Für viele verkörpert der VW Polo den wahren GTI-Geist. Auch der Golf GTI Performance muss sich am Ende dem agilen Bruder geschlagen geben.
Über die Jahre hat sich der VW Polo GTI immer vorwitziger an seinen großen Bruder Golf GTI herangepirscht. Ernsthaft angreifen durfte er den legendären Bruder jedoch nie: Die Motoren waren kleiner dimensioniert, die Querdynamik zahmer, und der Respektabstand blieb damit zu jeder Zeit gewahrt. Für immer? Nein, denn während der Golf GTI (Generation VII) im letzten Jahr vor seiner Ablösung steht, rückt der zum Jahresanfang 2018 präsentierte Polo GTI mit seinem baugleichen Zweiliter-TSI bei nur 30 PS geringerer Leistung und 30 Nm weniger Drehmoment nun dichter als je zuvor an ihn heran!
Der neue Golf GTI steht quasi schon in den Startlöchern
Video: VW Golf GTI vs Up GTI vs Polo GTI (2018)
Welcher ist der beste GTI?
Einzige Chance für den Golf GTI: Er tritt fortan nur noch als stärkeres Performance-Modell mit 245 PS und 370 Nm an. Die alte Basisversion mit 230 PS – ohne mechanische Differenzialsperre – hat VW dagegen aus dem Programm genommen. Zur sportlichen Vervollständigung fehlen dem Performance nur noch die 18-Zöller für faire 655 Euro und die Adaptivdämpfung (1045 Euro). Die Qual der Wahl hat man dagegen beim Getriebe: flinkes 7-Gang-DSG für 2025 Euro oder flutschige 6-Gang-Handschaltung? Wer die letzten Zehntel sucht und seinen GTI häufiger auf der Autobahn bewegt, wird die siebte Welle schnell zu schätzen wissen. Traditionalisten erfreut dagegen der markante Golfball-Knüppel der Handschaltung, der leichtgängig und sehr präzise durch die sechs Gassen dockt. Das DSG des Polo GTI hat einen Gang weniger; eine Handschaltung ist seit Kurzem ebenfalls im Angebot. Wie beim Golf sind 18-Zöller und variable Dämpfer optional. Eine vollwertige, mechanische Vorderachssperre gibt es nicht, dafür aber ein System, welches über Bremseingriffe eine solche simuliert. Reicht das, um den großen Bruder endlich abzufangen?
Leider lässt VW den 2.0 TSI im Polo nicht ganz von der Leine
Der macht Laune: Im Sprtint und auf dem Sachsenring ist der Polo GTI seinem großen Bruder ebenbürtig.
Beim Sprintduell aus dem Stand mit Launch-Control-Start hält der leichtere Polo bis 100 km/h locker mit dem stärkeren Golf Schritt. Jenseits dieser Marke enteilt er ihm allerdings mit jedem Gang Meter um Meter. Bis 200 km/h liegen gut sechs Sekunden zwischen beiden. Während der Golf ab diesem Punkt noch recht willig bis zu seiner Abregelung bei 250 km/h marschiert, braucht der Polo wesentlich mehr Anlauf, um seine Endgeschwindigkeit von 237 km/h zu erreichen. Spurensuche: Obwohl der Polo gut 140 Kilo weniger auf die Waage bringt, lähmen die elektronische Drosselung seines Drehmoments und der längere sechste Gänge den Drang zur Spitze spürbar, auch wenn man beide VWs dank ihres fülligen Drehmoments bevorzugt in mittleren Touren bewegt. Unabhängig davon empfehlen sich beide durch ihre sehr komfortable Dämpfung, den sicheren Geradeauslauf und die bequemen Sitze für lange Strecken. Hier liegen die GTI-Brüder weit über dem jeweiligen Standard ihrer Klassen. Sein höheres Gewicht und der längere Radstand lassen den Golf aber naturgemäß etwas satter liegen als den kürzeren Polo.Auf dem Sachsenring bringt der kürzere Radstand dem Polo einen guten Schuss mehr Agilität. Bis zuletzt waren die Machtverhältnisse aber auch hier klar geregelt: Während der ausgereifte Golf gegen die brandneue Mercedes A-Klasse in die 1:43er fuhr, schaffte der Polo mit dem Kennzeichen WOB-NP 741 in unserem letzten Vergleichstest gegen Fiesta ST und Yaris GRMN eine mittlere 1:45er-Runde.
Die marginal bessere Performance nutzt dem großen GTI wenig
Hauchdünner Vorsprung: Letztendlich "rettet" den Golf nur sein stärkerer Motor – er gewinnt trotzdem nicht.
Umso erstaunlicher ist, was derselbe Testwagen bei kühlerem Wetter auf den Asphalt zaubert: Neutral bis sanft untersteuernd dreht der Polo in aller Ruhe seine Runde und zirkelt an der leichtgängigen, sehr präzisen Lenkung sauber ausbalanciert durch die Radien. Das ESP lässt sich wie beim Golf nicht vollständig deaktivieren, greift aber auch nie störend ein. In den Bergaufpassagen und auf den Geraden fehlt etwas Power, um am großen Bruder dranzubleiben. Dessen ungeachtet verbessert sich der Polo auf der Runde um zwei Sekunden! 5 km/h mehr Topspeed und etliche gewonnene Zehntel in den Kurven stehen am Ende im Messdiagramm. Alle Achtung! Auch der Golf bestätigt seine Form an diesem Tag und schafft es so, seine Nase knapp vor dem Polo über die Ziellinie zu schieben. Die mechanische Sperre greift feinfühliger als das elektronische Pendant im Polo. Das ESP regelt dafür minimal stärker, ohne das Fahrgefühl negativ zu beeinflussen. Final ist es der stärkere Motor, der dem Golf auf und abseits der Strecke Vorteile bringt. Zum Sieg gegen den viel günstigeren Polo reicht das hier und heute aber nicht mehr.
Fazit
von
Guido Komp
Nicht nur über seinen Preis kann sich der Polo gegen den ausgereiften Golf durchsetzen: Er fährt sich agiler, klingt frecher und meistert das Alltagsgeschäft dabei fast genauso erwachsen wie der große Bruder.