ein Audi R8. Der könnte ebenso gut Lamborghini heißen – zehn Zylinder, 525 PS (45 mehr als der Turbo), Mittelmotor, Allradantrieb und ein Gewand, das nach Haute Couture aussieht. Und alles zum Porsche-Preis. Noch heftiger trifft die Attacke aus Fernost. Ein gemeiner Nissan namens GT-R mit dem optischen Charme einer Planierraupe will dem Ober-Elfer zeigen, wo der Hammer hängt. Ein Biturbo-V6-Coupé mit 485 PS, Allradler und Elektronikmonster mit Einstein-verdächtigem IQ. Technik vom Allerfeinsten zum halben Preis. Drei Interpretationen (Heck-, Mittel- und Frontmotor), ein Thema (maximales Tempo unter allen Bedingungen) und ein Problem: wo zuerst einsteigen? Wie magnetisch zieht es zum Audi. So sehen sonst nur italienische Exoten aus, wobei es nichts ausmacht, dass sich der V10 vom gewöhnlichen V8 sichtbar kaum unterscheidet (größere Lufteinlässe, andere Räder). Selbst in der PS-schwangeren Umgebung des Rings erntet der R8 Blicke wie Angelina Jolie in Unterwäsche. Innen herrscht dagegen die übliche Audi-Atmosphäre. Gediegen, entspannt wie in Limousinen, nur viel flacher. Erträglicher, kultivierter als sein Verwandter, der Lamborghini Gallardo, sollte er werden. Das ist gelungen.

Mit dem V10 ist Audi ein echter Prachtmotor gelungen

Audi R8 V10
Statt zu schreien, singen die zehn Zylinder schön wie ein Kirchenchor – harmonisch, auch mal energisch, aber stets gesittet. Wir stürzen uns ins Nordschleifen-Geschlängel. Spontaner Eindruck: alles halb so wild. Der R8 reißt sich nicht los wie ein Lambo, sondern legt sich sanft in die Zügel. So gleichmäßig klettert der 5,2-Liter die PS-Leiter hinauf, dass es einem zunächst nicht gerade die Sprache verschlägt. Aber er zieht, erst stramm, dann immer gewaltiger. Und spätestens bei 6000 Touren ist klar, dass der R8 V10 keinen Gegner zu fürchten braucht. Dabei hat er noch weitere 2700 Umdrehungen in petto. Ein Prachtmotor, keine Frage. Das perfekte Rezept für alle, die am R8 mit dem Achtzylinder bislang nur eines vermisst haben: mehr Dampf. Als V10 flößt er hier nicht weniger Vertrauen ein als sein 105 PS schwächeres Pendant. Unvermutet weich wirkt sein Chassis, aber er reizt zum Ausloten der Grenzen, reagiert dann sauber auf den Input des Fahrers. Leichtes Untersteuern dominiert. Doch gib ihm in den engeren Biegungen Stoff, und dank der heckbetonten Kraftverteilung lassen sich sanfte Drifts mit kleinen Lenkkorrekturen schön ausbalancieren – große Klasse, zumal die sensibel abgestimmte Elektronik und der Allradantrieb auf den schlüpfigen Passagen feuchte Hände erspart. Draußen auf der Landstraße beweist der Audi, dass er auch mit dem wirklichen Leben bestens fertig wird.
Sicher, auf engeren Passagen wirkt er zu breit, zu unübersichtlich. Aber der Komfort verblüfft, die adaptiven Dämpfer ("Magnetic Ride") wirken Wunder. Nur das optionale sequenzielle Getriebe ("R-Tronic") stört – die Schaltrucke lassen den Beifahrer nicken wie einen Wackeldackel. Schade, dass das DSG (Doppelkupplungsgetriebe) des V8 nicht in den V10 passt. Dennoch, die Botschaft ist glasklar: Fürchte dich, Porsche, fürchte dich sehr. Beim Nissan lehrt einem schon der bloße Anblick das Fürchten. Er reißt das Maul auf wie ein im Schlaf gestörter Pitbull. Massig steht er da, mehr Coupé als Sportwagen, Ofenrohre als Auspuff. Innen: Sachlichkeit ohne Nobelanspruch, zünftige Sportsitze, limousinenmäßig hohe Position. Auf dem Monitor lassen sich zahllose Diagramme abrufen: Infos über die momentane Querbeschleunigung, Lenkwinkel oder Öldruck im Getriebe – nirgends sonst ist die virtuelle Welt so beherrschend eingezogen. Ach was, der GT-R ist der Held aus diesem Parallel-Universum, der Star aus "Gran Turismo", dem beliebtesten Rennsport-Spiel der Welt. Nur dass du im echten kaum Zeit und genug Nackenmuskeln hast, die Anzeigen abzulesen. 

Im Nissan GT-R ist schnelles Fahren geradezu ein Kinderspiel

Nissan GT-R
Der Nissan nagelt die Passagiere in die Sitze, das Doppelkupplungsgetriebe sorgt für nahtlosen Schub – ohne Schaltpausen, ohne Gnade. Perfekt, dieses Antriebspaket, abgesehen davon, dass der V6 im Charakterfach wenig zu bieten hat. Keine erregenden Töne, stattdessen die Akustik einer Waschmaschine im Schleudergang. Aber es ist nicht nur die Wucht des Vortriebs, den es auszuhalten gilt. Auch in Kurven walten brutale Kräfte: Der GT-R klebt in der Spur, und zwar auch noch dann, wenn seine Widersacher schon aufgeben. Kein Untersteuern, kein Übersteuern, ob mit oder ohne ESP-Hilfe und egal wie schnell. Die präzise, reaktionsschnelle Lenkung lässt ihn scheinbar schwerelos über die Piste tanzen. Einen Kinderwagen durch den Park zu schieben benötigt mehr Fahrkönnen. Vorausgesetzt, die Strecke ist eben und trocken. Andernfalls mangelt es den Dunlop-SP-Sport-Reifen an Grip, das hohe Gewicht macht sich bemerkbar, und bei Bodenunebenheiten läuft der Nissan auch schon mal heftig aus dem Ruder. Da könnte dann auch mehr Feedback in der Lenkung nicht schaden. Vom Komfort ganz zu schweigen: Ausflüge in die Realität des Straßenbaus ahndet das Fahrwerk mit der Prügelstrafe, daran führt auch das Drücken der Komforttaste nicht vorbei. Da wird der Pistenheld zum Folterknecht.

Mit dem 911 Turbo werden vor allem talentierte Fahrer glücklich

Porsche 911 Turbo
Die Chance für den Porsche? Eine von mehreren, lautet die ehrliche Antwort. So geschmeidig wie der Audi federt er nicht, aber doch erheblich schonender als der Nissan. Ansonsten offeriert der 911 Turbo das Kontrastprogramm zum pistenoptimierten GT-R. Er bietet dem Grenzgänger am Lenkrad das Gefühl, gebraucht zu werden. Er belohnt die korrekte Handhabung, lässt sich in Kurven auf die Wünsche seines Herrn ein, fährt auch ganz gern mal quer und übt bei allen Aktionen die rege Zwiesprache zwischen Mensch und Maschine. Seine Lenkung kommuniziert besser, der Fahrbahnkontakt ist intimer, dank seines kurzen Radstands ist er handlicher – da macht ihm keiner der Herausforderer etwas vor. Und dieser Turbo-Bums, untermalt vom Boxer-Grummeln, ist immer wieder eine Gänsehaut wert. Auch der Umstand, nach alter Sitte mittels Kupplungspedal und Schaltknüppel die Gänge zu wechseln, kann Freude machen, zumal wenn die Sache so reibungslos funktioniert wie hier.
Dazu kommen die altbekannten Tugenden des Elfer (solide Machart, Verbrauch knapp zwei Liter weniger), und die Ehre des 911 Turbo ist gerettet. Er erweist sich als der Spaßmacher in diesem Vergleich, der potente Nissan als Pistenschreck mit ausgeprägtem Killerinstinkt. Der Audi ist Gentleman-Sportler mit Mumm und Manieren. Ein absolut himmlisches Trio. Vorausgesetzt, wir reden nicht über Preise, sondern über Rundenzeiten.
Wie das Duell zwischen den drei Supersportlern ausgegangen ist, erfahren Sie in der Bildergalerie. Den kompletten Vergleich mit allen technischen Daten und Tabellen gibt es als Download im Heftarchiv.

Fazit

von

Wolfgang König
Die Platzhirsche müssen sich warm anziehen: Für den Preis gibt es nichts, was dem Nissan GT-R auch nur nahekommt. Ein Pistenschreck, der dem Establishment eiskalt die Auspuffrohre zeigt. Selbst dem 911 Turbo. Dennoch: Wer sich einen Sportwagen mit Seele wünscht, der dürfte sich eher für den Audi oder den Porsche erwärmen. Der R8 V10 begeistert mit sinnlichen Reizen, der 911 Turbo hofiert den engagierten Fahrer. Aber sind sie deshalb gleich doppelt so viel wert? Ganz klar: Sie sind es nicht.

Von

Wolfgang König