Schon seltsam! Unser spannendster Vergleich läuft seit zwei Jahren, trotzdem fast im Stillen: Golf gegen A-Klasse. Zwei Bestseller, gleich stark, die fast zeitgleich zum Dauertest antraten und nun gemeinsam ihr Zwischenzeugnis über 100.000 Kilometer bekommen. Darin steckt eine kleine Sensation: Gewann der VW bislang jeden Vergleich gegen den Mercedes, sieht der Stand im (weiterlaufenden) Dauerduell anders aus: Einser-Kandidat ist der Stern. Zu Beginn waren die Rollen klar verteilt. Wer aus dem Fuhrpark den Golf 1.4 TSI (mit DSG, vier Türen, aber ohne Schnickschnack) bekam, hinterließ im Fahrtenbuch reichlich Lob über die bekannten Vorzüge: Sitze, Fahrleistungen, Motor, Lenkung, Bedienung. "Ein klasse Reisewagen. Für zeitloses Design und sinnvolle Handhabung hätte der VW den Stern verdient", so Tester Diether Rodatz.
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Der Golf frisst seine Reifen im Eiltempo

VW Golf VII Highline 1.4 TSI
Schlechte Straßen verarbeiten beide nur polterig. Und wer hinten mitreisen soll, wählt Golf: Der hat auf der Rückbank viel mehr Platz.
Doch bald gab es erste Misstöne. Erst fiel die Fensterheber-Automatik aus, dann wurde das Display dunkel. Am nächsten Morgen war der Fehlerteufel weg, leichtes Misstrauen aber blieb. Etwa dann, wenn die Routenberechnung im Navi endlos dauerte. Der Wassereinbruch im Fußraum nach 37.037 Kilometern, der nur bei frühen Serienautos auftrat, ließ unseren Reifen-Experten Henning Klipp urteilen: "Viele kleine Mängel – als Neuwagenbesitzer wäre ich enttäuscht." Das Fahrwerk, ausgeglichen und souverän, spricht nur bei ruppigen Schlägen unsensibel an, auf der Autobahn passt es wieder. Dem Direktschaltgetriebe fehlt die Geschmeidigkeit beim Herunterschalten und beim Anfahren. Vor der Ampel, wenn der Motor aus war, lassen der Neustart und ruckeliges Einkuppeln den Golf loshüpfen, als säße ein Fahranfänger am Steuer. Nach 81.121 Kilometern wechselt die Werkstatt das Getriebeöl und spielt dem Start-Stopp-System ein Update auf. Der Golf verbraucht über 100.000 Kilometer 7,3 l/100 km, einen Liter weniger als der A 180, muss nur drei- statt viermal zum Service, frisst dafür seine Reifen (Michelin Energy Saver) im Eiltempo. Sie halten nur halb so lang wie die Contis der A-Klasse.

Vorwurf: Der A 180 ist "unbenzig"

Mercedes A 180 BE
"Der fahrende Sehschlitz", so das Fahrtenbuch über den A 180, ist mehr Coupé als Kompakter. ­
Dafür hat der Mercedes bei den Fahrern den schwereren Stand, weil er die traditionellen Markenwerte vermissen lässt: "Der A 180 ist nicht wie gewohnt zeitlos, funktional oder komfortabel", meint Kollege Lars Busemann. "Der ist unbenzig!" Wie ein roter Faden ziehen sich Skepsis und Alltagskritik durchs Fahrtenbuch: die Materialqualität nicht standesgemäß, Sitzposition nicht perfekt. Überhaupt, die Sicht. "Ganze Landstriche versinken im toten Winkel", moniert Redakteur Stephan Puls. Das Urteil hängt stark von Einsatz und Eingewöhnung ab. Die Federung, auf schlechten Landstraßen als "Poltergeist" tituliert, verwöhnt auf der Autobahn. Dem einen passen die Integralsitze, der nächste fürchtet Haltungsschäden durch die vorstehende Kopfstütze. Und der Benziner muss durchs Turboloch bei 2000 Umdrehungen getreten werden, bis er leise und flott über die Autobahn zieht. Ganz sachlich wird bemängelt, dass der Ölpeilstab schlecht erreichbar liegt oder bei Aufleuchten der Reservelampe die Restreichweite erlischt. Ein hydraulischer Haubenaufsteller fehlt, die Teppiche sind schwer zu reinigen. Mit der Zeit trauen sich auch Befürworter aus den Büschen und notieren "eine Lenkung, die in sich ruht", oder die "leichtgängige Handschaltung, die nicht hakelt. Das gab's noch nie bei Mercedes!"
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Revanche für den Golf: Das Bestseller-Duell geht weiter

Als AUTO BILD nach 75.848 Kilometern zur Wartung vorfährt, hat der Betrieb trotz vorheriger Terminabsprache keine passenden Zündkerzen parat. Die sind angeblich in ganz Hamburg nicht aufzutreiben – also am nächsten Tag nochmals hin. Ärgerlich, aber es bleibt der einzige außerplanmäßige Werkstattbesuch. Der A 180 schnurrt ansonsten fehlerfrei durch die 100.000 Kilometer, übertrifft mit der Note 1– sogar seinen Rivalen Golf (der bekommt eine 2+) und beweist am Ende doch eine alte Mercedes-Tugend: Zuverlässigkeit. Die A-Klasse mag anspruchslosere Technik an Bord haben als der Golf, ist vielleicht kein Kompakter im klassischen Sinn, sondern "ein großes Missverständnis, das eine tiefe Modellpflege braucht", wie im Fahrtenbuch steht – aber sie funktioniert reibungslos. Und so fehlerfrei, dass sie in unserer Rangliste auf Platz zwei landet. Der Golf auf Rang sechs bekommt seine Revanche, denn das Dauerduell der beiden Bestseller geht weiter. Ende offen. Golf und A-Klasse sammeln weiter Kilometer, bei beiden ist schon wieder genug passiert. Es bleibt also spannend.
Überblick: Alle News und Infos zum VW Golf und zur Mercedes A-Klasse
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Fazit

von

Joachim Staat
Mercedes vor VW! Der Newcomer vor dem Klassenprimus – das beunruhigt alle: Die Golf-Kunden, die für ihr Geld mehr Zuverlässigkeit erwarten. Und VW, weil der Bestseller nicht funktioniert, wie er soll. Mercedes muss der A-Klasse dringend eine Modellpflege wegen Detailmängeln schenken. Und ihre Käufer fragen sich: Warum kostet mein Auto im Unterhalt so viel mehr?

Von

Manfred Klangwald
Joachim Staat