Früher waren die Rollen klar verteilt. Papi fährt mit dem Golf zur Arbeit, und Mama bringt die Kleinen im Polo zur Schule. Im Golf wollte man fahren, im Polo musste man. Der Kleine bot langweilige Optik, wenig Platz und brave Technik. Kein Wunder, dass der Golf auch 2008 bei uns weit beliebter war (231.293 Zulassungen) als der Polo (71.952). Doch im Februar 2009 war der alte Polo dank Abwrackprämie so gut wie ausverkauft. Jetzt steht der neue Polo bereit – wird er den Golf vom Thron stoßen? Wir haben das Bruderduell Punkt für Punkt durchgerechnet.

Optisch liegt der neue Polo ein kleines Stück vor seinem Bruder Golf

Design und Sexappeal Der Golf-Effekt wirkt. Erst mussten wir uns gewöhnen, jetzt kann er gefallen. Geschärfte Front, eckige Rückleuchten. Die lackierten Türgriffe gehören eigentlich an einen Design-Kühlschrank. Im direkten Vergleich wirkt der neue Polo trotzdem deutlich strammer. Flacher und breiter, der Kastenlook ist weg. Mit der kraftvollen Schulterlinie und vielen messerscharfen Lichtkanten wirkt der Polo wie aus dem Vollen geschnitzt. Das winzige Dreiecksfenster lässt die C-Säule wie eine muskelbepackte Armbeuge aussehen. Die Frontlippe mit dem riesigen Kühlergrill schiebt sich aerodynamisch nach vorn, als wollte der neue Polo mit den Zähnen fletschen. Das knackige Heck mit den sündigen dunkelroten Rückleuchten hat Extra-Punkte verdient. 1:0 für den Polo.

Der Golf bietet mehr Leistung und mehr Platz bei gleichem Verbrauch

Motoren und Umwelt  Beim Antrieb rangiert der Polo eine ganze Etage tiefer. Bislang gibt es den Neuling nur mit 60 bis maximal 105 PS, den 170 PS starken Polo GTI wird VW erst im Herbst 2009 nachlegen. Dagegen bietet der Golf die größere Auswahl (80 bis 210 PS). Vergleichen wir doch einmal die trendigen Sparversionen: Mit 90 PS ist der Polo 1.6 TDI BlueMotion dem Golf BlueMotion (105 PS) klar unterlegen. Der Golf schafft 190 km/h Spitze, der Polo bloß 180 km/h. Ohne dabei auch nur einen Liter sparsamer zu sein. Für beide gibt Volkswagen einen Schnitt von 3,8 Liter/100 km an. Der Golf bietet also mehr Leistung und mehr Platz bei gleichem Verbrauch. Die Spartechnik mit Start-Stopp-Automatik und Bremsenergie-Rückgewinnung folgt erst später im Jahr. Ab 2010 kommt der Polo 1.2 TDI BlueMotion auch mit Start-Stopp-Technik. Verbrauch: nur 3,3 Liter. Trotzdem siegt der Golf. Es steht 1:1.
Technik und Sicherheit Der Polo ist so sicher wie ein Golf. Fünf Sterne im Euro-NCAP-Crashtest – mehr geht nicht. Die Grundausstattung ist vollständig, als Option sind für den Viertürer sogar seitliche Airbag-Vorhänge, das moderne 7-Gang-DSG-Getriebe und Reifendruckanzeige (Serie ab Comfortline) zu bekommen. Wer braucht da noch den Golf? Okay, vielleicht für den Innovationsschnickschnack, der ohnehin extra kostet: Zunächst bleiben Rückfahrkamera, Abstandsradar und Park-Assistent dem Golf vorbehalten. Polo-Fahrer werden es eher nicht bedauern. Es steht 2:1 für den Polo.

Auf den hinteren Plätzen reist es sich im Golf deutlich komfortabler

VW Golf VI BlueMotion
Das setzt Maßstäbe: In der Kompaktklasse liegt das Golf-Interieur weit vorne.
Innenraum und Komfort
Der Polo hält trotz seines Wachstums (auf 3,95 Meter) klaren Respektabstand zum 28 Zentimeter längeren Golf. Vorn ist das nicht zu spüren. Ich habe in beiden VW meine Fahrersitzposition eingestellt und nachgemessen: Vorn bleiben elf Zentimeter Kopffreiheit im Golf, stolze neun beim Polo. In der Innenraumbreite bietet der Golf vorn zwar acht Zentimeter mehr, allerdings ist die Mittelkonsole deutlich breiter. Der Golf fühlt sich luftiger an, ohne überlegen mehr Platz zu bieten. Für Fahrer und Beifahrer ist der Polo groß genug. Im Fond sieht das anders aus. Zwar hat die Kniefreiheit im Polo dank ausgeformter Frontsitzlehnen gewonnen, doch auf Langstrecken bietet die breitere Bank im Golf deutlich mehr Komfort. Zu dritt möchte ich im Polo-Fond keine Langstrecken fahren. Auch beim Kofferraumvolumen muss sich der Polo eindeutig geschlagen geben: Der Golf bietet 350 bis 1305 Liter, der Polo bloß 280 bis 952 Liter. Das ist der Unterschied zwischen Single- und Familienurlaub. Es steht 2:2.
Kosten Klare Sache – kleines Auto, kleine Kosten. Bereits ab 12.150 Euro ist der VW Polo 1.2 Trendline (60 PS) als Dreitürer erhältlich. Wer zum billigsten VW Golf 1.4 Trendline (80 PS) greifen will, muss mindestens 16.500 Euro auf den Tisch des Hauses blättern. Die Preise für den neuen Polo und den neuen Golf BlueMotion werden mindestens 5000 Euro auseinanderklaffen. So holt er sich den Sieg mit dem knappen Endergebnis: 3:2 für den neuen Polo.

Fazit

von

Oliver Lauter
Der neue Polo gewinnt mit knappem Vorsprung, allerdings nur, wenn man die Rückbank nicht dauernd zu dritt braucht. Deshalb ist der Golf das vollwertigere, aber auch deutlich teurere Auto. Äußerlich hat der Polo den Respektabstand gewahrt, doch bei Sicherheit, Technik und Qualität kommt er dem Golf sehr nahe. Gut möglich, dass künftig mehr Männer ins einstige Frauenauto umsteigen.

Von

Oliver Lauter