Wenige Wochen erst sitzt Thomas Schäfer auf dem VW-Chefsessel – und macht gleich mit einem Paukenschlag auf sich aufmerksam. Nicht mit dem, was er gesagt hat, sondern vielmehr mit dem, was er nicht gesagt hat.
In einem Interview hat es Schäfer vermieden, ein klares Bekenntnis zum Golf abzugeben. Genauer gesagt zum Golf 9.
Auf die Frage, ob der aktuelle Achter der letzte Golf sei, wich Schäfer aus: "Wir werden uns anschauen müssen, ob es sich lohnt, ein neues Fahrzeug zu entwickeln, das nicht mehr die vollen sieben oder acht Jahre Laufzeit erreicht. Das wäre extrem teuer."

Entwicklungskosten steigen immer weiter

Teuer vor allem deshalb, weil die Entwicklungskosten immer weiter steigen, die geplante Euro-7-Abgasnorm könnte mit 3000 bis 5000 Euro zu Buche schlagen – pro Auto. Das lässt sich selbst in der mittlerweile alles andere als günstigen Kompaktklasse kaum vertreten.
Dazu kommt: Die Nachfrage nach dem einstigen Selbstläufer geht zurück, und zwar nicht nur wegen Corona und Ukraine-Krieg: Kleinwagen und SUV laufen dem Kompakten den Rang ab, Qualitäts- und Softwareprobleme haben am Ruf gekratzt.
Im ersten Quartal 2022 musste der VW Golf seinen angestammten ersten Platz in der europäischen Zulassungsstatistik dem Peugeot 208 überlassen.
Hauptgrund für Schäfers Zögern aber dürfte sein: Volkswagen hat sich der E-Mobilität verschrieben, will so schnell wie möglich vom Verbrenner loskommen.
Turnusmäßig würde der neue Golf 2027 starten, theoretisch bis zum von der EU geplanten Verbrenner-Verbot 2035 laufen. Schäfer aber sieht die Zukunft in den ID.-Modellen, an dieser Konzernstrategie wird sich auch nach Diess’ Weggang nichts ändern.

ID.3 übernimmt Rolle des Elektro-Golf

Die wichtige Frage dabei ist: Will sich VW mit dem Golf ganz aus der Kompaktklasse verabschieden? Sicher nicht. Schon heute soll der ID.3 die Rolle des inzwischen eingestellten Elektro-Golf übernehmen, ein 4,30-Meter-Auto aus Wolfsburg wird es immer geben – auch wenn es nicht mehr Golf heißen sollte. (VW ID.3: alles, was zum Elektroauto von VW wichtig ist)
Das Experiment, einen etablierten Namen auszutauschen, ist allerdings gewagt, Toyota beispielsweise hat den Wechsel vom Corolla zum Auris schnell wieder rückgängig gemacht.
Andererseits liefert VW selbst das beste Gegenargument: Anfang der 70er-Jahre entschieden sich die Wolfsburger Manager nach langem Hin und Her dafür, eine in die Jahre gekommene, technisch veraltete Baureihe durch eine komplett neue, moderne zu ersetzen – aus dem Käfer wurde der Golf.
Noch ist das Aus nicht beschlossen, Thomas Schäfer sagt: "In zwölf Monaten wissen wir mehr."

Von

Michael Gebhardt