VW Golf R 20 Years on the rocks, Preis, PS, Supertest
Dieser Golf ist ein echter Geburtstagskracher
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Der Golf R 20 Years ist der stärkste Serien-Golf, den Volkswagen je gebaut hat. Auf dem der Nordschleife hat er dem R Performance noch einmal 4 Sekunden abgenommen. Wir sind ihn auf dem Sachsenring gefahren und haben ihn fürs Video aufs Glatteis geführt.
Bild: AUTO BILD
Zum Geburtstag werden die einen raushauen – was richtig Krasses! Dachten wir, als wir vom Sondermodell zum 20. Jubiläum des Golf R erfuhren. Wir träumten von leer geräumtem Innenraum, Vollschalen, Bügel, Carbonhaube, 100-Kilo-Diät und mindestens 400 PS im Zweiliter-Turbo.
Doch Sie sehen es schon, daraus wurde nichts. Vorbei die Zeiten, wo VW so wilde Biester wie den Beetle RSI und GTI W12-650 auf die Beine stellte. Selbst der erste R, der R32 (3,2-Liter-V6, 241 PS), war in unseren Augen kompromissloser für damalige Zeiten. Beim 20 Years gibt es lediglich ein paar Liter R-Blau für Räder und Spiegel, neue Semislicks, 13 PS mehr, eine geänderte Getriebeapplikation und innen ein bisschen Echtcarbon, das war es.
Und, jetzt kommt’s, man muss sogar noch für Extras wie die Akrapovicˇ-Tüten, Adaptivfahrwerk und Semis Aufpreis zahlen. Also bitte, liebe VWler, bei einem Grundpreis von knapp 60 000 Euro muss das nicht sein. Vor sechs Jahren ging das noch anders, der Golf 7 GTI Clubsport S hatte alles serienmäßig an Bord, es gab keine Extras, das Auto war radikal, sogar mit Nordschleifen-Modus. Und es kostete nur, halten sie sich fest, 40.000 Euro.

Mit zart schwänzelndem Heck und irrem Vorderachsgrip wedelt der Golf auf Niveau der ganz Großen durch den 18-Meter-Slalom.
Bild: Ronald Sassen / AUTO BILD
Okay, wir wissen natürlich, dass sich die Zeiten seither massiv geändert haben, VW einige Krisen durchstehen musste und so weiter … Und wenn Sie jetzt denken, der Naumann hackt nur auf dem Auto und VW herum, dann irren Sie sich. Ich bin natürlich froh, dass es solche Leute wie Entwickler und Rennprofi Benny Leuchter und seine Chefs Karsten Schebsdat und Jan Schiedek-Jacht gibt, die alles möglich machen, damit es so einen Golf R überhaupt noch gibt. Denn der ist in seiner normalen Version schon der Hammer.
Schnellster R aller Zeiten
Was die Jungs da vor einem Jahr präsentierten, machte uns und die Konkurrenz sprachlos. Torque Splitter, Drift-Mode, Nürburgring-Setup – in einem Golf, der Wahnsinn! Genau wie die Rundenzeiten, Sachsenring 1:37,52 Minuten, Civic, Leon und Mégane gebügelt. Auf der Nordschleife? 7:51 Minuten! Schnell, aber kein Rekord bei den Kompakten, den hält der deutlich stärkere RS 3 mit 7:35 Minuten. Auch mit dem 20 Years reichte es mit 7:47,31 Minuten "nur" zum schnellsten R aller Zeiten.
Nicht etwa schnellster Golf? Nein, 2016 brannte Werksfahrer Benny Leuchter eine beeindruckende 7:47,19 Minuten in den Asphalt. Wo ist der Fortschritt beim aktuellen Auto, fragen Sie sich? Das Thema haben wir jetzt zur Genüge diskutiert. Befassen wir uns lieber mit dem, was wir haben: dem Golf R 20 Years.

60.000 Euro und dann so ein liebloser Motorraum.
Bild: Ronald Sassen / AUTO BILD
Wie der bisherige R ist er auf den ersten Blick ein normaler Golf mit Schürzen und Spoilern im R-Line-Look. Erst auf den zweiten Blick erkennt man ein paar Unterschiede zur Stangenware und zum Golf R Performance. Zum Beispiel die blau lackierten 19-Zöller und die "20" auf der B-Säule. Am Dachspoiler erkennt man das serienmäßige Performance-Paket mit den zusätzlichen Fahrprogrammen "Drift" und "Special". In Sachen Optik außen war es das, leider. Innen gibt es Ledersportsitze und Echtcarbon an der Armaturentafel, aufpreisfrei.
Was hat sich im Verborgenen getan? Der Jubiläums-R hat mit 333 PS mehr Dampf und laut VW auch ein besseres Ansprechverhalten als die Standard-Version mit 320 PS. Was hat es damit auf sich? Für die Mehrleistung ist wahrscheinlich der Dreh am Ladedruck und an der Elektronik verantwortlich. Wie bei echten Rallye- und Rennwagen hat man zudem eine Art Antilag-System verbaut. Auf Deutsch: Der Turbolader wird immer am Laufen gehalten, kann so bei einer Beschleunigung schneller seine Kraft entfalten.
FAHRZEUGDATEN
VW GOLF R 20 YEARS
Motorbauart
Aufladung
Einbaulage
Ventile/Nockenwellen
Hubraum
kW (PS) b. 1/min
Literleistung
Nm b. 1/min
Getriebe
Antriebsart
Reifentyp
Maße L/B/H
Radstand
Tank-/Kofferraumvolumen
Normverbrauch • CO2
Abgasnorm
Preis
Testwagenpreis
In Schubphasen bleibt die Drosselklappe geöffnet. Bei schneller Gaswegnahme und wieder Vollgas ermöglicht das einen schnelleren Aufbau des Drehmoments. Beim Getriebe, das in der Hardware unangetastet blieb, hat man die Schaltcharakteristik verändert. Quasi eine elektronische Applikation, die in den Sport-Programmen ein intensiveres Feedback geben soll. Besser gesagt: Es soll ordentlich rucken beim Schalten. Checken wir gleich.
Der Golf R kann auch sparsam
Kommen wir vorher noch kurz zu den Reifen. Serienmäßig steht der 20 Years auf Bridgestone Potenza Sport S005 in 235/35 R 19. Optional gibt es für 1000 Euro Semislicks. Gab es beim bisherigen R auch, nur waren das Michelin Cup 2. Bei Leuchters aktueller Nordschleifenrunde setzte man erstmals den neuen Bridgestone Potenza Race ein. Genau der Pneu, der vor einigen Ausgaben hier bei uns den Semislick-Vergleich gewonnen hat.

Erstmals gibt es Echtcarbon-Interieur.
Bild: Ronald Sassen / AUTO BILD
Ab auf die Straße, mal sehen wie sich das neuen Motor-Mapping und die Schaltung anfühlen. Der 20 Years lässt sich genauso problemlos in den Alltag hineinsoften wie der normale R Performance. Fahrwerk, Lenkung, Auspuff auf zivil, und schon lümmelt er kreuzbrav durch die City und verbraucht dabei noch nicht einmal die Welt. Zehn Liter bei spaßigen Ritten, siebeneinhalb bis achteinhalb bei sorgsamer Sohle. Was will man mehr?
Das Auto lenkt wie gewohnt sehr leicht und komfortabel ein, in den Sport- und Race-Modi freilich etwas härter, wirft keinerlei Antriebseinflüsse ins Volant. Die elektronische Sperre und das Plus an Negativsturz vorn sind überaus erfolgreich in der Bekämpfung von Untersteuern. Grip ist sowieso im Übermaß vorhanden, das ist nichts Neues. Das Torque-Vectoring-Allradsetup massiert jegliche Plumpheit und Frontlastigkeit aus den Waden. Das wirkt alles ziemlich neutral und ist dennoch extrem agil.
MESSWERTE
VW GOLF R 20 YEARS
Beschleunigung
0-50 km/h
0-80 km/h
0-100 km/h
0-130 km/h
0-180 km/h
0-200 km/h
0-250 km/h
0-402,34 m (Viertelmeile)
Elastizität
60-100 km/h im 4./5. Gang
80-120 km/h im 5./6. Gang
80-120 km/h im 7. Gang
Bremsweg
100-0 km/h kalt (m/s²)
100-0 km/h warm (m/s²)
200-0 km/h warm (m/s²)
Testverbrauch
Ø auf 100 km
Reichweite
Die zusätzlichen 13 PS im EA888-Evo4-Zweiliter-Vierzylinder-Turbo spürt man ehrlich gesagt null. Das Aggregat ist und bleibt ein Durchzugsmonster mit viel Drehzahlfreude. Die Doppelkupplung gefällt wie immer im Alltag mit schnellen und weichen Schaltvorgängen. In den Performance-Programmen ist der manuelle Modus auch wirklich manuell, man darf gern am Begrenzer bei Sechsfünf hängen bleiben. Und wenn man am kleinen Schaltknubbel in der Mittelkonsole drückt, dann geht’s mit S+ oder M+ noch krasser zur Sache.
Gute Ideen, nicht immer perfekte Umsetzung
Dann drückt er die Gänge noch etwas rabiater ins nächste Ritzel und lässt sich auch früher aufs Runterschalten ein. Da kann man auch mal beim Gangwechsel in besagtem Begrenzer landen. Und nun kommt’s. Beim 20 Years wurde zusätzlich eine Art "Schaltruck" in die Getriebeelektronik appliziert.
Vielleicht kennen Sie das von Lamborghini, wenn beim Schalten der Kopf nach vorne und hinten nickt. So in etwa muss man sich das bei diesem Golf vorstellen. Leider funktioniert das nur zufriedenstellend, Schulnote drei bis vier. Es fühlt sich unecht an, eher aufgesetzt. Schade, die Idee war gut, die Umsetzung ist nicht optimal.

Das Gewicht ist überraschenderweise bis aufs Gramm identisch mit dem letzten Golf 8 R im Supertest.
Bild: Ronald Sassen / AUTO BILD
Kommen wir zur Längsdynamik. Mit den 13 PS erwarten wir keine neuen Bestwerte. Und so ist es dann auch, dieser R lässt sich trittvoll davonprügeln, die Launch Control arbeitet so exakt und feinfühlig wie die bei Porsche. 4,5 und 17,0 Sekunden auf 100 und 200 sind aller Ehren wert, das muss ihm erst mal einer seiner Konkurrenten nachmachen. Verzögerung?
Hier hat der Supertest des normalen Golf R schon aufhorchen lassen. 30,5 Meter aus 100, das schaffte noch keiner in der Golf-Klasse. Mit dem Bridgestone Race bremst das Sondermodell ähnlich gut, bleibt aber ein paar Zentimeter später stehen als der R mit Cup-2-Reifen.
Auf die Rennstrecke
Kommen wir zum alles entscheidenden und wichtigsten Kapitel, der Rennstrecke. Wir hatten es anfangs schon aufgedröselt. Der normale R Performance hat letztes Jahr schon ziemlich alles in Grund und Boden gefahren. Nicht nur die Rundenzeit von 1:37,52 Minuten beeindruckte, sondern auch, wie der Golf die Runde zelebrierte. Mit viel Witz, auskeilendem Heck, Druck von der Hinterachse, einfach unglaublich für einen Golf. Kaum zu glauben, dass das noch besser gehen soll. Vier Sekunden auf der Nordschleife, was bringt das hier am Sachsenring? Ein paar Zehntel?
Sachsens kleine Nordschleife, da fährt man natürlich auch im Special-Nürburgring-Modus. Im Fahrwerks-Setup etwas weicher, nachgiebiger, dazu auf der Hinterachse je nach Bedarf etwas mehr Power aufs kurvenäußere Rad. Und der Sonder-R zeigt sich gleich in der ersten Runde von seiner gewohnten Seite: akkurat, verbindlich, sauber rückmeldend und derart fein ausbalanciert, dass er sich auf den Zentimeter genau positionieren lässt. Und das Heck wedelt freudig mit, anstatt nur zu folgen.

Räder und Spiegel mit blauen Akzenten, das war’s. Ein bisschen mehr optischer Krawall hätte es schon sein können.
Bild: Ronald Sassen / AUTO BILD
Runde zwei, der Potenza Race ist auf Betriebstemperatur, und der Golf haut einen raus, dass einem Hören und Sehen vergehen. Im Vergleich zum Supertest-Golf-R mit Michelin Cup 2 lenkt der Jubilar noch einen Tick bissiger an, noch williger ein, dreht das Heck auf Kommando nur noch hauchsanft mit und macht auch sonst einfach alles richtig.
Der Getriebe-Ruck sowie das geänderte Turboladerverhalten fallen unter diesen Bedingungen kaum ins Gewicht, das Powerplus sieht man maximal in der Auswertung der Rundenzeiten mit etwas mehr Topspeed auf dem schnellen Bergabstück. Obwohl man das auch der engeren Linie mit den neuen Semislicks zuschreiben könnte.
Summa summarum: Es fühlt sich subjektiv in jeder Ecke noch mal deutlich schneller an. Auf jeden Fall flotter, als uns letztendlich unser Messcomputer anzeigt. 1:36,82 Minuten sind dennoch sensationell, schneller als ein 450 PS starker M4 Competition (2017). Vor drei Jahren taumelte so ein Golf 7 R mit Semislicks noch bei 1:39 Minuten herum. Aber: Wir hoffen mal auf Leuchter, Schebsdat und Co, dass die Herren doch bitte noch mal Stift und Papier in die Hand nehmen und noch mal so einen Golf raushauen wie 2016!
Fazit
Mit neuen Semislicks und dem kleinen Powerplus liefert der Jubi-R eine schlicht sensationelle Querdynamik. Dennoch hätten wir uns noch mehr Mut und Radikalität gewünscht und einen Preis, der zum Golf passt.
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